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Schach-Biografien"Im Leben werden Partien nie so unstrittig gewonnen wie im Spiel." (Emanuel Lasker) Schachbiografische Notizen I: Im folgenden werden Auszüge aus dem Buch vorgestellt: "Chess Secrets - I Learned From The Masters" by Edward Lasker, David McKay Company, New York 1951, übersetzt von Wolf-Dieter Raschke. Eduard Lasker erlebte die Berliner Schachszene vor dem ersten Weltkrieg, machte zunächst die Bekanntschaft von Emanuel Lasker, später u.a. die von Aljechin und Capablanca. Seine vielfältigen biografischen Anmerkungen zu diesen Schachgiganten sind aufschlussreiche Ergänzungen zu deren vorliegenden Biografien. Auch sonst erinnert vieles an Vidmars faszinierendes Buch „Goldene Schachzeiten“. Da Laskers Buch nach 1951 weder neu aufgelegt wurde noch eine deutsche Übersetzung vorliegt, soll hiermit zumindest auszugsweise diese Lücke geschlossen werden. Eduard Lasker, Schach-Geheimnisse(Edward Lasker, Chess Secrets)Dieses Buch ist Emanuel Lasker und Jose Raul Capablanca gewidmet, die meine Freunde und Lehrer waren. Kapitel 1: EINFÜHRUNG Schach hat den Verlauf meines gesamten Lebens nachhaltig beeinflusst, obwohl ich, seitdem ich die Universität verlassen und hier und dort als Ingenieur gearbeitet hatte, niemals in der Lage gewesen war, dem Spiel so viel meiner Freizeit zu widmen, wie ich mir das gewünscht hätte. Im Rückblick muss ich eingestehen, dass Schach direkt oder indirekt für mich eine Quelle vielfältigen Glücks gewesen war, und ich sollte dafür wahrlich meinem berühmten Namensvetter Emanuel Lasker dankbar sein. Hätte er nicht die Weltmeisterschaft gewonnen, als ich ein kleiner Junge von fünf Jahren war, hätte mein Vater kaum daran gedacht, mir das Spiel beizubringen. Meine Mutter, die befürchtete, dass ich dem Schach mehr Zeit widmete als den schulischen Verpflichtungen, warnte mich immer wieder vor dem Spiel und hoffte, mich vom Schachbrett fernhalten zu können. Andererseits hätte ich mich - ohne die Existenz von Emanuel Lasker - durch meine Schuljahre hindurch kaum so hartnäckig an das Spiel geklammert. Später, als die Zeit der Berufswahl nahte, hatte die Leidenschaft für das Spiel mich zu sehr erfasst, als dass ich noch über ein Lebens-Milieu ohne Schach als wesentlichen Bestandteil nachgedacht hätte. Die einzige Lösung , auch um dem wachsamen Auge der Mutter zu entkommen, bestand darin, meine Heimatstadt Breslau zu verlassen. Anstelle meiner Vorliebe für die Medizin entschied ich mich für meine zweite Neigung, das Ingenieurswesen, da die Universität von Breslau kein Ingenieurs-Studium anbot. Infolge dessen musste mich meine Mutter auf die Technische Universität Berlin gehen lassen. Dort konnte ich unbeobachtet und nach Herzens Lust Schach spielen und die großen Schachmeister persönlich kennen lernen. Noch vor 1907, als ich 21 Jahre alt wurde, machte ich die Bekanntschaft von Emanuel Lasker. Er war soeben zurückgekehrt von seinem vierzehn Jahre währenden Aufenthalt in Amerika, um seine Jugendliebe zu heiraten. Aufgrund diverser gemeinsamer Interessen verstanden wir uns von Anfang an gut, und während der folgenden fünf Jahre sah ich ihn häufig. Obwohl Emanuel Lasker sehr selten Schach-Themen mit mir diskutierte, lehrten mich die wenigen Beobachtungen, die er machte und die zudem noch sehr allgemeiner Art waren, mehr über das Wesen des Schachs als alle meine bis dahin gemachten praktischen Erfahrungen und alle gelesenen Schach-Bücher. Zweifellos hatten diese sporadischen informellen Lektionen viel zu tun mit meinem Sieg in einem Match um die Berliner Meisterschaft, das ich 1909 gegen den Titelhalter Erich Cohn gespielt hatte. Die durch dieses Match hervorgerufene Bekanntheit führte auch zu einer Reihe von Einladungen durch Gelegenheits-Schachspieler, die Schach-Unterricht nehmen wollten, darunter Menschen, die für ihre Arbeit auf Spezialgebieten überaus bekannt waren. In späteren Jahren habe ich viele ähnliche Erfahrungen gemacht. Schach schien ausgestattet zu sein mit einem Zugangsschlüssel zu Kreisen von interessanten Leuten. Und mein ganzes Leben lang war mir dieser Aspekt des Spiels eine reicher sprudelnde Glücksquelle als Siege in Turnieren. Alles in allem ist der Gewinn einiger Schach-Titel nur ein flüchtiges Vergnügen, aber eine durch das Schach zustande gekommene Freundschaft ist durchaus geeignet, auf Dauer zu bestehen. Als ich endlich nach fünfzehn Semestern an der Universität mein Diplom erhielt, war es erneut Emanuel Lasker, der, ohne es zu wissen, dafür sorgte, dass mein Lebenslauf in völlig unvorhergesehe Kanäle gelenkt wurde. Kurz nachdem ich ihn getroffen hatte, zeigte ich ihm das chinesische Spiel WEI-CHI, das in Japan, wo es zu seiner höchsten Entwicklung gebracht worden war, GO genannt wurde. Ein Freund und ich hatten seine Regeln in einem Magazin gefunden. Wir amüsierten uns über die Behauptung, das Spiel stelle eine Konkurrenz zum Schach dar. Aber bei näherer Prüfung fanden wir heraus, dass diese Behauptung durchaus fundiert war, und wir spielten Go unermüdlich und aus dem geringsten Anlass heraus. Emanuel Lasker war zunächst genauso ungläubig, wie wir es gewesen waren, als wir ihm erzählten, dass das Spiel tatsächlich konkurrenzfähig gegenüber dem Schach sei. Jedoch als er mehrere Kämpfe zwischen Max Lange und mir beobachtet hatte, begriff er die bemerkenswerten Möglichkeiten für tiefe strategische Manöver und taktische Zwischenspiele, die Go trotz seiner einfachen Struktur bereithält. Ungeheuer fasziniert von diesem Spiel, das unerforschte Regionen von Positions- und Kombinationsspiel eröffnete, arrangierte er wöchentliche „Go-Treffen“ in seinem Hause. Eines Abends waren wir eingeladen, um einen Go-Meister im Japanischen Klub zu treffen. Obwohl Emanuel Lasker, sein Bruder Berthold und ich eine Beratungspartie spielen sollten, wurde uns eine Vorgabe von neun Zügen vorgeschlagen - was ungefähr der Vorgabe der Dame im Schach entspricht. Lasker lachte darüber und sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass irgendjemand auf der Welt ihm diese Vorgabe machen könne, wenn er sich genügend Zeit nehmen könne, um seine Züge zu überlegen. Wir hatten zuvor bereits einige Spiele von japanischen Meistern nachgespielt und fühlten uns ziemlich sicher, die Gedankengänge hinter den einzelnen Zügen zu verstehen. Aber unser Gegenüber lächelte und schlug vor, es ihn dennoch probieren zu lassen. Unsere Zuversicht wurde tatsächlich von Anfang an getrübt: Der japanische Meister beantwortete unsere tiefangelegten Pläne jeweils ohne auch nur mehr als den Bruchteil einer Sekunde zu benötigen. Um die Geschichte abzukürzen, der „Kerl“ demolierte uns komplett, und Emanuel Lasker war der niedergeschlagenste Mensch, den man sich vorstellen kann. Auf dem Heimweg schlug er vor, wir sollten versuchen, einen mehrmonatigen Japan-Aufenthalt zu arrangieren und dabei intensiv mit ihren Meistern zu spielen. Er sagte:“Die Japaner haben bisher keinen Mathematiker hervorgebracht, der es mit unseren besten Mathematikern aufnehmen kann. Ich bin davon überzeugt, dass wir sie letztendlich im Go, dem idealen Spiel für einen mathematischen Geist, schlagen können.“ Der Plan begeisterte mich. Aber wie konnte ich es erreichen, in den Orient zu gehen, wo ich doch gerade meine erste Anstellung bekommen hatte als Projekt-Ingenieur der Deutschen Allgemeinen Elektrizitäts Gesellschaft (AEG)? Während ich über die Auswirkungen auf meine Mutter und meinen Vorgesetzten nachdachte, stellte ich fest, dass ich mir eine Kombination zur Rechtfertigung dieses Wechsels ausdenken musste, die viel ausgefeilter sein musste als alle, die sich auf dem Schach- oder Go-Brett ereignen konnten. Aber ein teuflischer Plan, der unschuldig genug ausschaute, half mir, die benötigte Zustimmung zu erreichen. Ich erzählte meinem Chef, dass ich mir wenig Chancen auf ein Vorwärtskommen ausrechnete, weil so viele Ingenieure in den Berliner Büros waren, zumal ich kaum nachweisen konnte, dass ich besser war als meine Kollegen. Daher würde ich es vorziehen, in ein kleineres Büro versetzt zu werden, bevorzugt ins Ausland, zum Beispiel nach Tokio. Mein Plan schien sich auf wunderbare Weise zu erfüllen. Mein Vorgesetzter, der natürlich nichts von Go wusste, war nicht abgeneigt und versprach , sich für mich bei der Auslandsabteilung einzusetzen. Aber als Antwort kam, dass die Firma in den ausländischen Büros nur Engländer beschäftigen würde oder Deutsche, die Englisch fließend sprechen konnten, da das nun einmal die Handelssprache in der Welt war. Ich verstand kein einziges Wort Englisch, aber unverzagt schlug ich vor, zunächst zum Londoner Büro der Firma zu wechseln, wobei ich nur nominell ein Gehalt erhielt. Dieser Vorschlag wurde akzeptiert und 1912 verließ ich Berlin, um in London zu leben und zu arbeiten. Aber meine Orient-Pläne wurden unbrauchbar, als 1914 der Weltkrieg ausbrach. Für eine Weile schaute es so aus, als sollte eher ein Internierungs-Lager als Tokio mein Aufenthaltsort werden, als das Schach sich als ein Freund in höchster Not erweisen sollte. Ich hatte 1914, also wenige Monate bevor der Krieg erklärt wurde, die Schach-Meisterschaft von London gewonnen, und durch einen glücklichen Zufall fügte es sich, dass ein führender Vertreter des Innenministeriums sich als Schach-Fan erwies. Ich war mir dieser Tatsache nicht bewusst und suchte eher zufällig sein Büro auf, um die Erlaubnis zu bekommen, nach New York zu gehen, den Geburtsort meiner Mutter. Er erkannte mich wieder, erzählte mir, dass er zugegen gewesen sei, als ich Sir George Thomas in dem Turnier-entscheidenden Schachkampf besiegt hatte, und vertrat meinen Fall vor dem einzigen Menschen, der meine Bitte erfüllen konnte. Ich erhielt die Erlaubnis, England zu verlassen, und ein weiteres Mal hatte Schach meinen Lebenslauf maßgeblich beeinflusst. Nach meiner Ankunft in diesem Land - USA - konnte ich erneut feststellen, dass es eine äußerst nützliche Fähigkeit war, Schach spielen zu können. Der Krieg hatte hier eine solche Panik ausgelöst, dass Tausende von Ingenieuren ihre Arbeitsplätze verloren hatten, und keine der Firmen, bei denen ich vorsprach, hätte einen Ausländer beschäftigt, solange es nicht genügend Arbeit für Einheimische gab. In Schach-Kreisen wurde ich jedoch mit der größten Freundlichkeit aufgenommen, und der Herausgeber des American Chess Bulletins arrangierte eine Demonstrations-Tour, die mir genügend Einnahmen bescherten, um mich für einige Monate „über Wasser“ zu halten. Auf dieser Tour begegnete ich Julius Rosenwald und Albert Loeb, die Inhaber des großen Versandgeschäfts Sears Roebuck. Sie waren beide Freunde des Schachs und boten mir an, eine Anfangsstellung in ihrer Firma zu suchen. Ich zog nach Chicago und blieb bei Sears, bis 1920 ein Schach-Fan mit kommerziellem Hintergrund mich für eine Ingenieurs-Firma engagierte. In der Zwischenzeit hatte ich die Meisterschaft von Chicago ebenso gewonnen wie die Meisterschaft der West-Staaten. 1923 forderte ich Frank Marshall um die US-Meisterschaft heraus. Ich verlor das Match mit 8,5 zu 9,5 Punkten. Das wurde jedoch als so knapp gewertet, dass ich 1924 eingeladen wurde, an einem der größten Meisterturniere aller Zeiten teilzunehmen. Dieses Turnier fand in New York City statt. Emanuel Lasker, Capablanca, Aljechin, Marshall und Reti belegten die ersten fünf Plätze. Ich gewann einen Spezialpreis für das beste Ergebnis gegen diese Galaxy von Champions, aber gegen die schwächeren Meister schnitt ich nicht so gut ab. Es gelang mir nur, mich vor Janowsky zu setzen, während Bogoljubow, Tartakower, Maroczy und Yates mich „auspunkteten“. Von diesem Turnier lernte ich, dass es, sofern man nicht so ein außergewöhnliches Genie wie Emanuel Lasker war, für einen Menschen, der einem Beruf nachgeht und auch andere als Schach-Interessen hatte, praktisch unmöglich war, den ersten Rang unter den Schachmeistern zu erreichen. Es gab einige sehr starke Schachmeister, die einen Beruf ausübten, wie z.B. Vidmar, ein Ingenieur, und Ossip Bernstein, ein Anwalt. Aber sie widmeten ihre gesamten Mußestunden ausschließlich dem Schach, solange sie in der Turnier-Arena antraten. Nur wenn Schach landesweit in Schulen eingeführt wird, wie es in Russland geschehen ist, wird jedes Land in der Lage sein, eine ausreichende Anzahl guter Spieler unter denen, die sich ihren Lebensunterhalt auf anderen Gebieten als dem Schach verdienen müssen, heranzuziehen, um Kandidaten für die Weltmeisterschaft hervorzubringen oder um erfolgreich mit den russischen Teams zu konkurrieren. Heutzutage haben wir in Amerika eine ganze Anzahl von hochbegabten jungen Spielern, die, da bin ich mir sicher, in nicht allzulanger Zeit die Meisterklasse erreichen werden. Aber sie werden sich alle mit dem gleichen Handicap abfinden müssen: Wenn sie nicht jede freie Stunde dem Schach widmen, wird es sehr schwierig für sie sein, mitzuhalten, wenn sie sich internationaler Konkurrenz stellen müssen. Es ist hier nicht meine Aufgabe zu diskutieren, ob hoffnungslose Einseitigkeit ein vertretbarer Preis ist für das perfekte Beherrschen irgendeines Spiels - oder selbst eines Musikinstruments -, ich jedenfalls habe hierzu eine ganz entschiedene Meinung. Ich kann glücklicherweise sagen, dass die außergewöhnlichen Menschen aus den Bereichen der kreativen Künste und der Wissenschaften, die zu kennen ich das Privileg hatte, eine gesunde Neugier hatten für das, was sich auf anderen Feldern intellektueller Bemühungen tat. Emanuel Lasker gehörte zu dieser Klasse und ebenso Nimzowitsch und Reti. Hoffen wir, dass die jungen Meister der Zukunft deren Fußstapfen folgen werden. Kapitel 2: SCHACH IN DER JUGEND Wann immer ich einen Jungen von Zwölf oder Vierzehn in einem Schachklub sehe, der offensichtlich mit Erlaubnis seiner Eltern in den späten Abendstunden spielt, denke ich an meine Jugendzeit, und ich bin angetan von der Freiheit, die amerikanische Kinder genießen. Selbst als ich fast sechzehn Jahre alt war, wurde mir selten erlaubt, am Abend auszugehen, mit Ausnahme gelegentlicher Treffen in dem Haus eines Freundes, bei dem Hausmusik gemacht wurde. Im Allgemeinen blieb ein Junge nach dem Essen zuhause und las. Es wurde unterstellt, dass er seine Hausaufgaben am Nachmittag erledigt hatte. Zuhause eine Partie Schach zu spielen, wurde nicht abgelehnt, aber allein der Gedanke eines Jungen, um Erlaubnis zu fragen, in einem Klub Schach spielen zu dürfen, war abwegig. Für einen Jungen in diesen Pubertätsjahren ist Schach eine gefährliche Droge, wenn er es gut genug spielt, um seine Gegner, die er in Schule oder Familie trifft, zu schlagen. Der Ehrgeiz, ein Schachmeister zu werden, entfacht ein Feuer und nimmt nach und nach so stark Besitz von ihm, dass alle anderen Gedanken verdrängt werden. Die Schulaufgaben werden vernachlässigt, und das Gleiche geschieht mit dem Lesen außerhalb des Lehrstoffes oder mit dem Lernen wissenschaftlicher Stoffe oder der Musik oder mit allem, was sonst dazu da ist, unsere kulturelle Entwicklung zu unterstützen. Unter normalen Umständen würde ein Junge des geschilderten Typs nichts dagegen haben, gezwungen zu sein, jeden Abend zu Hause solange wie möglich Schach zu spielen, zumal ich dies mit meinem Bruder tun konnte, der meine Liebe zum Schach teilte. Aber wie sieht es aus, wenn eines Tages die Zeitungen berichten, dass der große amerikanische Schachmeister Harry Nelson Pillsbury nach Europa kommt, um eine Reihe von Blindschach-Demonstrationen zu geben und dass er auch deine Heimatstadt besuchen will? Dann ist die Bühne für eine Tragödie vorbereitet! Von dem Augenblick an, als ich erfuhr, an welchem Tag Pillsbury in Breslau 16 Simultan-Partien im Blindschach spielen würde, flehte ich meine Mutter an, mich an einem dieser Bretter spielen zu lassen, zumal sich eine solche Gelegenheit wahrscheinlich kein zweites Mal im Leben ergeben würde. Sie war nicht bereit, das zu akzeptieren. Jungen gingen einfach nicht mehr nach dem Abendessen aus, es sei denn, es handelte sich um eine kulturelle Bereicherung, und „Schach gehörte sicherlich nicht in diese Kategorie“. Sie wies darauf hin, dass Schachmeister bekanntlich unfähig waren, sich auch nur einen bescheidenen Lebensunterhalt zu sichern, gerade so wie die große Mehrheit der Maler, Musiker oder Schauspieler. Ich sollte mir besser die Idee ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen, und auch all das, was mich bei meinem verrückten Verlangen, ein Schachmeister zu werden, ermutigen würde. Tatsache war, dass meine Mutter nicht nur versuchte, mich selbst vom zu vielen Schachspielen abzuhalten, sie suchte auch das Café auf, wo ich mein wöchentliches Taschengeld für Kaffee und Kuchen ausgab und mindestens zweimal die Woche Schach spielte. Sie bat die Stammgäste dort, nicht mehr mit mir zu spielen, da ich meine Schulaufgaben vernachlässigen würde. Ich war peinlich berührt und wütend zugleich. Nichts desto trotz war ich weiter darauf aus, starke Gegner zum Trainieren ausfindig zu machen, nun eben an anderen Plätzen als im Café, in dem nach dem Besuch meiner Mutter keiner mehr mit mir spielen wollte, solange sie das Veto nicht zurückgenommen hatte. Nach kurzer Zeit entdeckte ich ein anderes Café, das von viel stärkeren Schachspielern als in meinem bisherigen Stammlokal besucht wurde. Es war der offizielle Treffpunkt des Schach-Klub Anderssen, benannt nach dem größten deutschen Schachspieler des 19. Jahrhunderts, der als stärkster Spieler der Welt galt, bis er 1858 das Match verlor, zu dem ihn der jugendliche Amerikaner Paul Morphy herausgefordert hatte. Der Schachklub Anderssen hatte als Mitglied einen anerkannten Schachmeister. Sein Name war Arnold Schottländer. Er war ein reicher Mann, der obwohl verkrüppelt aufgrund einer Kinderlähmung jeden Nachmittag in dem Café erschien und einen Spezialplatz in der Mitte des U-förmigen Tisches besetzte, an dem immer ungefähr sechs bis acht Spiele im Gange waren. Er selbst spielte niemals, sondern kritisierte bestenfalls in der Regel mit gutmütigen sarkastischen Anmerkungen die schlechten Züge der Spieler um ihn herum. Er hatte bereits die Reputation eines klugen Kopfes. Eines seiner bon-mots, das ihn überlebte, war eine Bemerkung, die er zu seiner Ehefrau gemacht haben soll: „Luise, wenn einer von uns stirbt, denke ich, werde ich nach Berlin umziehen.“ Ich war begierig darauf, mit Schottländer eine Partie zu spielen, aber die einzige Chance, die er mir jemals gab, bestand in einer Partie im Rahmen einer Simultan-Vorstellung, bei der er gegen etwa dreißig Spieler antrat. Diese Partie werde ich niemals vergessen. Ich resignierte nach dem achten Zug und lernte eine wichtige Lektion. Diese Lektion bestand darin, dass, wenn ein stärkerer Spieler eine Figur ungedeckt stehen lässt, es wahrscheinlich ein beabsichtigtes Opfer und kein Schnitzer ist. Und man sollte zweimal überlegen, bevor man das angebotene Geschenk annimmt.Genau genommen gilt das ebenso bei einem schwächeren Gegner. Es ist am besten, wenn man davon ausgeht, dass auch er einen guten Grund für jeden Zug hat. Auf diese Weise wird man viele Enttäuschungen vermeiden können. Ich hatte später noch einige Male die Gelegenheit, in die Falle zu gehen, in der mich Schottländer gefangen hatte. Es ist ganz nützlich, diese Eröffnung zu kennen, daher stelle ich die Partie hier vor: Arnold Schottländer – Eduard Lasker 1. e4 e5 2. Sc3 Sf6 3. Lc4 Sxe4 Ich hatte diesen Zug einige Male gesehen, üblicherweise nachdem Weiß seinen Königsspringer und Schwarz seinen Damenspringer herausgebracht hatte und ich wusste, er galt als vorteilhaft für Schwarz, weil Weiß nach 4. Sxe4 d5 5. De2 (oder Ld3) zwar seinen Bauern zurückgewinnt, jedoch ohne Zentrumsbauer bleibt. Ich wusste auch, dass 4. Lxd5 nicht als gut für Weiß angesehen wurde. 4. Lxf7+ Kxf7 5. Sxe4 d5 6. Df3+ Kg8 7. Sg5 Dxg5?? 8. Dxd5+ aufg. Anstatt hastig nach dem Springer zu greifen, hätte ich natürlich Dd7 spielen müssen, womit das Matt auf f7 abgedeckt und gleichzeitig der Damenbauer auf d5 bewacht wird. Obwohl das vorübergehend meinen Damenläufer blockiert hätte, hätte bald der Vorteil der beiden Läufer und die Kontrolle des Zentrums für mich gesprochen. Übrigens, wenn Schottländer 4. Dh5 anstelle von 4. Lxf7+ gespielt hätte, hätte ich vermutlich keinen Ausweg aus den daraus entstehenden Komplikationen gefunden. Nach 4….Sd6 5. Lb3 ist die beste Erwiderung des Schwarzen vermutlich das Vereinfachen der Stellung mit Le7, 6. Sf3 Sc6 7. 0-0 . Der Versuch, den Bauern (nach 4. Dh5 Sd6 5. Lb3) mit Sc6 zu halten, lädt zu 6. Sb5 ein mit haarstäubenden Verwicklungen. Um nur eine Möglichkeit vorzustellen: g6 7. Df3 f5 8. Dd5 De7 9. Sxc7+ Kd8 10. Sxa8 b6 11. d3 Lb7 12. h4 h6 13. Sxb6 ab 14. Df3 f4 und alles Mögliche konnte geschehen. Neben Arnold Schottländer gab es noch zwei sehr starke Spieler im Anderssen-Klub, deren Namen nicht selten in den alten Schach-Zeitschriften erwähnt wurden. Das waren Professor Rosanes und Dr.Seger. Ich spielte mit ihnen gelegentlich und lernte eine Menge von ihnen. Ich war ziemlich ehrfürchtig, als ich Rosanes das erste Mal traf, schließlich hatte er tatsächlich in seiner Jugend mit Anderssen gespielt, der sein Mathematik-Lehrer gewesen war. Ich kannte natürlich diese Fakten aus den Schach-Büchern, die ich begierig studierte. Als sich der Zeitpunkt von Pillburys Besuch näherte, spürte ich, dass ich gewappnet war. Wenn mich nur meine Mutter spielen lassen würde, obwohl die Veranstaltung in den Abendstunden lag! Aber sie weigerte sich und ich konnte sie nicht von ihrer Entscheidung abbringen. Ich nahm mir die ganze Sache so zu Herzen, dass ich mürrisch und schwermütig wurde. Schließlich beschloss ich, dass diese einmalige Gelegenheit, mit dem legendären Schachhelden Pillsbury zusammenzu treffen, es wert war, den Zorn meiner Mutter zu riskieren. Ich hatte genügend Geld gespart, um das Startgeld bezahlen zu können, das für das Privileg erhoben wurde, eines der 16 Bretter gegen den Meister einnehmen zu dürfen. Zwanzig Minuten vor Spielbeginn informierte ich meine Mutter, dass ich beabsichtigte, zur Simultan-Vorstellung zu gehen, gleichgültig, ob sie zustimmen würde oder nicht. Ich verließ sie unter Tränen und erreichte den Veranstaltungssaal in einem Zustand höchster Erregung, was sicherlich nicht gerade förderlich für gutes Schach war. Aber es wurde bald offensichtlich, dass ich mein Spiel auch verloren hätte, wenn ich in völliger innerer Ruhe angetreten wäre. Pillsbury gab eine wundervolle Vorstellung: Er gewann dreizehn der sechzehn Blindpartien, remisierte zwei und verlor nur eine Partie. Er spielte starkes Schach und machte keine Fehler. Pillsbury saß ruhig in seinem Sessel, den Rücken den Spielern zugewandt, eine Zigarre nach der anderen rauchend und beantwortete die Züge seiner Gegner nach kurzem Nachdenken klar und ohne zu Zögern. Dieses Bild kam mir 30 Jahre später in den Sinn, als ich als Schiedsrichter bei Aljechins Welt-Rekord-Versuch bei der Weltausstellung in Chicago fungierte, wo er 32 Blindspiele simultan absolvierte. Es war eine verblüffende Demonstration, aber Aljechin machte doch eine Anzahl von Fehlern und sein Auftritt beeindruckte mich nicht halb so sehr wie seinerzeit der von Pillsbury in Breslau. Der amerikanische Meister wäre ohne Zweifel sehr erstaunt gewesen zu erfahren, dass er der Grund war für eine ernste Zerwürfnis in der Familie eines seiner Opponenten. Als ich nach dieser Vorstellung sehr spät nach Hause kam, es muss zwischen eins und zwei Uhr in der Früh gewesen sein, informierte mich meine Mutter, dass sie in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Autorität offensichtlich nicht mehr ausreiche, mich vernünftig zu erziehen, sich entschlossen hätte, mich in die Internatsschule eines gewissen Professor Niemeyer zu schicken, anstelle weiterhin zu Hause zu leben. In dieser Schule wurden Jungen auf die Abschlussprüfungen eines Gymnasiums vorbereitet. Ein Gymnasium in Deutschland hat nichts mit Gymnastik zu tun. Es ist eine Sorte von High School, in der ein besonderes Gewicht auf eine humanistische Erziehung gelegt wird. Ob man es schätzte oder nicht, man musste neun Jahre Latein nehmen, acht Jahre Französisch und sechs Jahre Griechisch. Ich liebte es und brauchte keine zusätzliche Übungen für die Prüfungen, denen ich mich ein Jahr später stellen musste. Ohne diese Reifeprüfung zu bestehen, hätte ich mich nicht an einer deutschen Universität einschreiben können. Was meine Mutter im Sinne hatte, als sie mich zu Professor Niemeyer schickte, war natürlich, mich weitestgehend vom Schach fernzuhalten. In dessen Institut gab es natürlich keinen Ausgang nach dem Abendessen. Wie konnte ich unter diesen Umständen an dem Breslauer Meisterschaftsturnier teilnehmen, das in jenem Winter im Schachklub Morphy ausgetragen werden sollte, einem Konkurrenzklub des Anderssen Clubs? Die Spiele sollten alle am Donnerstag-Abend stattfinden und es war offensichtlich vergeblich, die Zustimmung von Dr. Niemeyer zu bekommen, mich auch nur einen Abend pro Woche während des Turniers gehen zu lassen. Das Problem war nicht einfach, aber es musste gelöst werden. Es gab in meinem Institut insgesamt sechs oder acht Jungen und ich beschloss, mich einem von ihnen, der ein netter Kamerad zu sein schien, ins Vertrauen zu ziehen. Mein Plan bestand darin, an dem Eröffnungs-Abend des Turniers Müdigkeit zu heucheln und früh in das Bett zu gehen. Dann wollte ich aus dem Haus schleichen, und mein Freund sollte mich einlassen, wenn ich spät in der Nacht zurückkehrte. Da ich die genaue Uhrzeit meiner Rückkehr nicht angeben konnte, mussten wir ein Signal vereinbaren, das ihn wecken würde, aber das sonst keiner hören konnte. Das war alles sorgfältig vorbereitet. Während Professor Niemeyer unterrichtete, verlegte ich ein Paar isolierte Drähte aus dem Jungenschlafzimmmer bis in die Halle zu einem kleinen Loch im Haustürrahmen. Das Loch, das vermutlich vor Jahren dazu benutzt wurde, mittels einer Ziehstange eine mechanischen Klingel zu betätigen, war gerade groß genug, dass mein Zeigefinger durchkam. So gelang es mir, die vorhandenen mit den neuen Drähten zu verbinden, zusätzlich eine Blitzlicht-Batterie mit Schelle zu verbinden und unter dem Kopfkissen im Jungenschlafzimmer zu verstecken. Wenn ich nun klingeln würde, würde ich nur ihn wecken. Alles lief nach Plan. Ziemlich genau ab 19.30 Uhr begann ich zu gähnen, bis der Professor fragte, was mit mir los sei, und mir sagte, ich sollte besser früh zu Bett gehen. Obwohl ich zuerst schwach dagegen protestierte, stimmte ich dann zu und wünschte eine gute Nacht. Nachdem ich meinen Raum erreicht hatte, entledigte ich mich meiner Schuhe und schlich davon. Im Klub, dessen Mitglieder alle zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren und die wegen meiner Schwierigkeiten Mitgefühl zeigten, erhielt ich volle Unterstützung. Sie erlaubten mir, unter einem anderen Namen zu spielen, so dass der Professor nichts herausfinden konnte. Es war etwa eine Viertelstunde vor Mitternacht, als ich zu meinem Internat zurückkam. Ich zog wieder meine Schuhe aus und kletterte geräuschlos einige dunkle Treppen zu unserem Flur hoch. Dann betätigte ich die installierte Klingel und wartete. Nach ungefähr einer Minute hörte ich ein Paar bestrumpfte Füße sich vorsichtig hähern. Die Tür wurde schweigend entriegelt und dann geöffnet. Ich schlüpfte hinein und flüsterte ein Dankeschön in das Ohr meines Freundes, als er zu meiner Verblüffung nach dem elektrischen Schalter neben der Tür griff. Er drehte das Licht an, und der Fußboden schien unter mir zu versinken. Ich erblickte nicht meinen Freund vor mir, sondern den Professor Niemeyer in seinem Nachthemd. Mein Gesichtsausdruck musste derart konsterniert gewesen sein, dass er sich nicht mehr zurückhalten konnte: Er brach in ein wahrhaft homerisches Gelächter aus, und sein Körper schüttelte sich einige Minuten lang, bevor er sich wieder verständlich äußern konnte. Wie auch immer, das nahm die Ernsthaftigkeit aus der ganzen Affaire. Er sagte zu mir:“Mein lieber Junge, das wird Dir hoffentlich eine Lehre sein. Geh immer davon aus, dass Dein Gegenüber genauso klug ist wie Du, bis Du was anderes herausgefunden hast. Denkst Du, Dein Davonklappern heute Abend in der Halle konnte unbemerkt bleiben? Als Du Gute Nacht gesagt hattest, fragte ich Robert, ob er diese Störung verursacht hätte. Seine ausweichende Antwort ließ mich misstrauisch werden. Ich ging in die Halle und entdeckte die Drähte. Ihnen zu folgen war leicht. Dann ging ich in Deinen Raum, aber der kleine Vogel war ausgeflogen. Ich muss gestehen, ich hatte eine wundervolle Zeit, als ich mir vorstellte, was für ein Gesicht Du machen würdest, wenn ich die Tür öffnen würde. Aber die Art und Weise, wie Du ausgeschaut hast, übertraf alle meine Erwartungen!“. Ich wünschte mir, ich wäre Professor Niemeyers Rat in all meinen Turnieren, die ich seitdem gespielt habe, gefolgt. Wie viele Verluste hätte ich vermieden, die ich nur deswegen erlitt, weil ich meine Gegner nicht ernst genug nahm. Kapitel 3: SCHACHLEBEN IN BERLIN Nachdem ich meine Prüfungen überstanden hat, war ich zumindest frei von jeder Überwachung. Wie ich bereits zuvor erwähnt hatte, ging ich nach Berlin, um ein Ingenieursstudium zu beginnen und natürlich auch die Möglichkeit in vollen Zügen zu genießen, die berühmten Schach-Meister, die die Cafés der Hauptstadt frequentierten, zu treffen und vielleicht sogar gegen sie spielen zu können. Die Idee der akademischen Freiheit wird an den deutschen Universitäten sehr ernst genommen. Es war dem Studenten völlig freigestellt, wie er sein Leben gestaltete. Es gab weder eine Kontrolle hinsichtlich der Anwesenheit bei den Vorlesungen noch wurde irgend ein Versuch unternommen, seine Moral oder seine Meinung hinsichtlich sozialer oder ethischer Fragen zu beeinflussen. Wenn er die notwendigen Vorlesungen belegt hatte, wurde unterstellt, dass er Versuchungen widerstand, seine Zeit in einer unwürdigen Weise zu vergeuden, und dass er sich das Wissen aneignen würde, das er benötigte, um die Examina zu bestehen. Diese Prüfungen fanden nur am Ende des vierten und des achten Semesters statt. Wenn ein Student bewies, dass er über das benötigte Wissen verfügte, bestand er die Prüfung, unabhängig davon, ob er in den Vorlesungen anwesend gewesen war oder nicht. Möglicherweise hat keiner jemals das luftige Prinzip der akademischen Freiheit so überzogen wie ich. Natürlich bezog ich meine wahre Freude aus der Tatsache, dass ich die Freiheit hatte, Schach zu spielen, wann immer ich es wollte. Unmittelbar nachdem ich eine Bleibe gefunden hatte, eilte ich zum Café Kaiserhof, einem bekannten, alten Treffpunkt der Schachspieler. Ich war überwältigt von dem, was sich offenbar ganz alltäglich und selbstverständlich hier jeden Abend abspielte: eine Versammlung vieler namhafter Meister, deren Partien die Bücher füllte, die ich studiert hatte. Unter ihnen fielen besonders Richard Teichmann und Kurt von Bardeleben auf, zum Teil wegen ihrer imposanten Kopfformen, hauptsächlich aber wegen ihrer Genügsamkeit und vornehmen Zurückhaltung, die sie in jedem Unternehmen ausgezeichnet hätte. Teichmann war auf einem Auge, das er mit einer schwarzen Schutzklappe bedeckt hielt, blind. Er besaß ein beeindruckendes Gesicht, wobei dessen Größe noch unterstrichen wurde durch einen langen braunen Vollbart und eine hohe Stirn. Er schaute wahrlich wie Wotan aus, der in Begleitung niederer Götter Hof hielt. Er war ein Man mit einer bemerkenswerten Ausbildung, der einige Jahre in England gelebt hatte. Das Interesse an Literatur war seine anhaltende Motivation für ein intensives Studium der englischen Sprache, das er nebenbei erfolgreich abschloss. Er hatte es sich angewöhnt, seine Gedankengänge während eines Schachspiels mit englischen Volksliedern zu begleiten, dabei meist unhörbar zu summen, aber in ein plötzliches triumpfierendes Crescendo auszubrechen, wenn er ein Schachmatt ankündigte. Was die Chance anbelangte, ein regelmäßiges Einkommen zu verdienen, hatte Schach eher zu seinem Ruin beigetragen, und er teilte das bemitleidenswerte Los vieler anderer Schachmeisterseiner Zeit: Die Abhängigkeit von ein paar Mark, die er täglich auf der Basis von einigen Groschen pro Spiel gegen regelmäßige oder gelegentliche Gäste des Cafés verdiente. Teichmann hatte eine innige Liebe zu dem Spiel entwickelt und er ließ öfter eine lukrative Gelegenheit gegen einen leicht zu besiegenden Café-Stammkunden verstreichen, wenn er die Gelegenheit zu einer gründlichen Analyse einer neuen Eröffnungsvariante hatte, die ein anderer Meister oder selbst nur ein Student wie ich vorgeschlagen hatte. Er war der erste, der mir einen bewussten Einblick gab in die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Meisterschach und dem Schach selbst der stärksten Amateure. Der Meister fragt sich bei jedem Schritt, ob er etwas zum Erhöhen der Kampfkraft, also zur Mobilität, seiner Figuren beiträgt. Der durchschnittliche Spieler übersieht die Bedeutung dieser anhaltenden Effekte eines Zuges und verliert sich selbst in Kombinationen von Zügen, die häufig nur einen temporären Wert haben. Sehr bald bemerkte ich, dass das, was ich in meiner Heimatstadt gespielt hatte, gar kein richtiges Schach gewesen war, jedenfalls nicht das Schach, mit dem sich die Meister auseinander setzen. In respektvollem Schweigen lauschte ich den Anmerkungen, die Teichmann machte, während er Partien von aktuellen Turnieren analysierte, die in der Tagespresse aufgezeichnet waren. Zu meiner Verwunderung akzeptierte er niemals einen Zug als gerechtfertigt, nur weil er in der Bibel aller Schachstudenten, der Theorie der Schach-Eröffnungen von Dufresne, empfohlen wurde. Das einzige Argument, das für Teichmann zu zählen schien, war, ob ein Zug eine Figur in eine günstige oder ungünstige Position brachte und ob er zu einer schnellst-möglichen Vollendung der Entwicklung der Figuren beitrug oder nicht. Dieser Gesichtspunkt war völlig neu für mich. Der einzige Grund, warum ich bisher den einen oder anderen Zug gewählt hatte, bestand darin, dass ich ihn in dem Dufresnes Eröffnungswerk gesehen hatte. Was Teichmann sagte, öffnete mir wirklich die Augen. Und welche Erleichterung! Wie oft hatte ich begonnen, alle Eröffnungen, die im Dufresne aufgelistet waren, methodisch zu memorieren, um dann an der Aufgabe zu verzweifeln! Ich hatte es als selbstverständlich angesehen, dass jeder Meister diese Eröffnungs-Züge exakt zu kennen hatte. Schließlich begann ich zu verstehen, dass diese Eröffnungs-Züge letztlich nur aufgezeichneten Meister-Partien entnommen worden waren, in denen diese Züge versucht worden waren auf der Basis solcher Überlegungen, wie sie Teichmann diskutierte. Die ganze Sache zeigte sich unter einem neuen Aspekt: Ich betrachtete die aufgezeichneten Eröffnungszüge jetzt kritsch und versuchte selbständig zu beurteilen, ob sie gut oder schlecht waren, jedenfalls eher, als die Buch-Varianten als unantastbar anzusehen. Dieses Vorgehen erwies sich allerdings nicht gerade als leicht. Es war zwar richtig zu fragen: „Stellt dieser Zug meine Figur auf eine vorteilhafte Position?“ Aber wann konnte ich davon reden, dass eine günstige Stellung vorlag und wann nicht, und welcher Zug war auzuwählen, wenn zwei oder drei Züge annähernd gleichwertig aussahen? Ich stellte fest, dass mir viel Erfahrung fehlte, besonders Praxis mit überlegenen Spielern, um in der Lage zu sein, die von mir ausgedachte vage Idee abzuklären, dass es möglich sein müsste, generelle Prinzipien zu formulieren, um den Wert eines Zuges zu messen; dass dieser Wert messbar sein müsste als eine gewisse Menge an potentieller Energie, die man der einzelnen Figur zuordnet; dass die größte potentielle Energie der Figur zukommt, die aufgrund ihrer Platzierung eine maximale Anzahl an Feldern erreichen kann; und dass die Stärke einer Position durch die Gesamtheit aller in den Figuren bereitgehaltenen potentiellen Energien wiedergegeben wird. Es gab so viele Schach-Klubs und Schach-Cafés in Berlin, dass ich niemals Schwierigkeiten hatte, die praktischen Erfahrungen zu sammeln, die ich benötigte. Ich beteiligte mich an dem Meisterschaftsturnier der Berliner Schach-Gesellschaft ebenso wie an dem des Universitäts-Schachklubs und ging daneben noch täglich in das Café Kaiserhof. Als Folge dieser vielen Schach-Aktivitäten standen mir nur die Vormittags-Stunden für meine Vorlesungen zur Verfügung. Selbst diese Vormittagsstunden wurden noch eingeschränkt durch die Extra-Stunden an Schlaf, die ich benötigte, um mich von einer Schach-Orgie zu erholen, die mich in einem Schach-Café bis zum Morgen-Grauen festgehalten hatte. Einer der Meister, mit dessen Anwesenheit im Café Bauer ich jeden Abend unfehlbar rechnen konnte, war Kurt von Bardeleben. Er war eine unbekümmerte Person in den Fünfzigern. Wenn er überhaupt Geld hatte, konnte man das an der Flasche Bordeaux ablesen, die auf seinem Tisch stand. Er schlürfte ein Glass nach dem anderen in der genießenden Art eines Kenners. Er trug immer einen schwarzen Cutaway dubioser Herkunft. Offensichtlich konnte er nicht genügend Geld zusammensparen, um sich einen neuen Anzug zu kaufen, obwohl ich eines Tages erfuhr, dass er fast regelmäßig in bestimmten Zeitabständen vergleichsweise große Geldbeträge erhielt, von einem bis zu mehreren Tausend Mark. Das kam dadurch zustande, dass er gelegentlich Damen heiratete nebst kurzfristig folgender Scheidung, die sich einen vornehmen adligen Namen ersehnten und auch bereit waren, dafür zu zahlen. Unglücklicherweise überschritten die Schulden, die sich seit der letzten Scheidung angehäuft hatten, regelmäßig seine neue Belohnung. Böse Zungen behaupteten, dass die Anzahl der Damen, die in diese kurzen ehelichen Zwischenspiele involviert waren, so alarmierend angewachsen war, dass sie leicht mit dem Harem eines Sultans hätte mithalten können. Von Bardeleben hatte solch ein ungewöhnliches Gesicht, dass er die Aufmerksamkeit aller auf sich zog, wo immer er erschien. Die linke Hälfte seiner Stirn wölbte sich nach vorn und nach oben, als ob sich der linke Lappen seines Gehirns unwiderstehlich ausgeweitet hätte. Den einzigen anderen Menschen, den ich jemals mit einem ähnlich geformten Vorderkopf gesehen habe, war Arthur Brisbane. Ein van Dyke-Bart und ein leicht ironisches Lächeln, das sein Gesicht umspielte, gab von Bardeleben eine gewisse mephistophelische Erscheinung, aber man musste nur einige Worte mit ihm wechseln, um feststellen zu können, dass dieser Eindruck mehr als täuschte. Er war vornehm und mild-gestimmt bis zum Übermaß: Man konnte ihm niemals eine aggressive Haltung vorwerfen. Selbst die Kraft, seine eigene Dekadenz zu bekämpfen, besaß er nicht. Während diese Attribute, verbunden mit literarisch gewürzter Intelligenz und einem breiten Wissen der Geisteswissenschaften, ihn zu einem wunderbaren Gesprächspartner machten, förderten sie andererseits keinesfalls seine Erfolge als professioneller Schachmeister. Er hatte diese Karriere als die einzige Alternative angesehen, nachdem seine aristokratische Familie sich von ihm losgesagt hatte, da sein unbekümmerter Umgang mit seinen Gläubigern für sie peinlich wurde. In jeder Einzelpartie konnte von Bardeleben selbst dem größten Meister gefährlich werden. Aber er hatte nicht genügend Ausdauer, um in einem langen Turnier einen Spitzenplatz zu erringen. In den Jahren 1907 bis 1911 häuften sich die großen internationalen Turniere. Von Bardeleben wurde zu den meisten dieser Turniere eingeladen, aber er war niemals unter den Preisträgern. Immer wenn er nach Berlin zurückkehrte, pflegte er mir alle die Partien zu zeigen, die er eigentlich hätte gewinnen müssen, und seine Züge zu kritisieren, dies um so ernsthafter, je mehr der Inhalt seiner Flasche Bordeaux schrumpfte. Ich lernte eine ganze Menge von diesen Sitzungen und habe immer eine leicht töricht-vernarrte Erinnerung an diesen merkwürdigen Mann behalten, dessen ironische Lebenssicht nicht zuließ, dass die Tragödie seiner Existenz eine Besserung erfuhr. Ganz gleich wie schäbig er in seinen späteren Jahren ausschaute, er behielt jene leichte Grazie in seiner Konversation, die ihn immer ausgezeichnet hatte und die einem versicherte, dass er seine finanzielle Notlage nicht bemerkte oder er es als eine Verschwendung ansah, sich darüber Gedanken zu machen, wenn es die Gelegenheit gab, sich an abstrakten Dingen zu erfreuen. Diese völlige Gleichgültigkeit hinsichtlich der Kleidung ist ein Verhalten, dass all jenen vertraut ist, die das Privileg einer engen Bekanntschaft mit großen Künstlern und Wissenschaftlern haben. Das Nichtbeachten künstlicher Werte scheint eines von verschiedenen charakteristischen Merkmalen zu sein, dass sie mit wahren Aristokraten teilen, wenn wir uns bei der Definition dieses Wortes an seine ursprüngliche Bedeutung im Griechischen erinnern. Unter den „gewonnenen Partien“, die von Bardeleben verlor und mir später im Detail zeigte, möchte ich eine Partie ansprechen, die ein amüsantes Nachspiel hatte. Es war das Spiel, das er in der letzten Runde des Wiener Turniers 1908 gegen den Tschechen Duras ausgetragen hatte, einem der stärksten Spieler der letzten Generation, der, merkwürdig genug, den jüngeren Amerikanischen Meistern von heute überwiegend unbekannt ist. Duras, Maroczy und Schlechter teilten sich die ersten drei Plätze dieses Turniers. Rubinstein war Vierter und Teichmann Fünfter. Danach kam Spielmann, Perlis und Tartakower, Marshall teilte den neunten, zehnten und elften Platz mit Leonhardt und Mieses. Reti, später einer der weltweit führenden Meister, war in der „elften Stunde“ zugelassen worden, anstelle von Janowski, der nicht kommen konnte. Es war Retis erstes internationales Turnier, und er gewann keine einzige Partie. Er erreichte nur 1,5 von 19 möglichen Punkten. Das mag eine Vorstellung geben von der Stärke des Turniers. Oldrich Duras – Kurt von Bardeleben, Wien 1908 1. d4 d5 2. Sf3 c5 3. e3 Sc6 4. c4 cxd 5. cxd5 Dxd5 6. Sc3 Da5 7. exd4 e6 8. Ld3 Sf6 9. 0-0 Le7 10. Le3 0-0 11. Tc1 Ld7 12. a3 a6 13. Lb1 Tfd8 14. Dc2 Le8 15. Se4 g6 16. Sc5 Dc7 17. Tfd1 Sd5 18. Lh6 Lf6 19. De4 b6 20. Sd3 Dd6 21. Sde5 Sce7 22 Sg4 Sf5 23. Ld2 Lg7 24. Lg5 Tdc8 25. Dd3 Lb5 26. Dd2 La4 27. Te1 f6 28. Le3 h5 29. Sh6+ Kh7 30. Sxf5 exf5 31. Dd3 Sxe3 32. Txc8 Txc8 33. Dxa6 Sxg2 (Eine brilliante Konzeption; wenn Weiß den Turm nimmt, spielt Schwarz Df4, was zur gleichen Fortsetzung führt wie diejenige, die er mit dem nächsten Textzug anbietet.) 34. Kxg2 Df4 (Weiß kann den Turm nicht nehmen, da die Konsequenz sein würde: 35. DxT Dg4 36. Kh1 Dxf3 37. Kg1 Lc6 38. Kf1 Dh1+ 39. Ke2 Lb5+ 40. Kd2 Lh6+ und Schwarz behält eine Figur mehr.) 35. h3 Lc6 36. Te3 (Von hier aus scheint von Bardeleben, vielleicht als Folge von Ermüdungserscheinungen, den Faden der Partie komplett verloren zu haben. Er macht eine Reihe schwacher Züge, wobei ein ausgesprochener Schnitzer den Schlusspunkt setzt. Er sollte nun 36…Te8 gespielt haben, um nach Te3xTe8 mit Dxf3+ zu drohen. Weiß hätte sich daher mit 37. De2 verteidigen müssen, und dann wäre 37…Le5 ein kraftvoller Zug gewesen, der eine Bauernwalze vorbereitet hätte. Nach 38. Lxe5 fe 39. Kd1 f5 40. Sc2 Dd6 hätte Weiß kaum lange standhalten können.) 36…Tb8? 37. Dc4 La8? (Von Bardelebens letzte Gelegenheit, die Initiative zurückzugewinnen, bestand darin, Tc8 zu spielen, denn Weiß hätte sich nicht retten können mit 38. De2, da 38…Dg5+ 39. Kf1 Lxf3 40. Df3 Tc1+ 41. Te1 Txt 42. Kxt Dc1+ gefogt wäre mit Figurengewinn.) 38. Df7 (verhindert 38…Te8 und involviert vage Drohungen für den Fall, dass Schwarz nicht sorgfältig spielt. Schwarz konnte jedoch Remis erzwingen durch 38…Da5+ 39. Kh2 Df4+ usw. In Anbetracht seiner nachlassenden Konzentration wäre es das Beste gewesen, so zu verfahren.) 38…Td8 39. La2 Txd4?? 40. Dg8+ Kh6 41. Dxa8 Td1 42. Te8 1:0 Als von Bardeleben mir dieses Ende zeigte, sah ich ihn zum ersten Mal in einem Zustand, der Feindseligkeit andeutete. Er knallte sein Glas mit Bordeaux auf den Tisch ohne seine übliche Zurückhaltung, und mit aufgrund des Weingenusses leicht verschleierten Augen sagte er:“ Ich schwöre, dass ich diesen Burschen nächsten Monat in Prag schlagen werde!“. Natürlich habe ich das nicht sehr ernst genommen. Schließlich wurde Duras von vielen als der kommende Weltmeister angesehen, und es wurde erwartet, dass er das Prager Turnier gewinnen würde, obwohl die Anmeldungen ein noch stärkeres Teilnehmerfeld versprachen als in Wien. Zwanzig Spieler beteiligten sich, und nach einem zermürbenden Monat heißen Wettbewerbs ging Duras als erster hervor mit dem gleichen Ergebnis wie Schlechter. Duras hätte das Turnier noch vor Schlechter beenden können – hätte von Bardeleben nicht seinen Schwur wahrgemacht und ihn geschlagen. Es war die einzige Partie, die von Bardeleben gewann. Dritter in diesem großen Turnier war Vidmar. Danach kam Rubinstein, ein weiterer Kandidat für die Weltmeisterschaft, dann Teichmann und Maroczy. Leonhardt, Marshall und Salwe teilten den siebenten, achten und neunen Preis. Janowski und Dus-Chotimirsky schlossen den Kreis der Preisgewinner ab. Unter den ersten zehn war keiner mehr als einen halben Punkt entfernt von seinem nächsten Konkurrenten. Eine Enttäuschung für Berlins Schachgemeinde war das schlechte Abschneiden von Jacques Mieses. Sein ebenfalls enttäuschendes Ergebnis in dem vorherigen Turnier in Wien war einer Indisposition zugeschrieben worden in Anbetracht seines brillianten Sieges im Wiener Turnier 1907, in dem er Duras mit einem vollen Punkt distanziert hatte, wobei Maroczy, Tartakower und Vidmar den dritten, vierten und fünften Platz teilten und auch noch Spielmann dazugehörte. Tatsache ist, dass Mieses niemals seinen Erfolg von 1907 wiederholte. Seine Aufmerksamkeit war jeweils geteilt zwischen seinen Turnierpartien und seinen Berichten, die er verschiedenen Zeitungen, für die er Schachkolumnen unterhielt, telegrafieren mussten. Seine literarische Arbeit war lohnender als seine Arbeit am Brett, und er war klug genug, sich nicht auf die unsichere Einkommensquelle der Preisgelder zu verlassen. Unter allen professionellen Schachmeistern jener Tage in Berlin war er der einzige, dessen Einkünfte mehr oder weniger gesichert waren. Er war immer gutgekleidet und lebhaft, wie ein wohlhabender Geschäftsmann, in auffallendem Kontrast zu der chronisch bedrückten Erscheinung der meisten seiner Kollegen, die man wortwörtlich zur Klasse der „armen Künstler“ rechnen konnte. Andererseits waren sie natürlich „farbigere“ Persönlichkeiten. Andere Meister, die wie Teichmann, von Bardeleben und Mieses üblicherweise in einem der Berliner Schach-Cafés angetroffen werden konnten, waren Horatio Caro, Mit-Sponsor der Caro-Kann-Eröffnung, Dr. Berthold Lasker, der Bruder des Weltmeisters, und Paul Saladin Leonhardt. Mit den letzteren Beiden arbeitete ich einige Monate an einer ausführlichen Analyse einer Variante der Vier-Springer-Eröffnung, in der Schwarz sich bemüht, solange wie möglich die Züge des Weißen zu imitieren, und es nach zwischenzeitlichen Abweichungen, erzwungen durch ein Schach-Gebot oder eine andere Drohung, die unmittelbar beachted werden muss, immer wieder gelingt, die komplette Symmetrie wiederherzustellen. Wir wussten, dass Schwarz früher oder später Schwierigkeiten entgegen sah, weil Symmetrie bedeutete, dass Weiß die mit dem ersten Zug verbundene Initiative aufrechterhalten konnte. Und in vielen Varianten waren wir in der Lage, die Richtigkeit dieser theoretischen Abhandlung zu beweisen, nichts desto trotz fanden wir auch heraus, dass Weiß viele Gelegenheiten zu Fehlern hatte, indem er einen übereilten Angriff vornahm. Wir benutzten diese Eröffnung erfolgreich in vielen freien Partien. Zu der Zeit, als wir uns in diese Eröffnung vertiefen, kehrte Emanuel Lasker aus Amerika nach Deutschland zurück. Ihn zu treffen, gehörte immer zu den Höhepunkten meines Lebens. Der auffallendste Unterschied zwischen ihm und den anderen Meistern bestand darin, dass er kaum jemals irgendwelche Zeit am Schachbrett verbrachte, es sei denn, er hatte dafür berufliche Gründe, weil er z.B. einen Schach-Artikel schrieb oder während eines Schach-Zweikampfs. Er schien immer mit Problemen der Mathematik oder Philosophie beschäftigt zu sein. Als er erfuhr, dass der Bruder des berühmen Philosophen Ernst Cassirer mit meiner Cousine verheiratet war, ruhte er nicht eher, bis ich ein Treffen mit Cassirer arrangiert hatte. Lasker erklärte ihm gewisse Ideen, die er zum Problem der Wahrnehmung entwickelt hatte, und schlug vor, darüber ein Buch zu schreiben. Aus dem ersten Zusammentreffen entwickelte sich eine Reihe langer Spaziergänge, die Cassirer, Lasker und ich unternahmen und während denen Lasker seinen ungewöhnlichen mathematischen Zugang zum Konzept des freien Willens und des Automatismus ausbreitete. Ermutigt durch Cassirer, der von Laskers originellen Ideen beeindruckt war, verfolgte letzterer seinen Plan mit ungeheurer Energie fünf Jahre lang, wobei er seine Arbeit nur für kurze Perioden unterbrach, um seine Weltmeisterschafts-Zweikämpfe mit Tarrasch und Schlechter zu absolvieren. Im Jahr 1913 erschien sein Buch mit dem ehrgeizigen Titel: Das Begreifen der Welt. Ich sah tatsächlich Laskers Haar grau werden, während er an diesem Buch arbeitete. Es fiel ihm niemals ein, dass die Lösung des Problems der Kausalität und des freien Willens, die die Philosophen von zwei Jahrtausenden herausgefordert hatte, vielleicht eine Aufgabe war, die die Fähigkeiten des menschlichen Geistes überstieg. Er verfolgte diese Idee, bis er dachte, dass er den mathematischen Beweis dafür erbracht hätte, dass der Wille frei sei. Der Versuch, auch nur einen Mindest-Überblick über Laskers 500-Seiten-Buch zu geben, würde weit über die kurze Skizze hinausgehen, die ich zu Laskers beeindruckender Persönlichkeit vorlegen möchte. Lassen Sie mich nur eine der originellen Gedanken erwähnen, die er in seinem bemerkenswerten Buch vorstellt. Dieser Gedanke wird von besonderem Interesse für den Schachspieler sein, aber ohne Zweifel auch für den Wissenschaftler. Es ist das Konzept, das Lasker den „Macheiden“ bezeichnet, ein ideales Wesen, das soweit auf der Leiter der biologischen Entwicklung fortgeschritten ist, dass es in etwa den Status eines Automaten (im Sinne eines Roboters,Anm. des Übersetzers) erreicht hat. Der Begriff „Macheide“ ist abgeleitet von dem griechischen Wort für Schlacht. Der Macheide ist der „Sohn der Schlacht“, ein Wesen, dessen Sinne oder mentale Fähigkeiten im Laufe von Millionen von Jahren im Lebenskampf so sehr geschärft sind, dass es jeweils die beste, effizienteste Methode auswählt, um sich zu verewigen (vielleicht im Sinne des Überlebens, Anm. des Übersetzers). Am Schachbrett würde der Macheide jeweils den besten Zug ausführen mit dem bedauernswerten Resultat, dass das Spiel aufhören würde zu existieren, nachdem zwei Macheiden ihr erstes Match gespielt haben. Die besten Züge für Weiß und Schwarz würden irgendwann einmal für alle Allgemeinwissen werden, und für den menschlichen Geist würde kein Problem, keine Herausforderung mehr bestehen. Dieses Konzept eines Macheiden ist selbstverständlich künstlich. Im Schach findet selbst der Durchschnittsspieler seine Zugwahl in jeder gegebenen Position durch Nützlichkeitsüberlegungen. Unter Meistern hat diese Restriktion bei der Zugwahl erheblich zugenommen, und diese Entwicklung setzt sich fort in dem Maße, in dem sich unser Wissen über dieses Spiel ausweitet. Ohne unlogisch zu sein, können wir uns diesen Prozess gradueller Perfektionierung als unbegrenzt vorstellen. Das Wesen, das sich so entwickelt, wird zuguterletzt keine Wahl mehr haben. Es ist gezwungen zu handeln wie es handelt, weil es von dem Postulat einer maximalen Nützlichkeit hinsichtlich des vorgegebenen Ziels beherrscht wird. Der Macheide repräsentiert die Grenze dieser unendlichen Serie an Entwicklungen, den Übergang zwischen Leben und Automatismus. Ernst Cassirer gab, als er Laskers Buch mit mir diskutierte, einen Kommentar zu Laskers Methode bei philosophischen Problemen, die für Schachspieler von Interesse sein dürften, die mit Laskers Partien vertraut sind. Er sagte, dass Lasker einige bemerkenswerte originelle Gedanken zum Gegenstand vorgelegt habe, aber er habe eine gewisse naive Art, allgemeinbekannte alte Ideen zusammen mit seinen neuen Ideen zu erklären, ohne zwischen ihnen zu unterscheiden, offensichtlich aufgrund der Tatsache, dass er nicht vertraut war mit der enormen philosophischen Literatur der Vergangenheit. Lasker dachte in seinem ursprünglichen Denken von den Ursprüngen an, und er wusste nicht, wieviel von dem, was er herausfand, von anderen vor ihm bereits entdeckt worden war. Lasker war auch nicht sehr vertraut mit Schach-Literatur. Er dachte, dass es sich nicht lohne, Zeit für das Lesen von Schach-Büchern zu verwenden, da er den Einruck hatte, dass ein vollkommenes Verständnis der allgemeinen Prinzipien der beste Führer im Kampf am Brett darstellte. Die Schachwelt schuldet dieser Einstellung viele originelle Beiträge, die Lasker für die Eröffnungstrategie leistete. Aber Lasker selbst litt gelegentlich unter seiner Einstellung, besonders in späteren Jahren, weil die wissenschaftliche Analyse der Eröffnungen enorme Fortschritte gemacht hatte und das Vertrautsein mit diesen Analysen manchesmal seinem Gegenüber einen Vorteil verschaffte, der nur schwierig wettzumachen war. Laskers Erholung von seinen anstrengenden philosophischen Arbeiten war eine fast ähnlich strapaziöse Zuwendung zum Go-Spiel, das ich ihm kurz nach unserem ersten Zusammentreffen gezeigt hatte. Wiederum wollte er nicht wissen, was andere vor ihm zu diesem Spiel herausgefunden hatten. Er selbst wollte es herausfinden, im Vertrauen darauf, dass seine allgemeinen Konzepte von Strategie und Taktik ihm helfen würden, schnellere Fortschritte zu machen als alle Ratschläge, die er in Büchern finden würde. Er forderte mich auf, einige Spiele mit ihm zu machen, ganz gleich, wie lächerlich seine ersten Versuche auf mich wirken würden. Er wollte ein gewisses Gefühl für Go-Situationen bekommen, in elementare Fallen tappen und jeden denkbaren Fehler begehen, bevor er sich eine eigene Meinung bilden wollte über die beste Methode, die Spielstärke eines Spielers zu verbessern. Er machte bemerkenswerte schnelle Fortschritte und innerhalb weniger Monate hatte er mehr oder weniger aufgeschlossen zu dem, was ich von dem Spiel wusste. Einmal ging ich wie üblich zu dem wöchentlichen Go-Treffen in Laskers Haus, allerdings etwas früher als zum vereinbarten Termin, um ihm eine Schach-Partie, die ich verloren hatte, zum Begutachten zu zeigen. Wie bei allen Problemen, die er anging, brachte er auch beim Schach einen mathematischen Aspekt ein. Ich erinnere mich, er sagte zu mir zu Beginn:„Vergiss niemals, dass das Schachbrett vierundsechzig Felder hat und dass Du wahrscheinlich mehr als zweiunddreissig Felder kontrollieren musst, wenn Du das bessere Spiel erhalten willst.“ Er erzählte mir, dass dieses Prinzip, soviele Felder wie möglich zu kontrollieren, sein Leitgedanke in jeder Phase des Spiels sei. Als praktisches Beispiel verwies er auf die Platzierung von Springer und Läufer in Mittelspiel- und Endspiel-Positionen. Er wies darauf hin:“In der Mehrzahl aller Fälle ist es wahrscheinlich das Beste, Springer und Läufer auf den Feldern der gleichen Farbe zu haben, weil sie dann Felder unterschiedlicher Farbe kontrollieren.“ Obwohl diese und andere Statements, die er machte, nur von allgemeingültigem Charakter waren, und deshalb häufig Ausnahmen zu beachten waren, wenn es um die Erfordernisse einer speziellen Position ging, habe ich erheblich davon profitiert, dass ich bewusst versuchte, Laskers Ratschlag in jeder meiner Partien anzuwenden. Ich fand es auch sehr hilfreich, nach einem verlorenen Spiel zu prüfen, inwieweit ich den Prinzipien, die Lasker mir empfohlen hatte, gefolgt war. In Anbetracht meiner sehr begrenzten Erfahrung in ernsthaften Spielen gegen stärkere Gegner war ich natürlich ziemlich unsicher in der Eröffnungsphase, nicht nur bei der richtigen Abwägung eines Entwicklungszuges gegenüber dem anderen, sondern auch bei der richtigen Wahl der Felder für meine Figuren in Abhängigkeit vom Bauerngerüst. Die folgende Partie aus dem Meisterturnier der Berliner Schach-Gesellschaft ist dafür ein typisches Beispiel.(vgl. Kapitel 4) Kapitel 4: ERSTE TURNIERERFAHRUNG Horatio Caro – Eduard Lasker 1. Sf3 d5 2. d4 Sf6 3. Lf4 c5 4. e3 e6 5. c3 Sc6 (Ich war zu mechanisch bei der Entwicklung meiner Figuren. Db6 war der logische Zug, da der dritte Zug von Weiß seinen b2-Bauern ohne Schutz gelassen hatte. Wenn Weiß den Bauern mit 6. Dc2 bewacht, was der plausibelste Zug ist, würde die natürliche schwarze Entwicklung des Ta8 nach c8 früher oder später die weiße Dame zwingen, ein anderes Feld zu suchen, womit ein Tempo gewonnen würde verglichen mit der Entwicklung, die nun folgt.) 6. Sbd2 Ld7 (Es ist klar, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich mit dieser Eröffnung umgehen sollte, die nach dem Belgischen Spieler Colle benannt wurde, der sie regelmäßig und erfolgreich spielte. Zweifellos war der Grund, warum ich Ld7 spielte, der, dass ich meinen Turm nach c8 hin entwickeln wollte. Aber da die c-Linie zur Zeit durch den weißen c3-Bauern blockiert war, bestand keine Eile, irgendwelche Entscheidungen hinsichtlich der Figuren auf der Damenseite zu treffen. Wenn der weiße Bauer auf c4 anstatt auf c3 gestanden hätte, hätte der Textzug allerdings einen gewissen Sinn gemacht. Aber so bestand die logische Fortsetzung in der Entwicklung des Königsläufers nebst Rochade, wobei die Option offengehalten wurde, den Damenläufer eventuell nach b7 zu entwickeln. Der Königsläufer mag entweder nach e7 oder nach d6 gegangen sein. Oder ich hätte zuerst die Bauern auf d4 tauschen und dann den Läufer entwickeln sollen.) 7. Ld3 Le7 8. 0-0 Tc8 (Wieder ein mechanischer Entwicklungszug, der zeigt, dass die Feinheiten des Eröffnungsspiels noch fremd für mich waren. Angebracht war zunächst cd, da nach 9. ed der schwarze Zentrumsbauer nicht weiter dem Vordringen ausgesetzt ist, das Weiß dann in dem Spiel vornimmt. Solange Schwarz einen Bauern auf d5 behauptet, ist der weiße Damenspringer Sd2 davon abgehalten, in die Schlacht über e4 einzugreifen.Außerdem ist der weiße Bauer auf c3 geeignet, ein Ziel für Angriffs-Operationen zu werden, wenn sein Vorangehen nach c4 nicht durch das Verschwinden des schwarzen Zentrumsbauern erleichtert wird. Nach 8…cd 9. ed könnte Schwarz zum Beispiel Sa5 und dann Tc8 spielen.) 9.dc Lc5 10. e4 (Mit diesem Vorrücken droht Weiß mit einer Reihe unannehmbarer Fortsetzungen. Wenn ich den Bauern schlage, verliere ich nicht nur mein Bauernzentrum und mit ihm die Möglichkeit, Druck auf den weißen c3 auszuüben, sondern ich muss auch den Tausch meines Königsspringers zulassen, worauf mein Königsflügel einer gefährlichen Attacke ausgesetzt werden könnte. Wenn ich andererseits den Bauern nicht schlage, sondern rochiere, kann Weiß entweder den Königsbauern vorantreiben, wobei mein Springer vertrieben wird, der h7 verteidigt, oder er kann auf d5 tauschen. Dieser Bauerntausch würde ihm einen großen positionellen Vorteil verschaffen. Denn wenn ich mit meinem Bauern zurückschlage, bleibe ich mit einem isolierten Bauern zurück, der , nachdem jedes Vorrücken durch Sb3 gestoppt ist, attackiert werden kann durch die weißen Türme über die offene d-Linie, während ich keine Spur von Gegenspiel habe. Andererseits, sofern 10…0-0 11. ed Sxd5 12. Lg3, hat Weiß erneut sein Ziel erreicht, meinen Bauern aus dem Zentrum zu entfernen, und das Feld e4 wird für seinen Damenspringer erreichbar. Vielleicht war die Drohung 11. e5 gefolgt von 12.Lxh7 + nicht so gefährlich wie es aussah. Es scheint, dass ich den Angriff wie folgt hätte überstehen können: 11…Sh5 12. Lxh7+ KxL 13. Sg5+ Kg6 14. Dg4 f5 15. ef e.p. Sf6 16.Dg3 Sh5 17. Dd3+ Tf5 oder selbst Kf6, und Weiß kommt6 nicht weiter.) 10…de 11. Sxe4 Sxe4 12. Lxe4 Db6 (Offenbar hatte ich Angst zu rochieren in Anbetracht so vieler weißer Figuren, die mich am Königsflügel anstarrten, und ich bemühte mich, zunächst meinen Springer zur Verteidigung herüberzubringen. Mein Damenzug deckt den Bauern b7, so dass mein Springer wegziehen kann. Aber das Aufschieben der Rochade erwies sich als gefährlicher, als ich es erwartet hatte.) 13. De2 Se7 (Hier verpasste ich die letzte Chance zu rochieren. Bei der in der Regel üblichen Fortsetzung aufgrund dieser Entwicklung übt Weiß nunmehr einen Druck auf der e-Linie aus, dem ich nicht länger standhalten konnte.) 14. Tfd1! (Die unmittelbare Drohung besteht in 15. b4, was eine Figur gewinnt. Die einfachste Verteidigung scheint Sg6 zu sein, das Platz für meinen Läufer schafft und den weißen Läufer angreift. Aber 16. Lxg6 hg 17. Se5 Lc6 18. b4 Le7 19. Sxg6! Gewinnt zumindest einen Bauern (fg? 20. Dxe6 Tc7 21. b5! Oder 20…Td8 21. Lg5) und da es ebenso Schwarz vom Rochieren abhält und daher von der Kooperation seiner Türme, sollte Weiß ohne große Mühen gewinnen. Aus diesem Grund spielte ich zuerst 14…Lb5 15. Dd2 Sg6 16. a4! Sxf4 (Das relativ beste war Lc6, obwohl Weiß mit 17. Lxc6+ Dxc6 18. Se5 SxS 19. Lxe5 0-0 20. Lxg7!! Und es ist shr unwahrscheinlich, dass mein König die offene g-Linie lange überlebt hätte. Z.B.:20…Kxgt 21. Dg5+ Kh8 22. Df6+ Kg8 23. Td3 Ld6 24. Td4 Ffe8 25. Tad1 Tcd8 26. Tg4+ Kf8 27. Tg7 Lxh2+ 28. Kxh2 Dc7+ 29. g3 Txd1 30. Txh7 und Matt durch Th8. Jedoch erwies sich die offene a-Linie, die Weiss nach dem Zug, den ich machte, erhielt, als unmittelbar fatal für mich. 17. ab Dc7 (Auch 17…Sd5 hilft nicht. Weiß würde mit 18. Lxd5 ed 19. Te1+ usw. antworten.) 18. b4 Le7 (Oder Lb6 mit 19. c4 und 20. c5) 19. Txa7 Td8 (Die Drohung bestand in b6) 20. Lc6+ Kf8 (Nun spiele ich praktisch mit einem Turm weniger und hätte ebensogut aufgeben können. In solchen Positionen weiter zu spielen, was relativ viele Spieler aus Prinzip tun, wurde scherzeshalber als Spielen in der Hoffnung auf einen Herzschlag genannt. Meinem Gegenüber fühlte ich mich in diesem Fall nicht verpflichtet, so zu spielen, und ich bin froh, dass ich diesen „Todeskampf“ nicht weiter verlängerte.) 21. Dc2 g6 22. Txb7 Dc8 23. Txd8+ aufgegeben. Nach Dxd8 und 24. Dd2 hätte ich keine Argumente mehr gehabt. Die Lektionen, die ich von den in diesem Turnier verlorenen Partien lernte, waren sehr nützlich. In dem Spiel gegen Caro ebenso wie in den anderen konnt ich eindeutig erkennen, dass der Grund für meine Niederlagen in meiner unkorrekten Behandlung der Eröffnung lag. Nicht dass das sogenannte Buchwissen mir eine große Hilfe gewesen wäre; aber meinen Gegnern gelang es irgendwie besser entwickelt aus der Eröffnung herauszukommen, d. h., mit einer höheren Mobilität ihrer Figuren, obwohl auch ich sehr gut wusste, dass es in jeder Eröffnung von höchster Bedeutung war, die Figuren so schnell wie möglich „herauszu bekommen“. Ich machte die gleiche Erfahrung ziemlich häufig mehrere Jahre lang, bis ich lernte, wie man korrekt zwischen mehreren möglichen Entwicklungszügen auswählt, um die Stellung meiner Figuren mit der der Bauern zu koordinieren. Wie dieser Sachverhalt, sicherlich komplexer ist als das einfache Prinzip einer schnellen Entwicklung, mir nach und nach klarer wurde, das wird die Diskussion von illustrativen Beispielen zeigen. Manchmal war es natürlich ich, dem die Schachgöttin Caissa zulächelte, und ich verbuchte schnelle Siege, weil meine Gegner nicht die besten Felder bei der Entwicklung ihrer Figuren aussuchten. Die folgende Partie, die ich mir öfter mit Vergnügen in Erinnerung zurückgerufen habe, ist dafür ein Beispiel. Mit ihr errang ich die „Akademische (Schach-) Meisterschaft“ von Berlin, und soweit ich weiß, ist sie die einzige erhaltene Turnierpartie in unserem Jahrhundert, die mit dem berühmten „erstickten Matt“ endet, das vermutlich zuerst von dem Französischen Meister André Philidor entdeckt wurde. Mein Gegner, ein Medizin-Student namens Duehrssen, war natürlich mit dieser Mattposition, die zu den ersten großen Freuden eines jeden Schachstudenten gehört, vertraut. Aber der Zugang zur Kombination war in diesem Fall irgendwie verhüllt und er tappte hinein. R. Duehrssen – Eduard Lasker 1. e4 e5 2. d4 Diese Eröffnung, genannt das Zentrumsspiel, scheint mehr als jede andere Eröffnung den Vorteil hervorzuheben, dessen sich Weiß erfreut, weil er als Erster zieht. Denn Schwarz ist meist gezwungen, den d4-Bauern zu nehmen, womit er das Zentrum aufgibt.Weiß erhält die Kontrolle von zwei Zentrumsfeldern (d5 und f5) auf dem schwarzen Territorium, während Schwarz nicht die vergleichbaren Felder in der weißen Bretthälfte kontrolliert. Das wäre tatsächlich ein spürbarer Vorteil für Weiß, wenn er in der Lage wäre, ihn aufrechtzuerhalten. Das könnte er, wenn Schwarz sich mit 2…ed zufriedengeben würde mit dem anschließenden Vorziehen des Damenbauern nach d6. Ein anderer Vorteil, den Weiß von der Bauernstellung, charakterisiert durch seinen Bauern auf e4 und den schwarzen Bauern auf d6, ableiten könnte, wäre seine Fähigkeit, die dritte Reihe zu nutzen, um den Damenturm hinüber zum Königsflügel zu bringen, wenn das wünschenswert wäre, während Schwarz die gleiche Mobilität seines Damenturms nicht sicherstellen könnte. Aus diesen Gründen muss Schwarz alles in seiner Macht Stehende tun, um so schnell wie möglich zu d5 zu kommen. Sobald der weiße Königsbauer gegen den schwarzen Damenbauern getauscht ist, ist der positionelle Vorteil des Weißen neutralisiert. In der Position nach 2. d4 kann Schwarz seinen Zentrumsbauern nur mit Sc6 decken, wenn er sich gleichzeitig entwickeln will. 2…d6 3. de de 4. Dxd8+ Kxd8 mag nicht notwendigerweise zum Partie-Verlust des Schwarzen führen, aber er wird sicherlich einen mühsamen Kampf auszufechten haben gegen die vielfältigen Drohungen, die Weiß mit Sicherheit erhält aufgrund der Schnelligkeit, mit der er seine Türme nach der Rochade in das Spiel bringen kann. 2…Sc6 wird heutzutage manchmal von erfahrenen Spielern gewählt, weil Weiß geneigt ist, zu früh seine Zentrumskontrolle in einen Königsangriff zu verwandeln. Natürlich würde Weiß nicht 3. d5 ziehen, da das den Zentrumsbauern des Schwarzen erhalten würde und eine Diagonale blockieren würde, über die der weiße Königsläufer anderenfalls aktiv werden könnte. Anstelle von d5 würde er 3. de Sxe5 4. f4 spielen und diesem Le3 folgen lassen, und damit den Schwarzen davon abzuhalten, das Feld c5 mit seinem Läufer zu besetzen. Zu der Zeit, als ich diese Partie gegen Dührssen spielte, hätte keiner auch nur geträumt, den Weißen dazu einzuladen, seine Bauern in der aufgezeigten Weise vorziehen zu lassen. Der Bauerntausch mit 2…ed galt als unvermeidlich. 2…de 3. Dxd4 Vorzuziehen ist zweifellos 3. Sf3, womit verhindert wird, dass die Dame auf Felder geführt wird, wo sie Angriffen durch gegnerische Leichtfiguren ausgesetzt ist. Gegen einen schwächeren Spieler hat der Springerzug den zusätzlichen Vorteil, dass er ihn veranlassen könnte, seinen Bauern zu verteidigen mit 3…c5 und damit das Schottische Gambit des Weißen 4. c3 mit ec zu akzeptieren. Nach 5. Sxc3 hat Schwarz wirklich ein schwaches Spiel. Sein Königsläufer ist durch den Bauern c5 blockiert. Seinen Damenbauern kann er nicht nach d5 ziehen, da er dieses Feld nicht so oft verteidigen kann wie Weiß es angreifen kann. Andererseits wird der schwarze Damenbauer auf d6 Angriffen der weißen Türme und des weißen Damenläufers ausgesetzt sein, und es ist sehr wahrscheinlich, dass Weiß mit Erfolg den Damenbauern fangen wird und dann in die siebte Reihe mit seinem Turm über d7 eindringen wird, auf diese Weise die Verbindung des Schwarzen zwischen dem Königs- und Damenflügel zu paralysieren. Der folgende Textzug wurde von Meister Jacques Mieses favorisiert, der mit ihm viele brilliante Partien gewann, aber nur weil seine Gegner nicht wahrnahmen, wie wichtig es war, den Damenbauern nach d5 und nicht nach d6 vorzuziehen. 3…Sc6 4. De3 Das verhindert zwar d5, aber nur vorübergehend. 4…Sf6 5. Sc3 Weiß wäre mit e5 schlecht beraten. Er würde die Kontrolle über die Felder d5 und f5 aufgeben, außerdem wäre sein e5-Bauer einem Angriff ausgesetzt. Nach 5. e5 Sg5 6. De4 würde Schwarz einen Bauern opfern mit d5 7. ed e.p.+ Le6 und in Anbetracht seines großen Entwicklungsvorteils würde er sicherlich zu einem durchschlagenden Angriff kommen. Auch 6. De2 würde die Position von Weiß nicht konsolidieren. Schwarz würde mit d6 fortfahren, 7. h3 Sgxe5 8. f4 Sd4 9. De4 c5 10. fe d5 11. Dd3 Lf5 usw. 5…Le7 Die Idee ist, so früh wie vertretbar d5 zu spielen 6. Ld2 d5 7. ed Sxd5 8. Sxd5 Dxd5 Es ist offenbar, dass Schwarz die bessere Position errungen hat. Er hat eine Figur mehr als Weiß entwickelt und außerdem ist seine Dame ideal im Zentrum postiert, von wo sie den a2 angreift und den Weißen zwingt, einen weiteren Zug zu investieren, bevor er auf der Damenseite rochieren bzw. seinen Damenturm entwickeln kann. 9. Sf3 Lg5 10. c4 Der Erfolg dieses Zuges ist nur vorübergehend; die schwarze Dame muss den prächtigen Platz verlassen, den sie innehatte, aber sie hat andere Felder zur Verfügung, von der sie ebenso lange Linien dominieren kann. Andererseits beinhaltet das Vorrücken des c-Bauern einen permanenten Nachteil: Der Bauer kann aufgrund seiner exponierten Stellung zum Angriffsziel werden und er beschneidet die Wirkung des Königsläufers. 10…Dh5 11. Le2 0-0-0! Weiß kann kaum riskieren, auf der Königsseite zu rochieren. Schwarz würde mit Lc5, gefolgt von The8, antworten. Daher sucht Weiß Sicherheit durch die lange Rochade, aber aufgrund des Vorrückens des c-Bauern ist der weiße König gerade dort einem Angriff ausgesetzt. 12. 0-0-0 The8 13. h3 Lxf3 14. Lxf3 Dg6 15. The1 Oberflächlich geurteilt würde man denken, dass Weiß ausgeglichen hat, abgesehen davon, dass Schwarz seine Entwicklung einen Zug früher beendet hat. Schwarz kann keinen Vorteil aus der Tatsache ziehen, dass die weiße Dame sich an exponierter Stelle befindet, da Weiß zwei Türme für die Dame bekommt, wenn Schwarz den Le7 wegzieht, und er exzellente Chancen auf einen Gegenangriff erhält. Aber der eine Zug, den Schwarz dem Weißen voraus ist, ermöglicht ihm eine starke Initiative. 15…Sd4 Droht Matt. Sb4 wäre ein schrecklicher Fehler gewesen wegen Lxb5, Lxb5 und Dxe8 usw. 16. Le4 Praktisch erzwungen, da 16. Db3 nicht ausreicht wegen Lb4; 17. Lg4+ f5 18. Dxb4 fg 19. Dc3 oder Da4, Se7+, was die Qualität gewinnt, und 16. De4 wird beantwortet mit 16…Da6 (17. Kb1 f5). Der Textzug verliert nur einen Bauern, was Weiß wegen der Öffnung der c-Linie für seinen Turm nicht weiter stört. 16…Da6 17. Kb1 Dxc4 18. Tc1 Db5 19. Lc3 Lc5 20. Dg3 20. Lxd4 Lxd4 hätte Weiß vermutlich die besten Remis-Chancen eingeräumt wegen der Läufer von unterschiedlicher Farbe. Aber Weiß dachte offenbar, dass er Gewinnmöglichkeiten besäße. Sein letzter Zug droht 21. Lxd4 Txd4 22. Lf5+, was zumindest die Qualität gewinnt. 20…Ld6 21. Dxg7?? Übersieht völlig meine Drohung. Er hatte nichts Besseres als Dd3. Nun kommt ein Opfer, das Philidors berühmte Kombination wiederholt 21…Txe4!! 22. Txe4 Sofern Lxd4, dann gewinnt Dd3 eine Figur. Weiß realisiert immer noch nicht, was mit ihm passiert. Er erwartet anscheinend Dd3+ und Dxe4. 22…Dd3+ 23. Kh1 Sc2+ Weiß resigniert, da ein Matt in drei Zügen erzwungen ist: 24. Kb1 Sa3 25. Ka1 Db1 26. Txb1 Sc2 matt. Kapitel 5: Erstes „Hauptturnier“ 1908 hielt der Deutsche Schachbund einen Internationalen Schach-Kongress in Düsseldorf ab. Auf Vorschlag von Dr.Tarrasch wurden die ersten vier Partien seines Weltmeisterschafts-Kampfes auch auf dem Kongress gespielt. Lasker galt beim Schachbund als „persona non grata“. Er hatte häufig dessen Funktionäre kritisiert, weil sie sich nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzten, das Niveau der Deutschen Meister-Turniere (gemessen an der Spielstärke der Teilnehmer) anzuheben. Anstatt diese Turniere auf die stärksten Spieler, die erreichbar waren, zu beschränken, hatten sie die Zugangs-Qualifikationen verringert und Spieler von ausschließlich lokaler Bedeutung zugelassen. Der Schachbund in Deutschland wurde geleitet von einigen wenigen Männern, die zwar ausgezeichnete Arbeit leisteten beim Organisieren von Amateur-Veranstaltungen im ganzen Land, die aber nicht den fundamentalen Unterschied zwischen dem Meisterschach und dem Schach des durchschnittlichen starken Spielers erkannten, der sich zwar in seiner lokalen Umgebung auszeichnete, aber nicht in die gleiche Klasse wie die Meister gehörte. Diesen Funktionären gelang es, jedes Jahr wiedergewählt zu werden, indem sie Vertreter auf Landesebene für sich gewannen. Die Meister missgönnten ihnen dieses kleine Vergnügen nicht, zumal sie ja die ganze organisatorische Arbeit bewältigten, zu der die Meister weder Zeit noch Neigung hatten. Als jedoch der Bund an Mitgliederzahl wuchs, fühlten sich diese Funktionäre auch immer wichtiger und wie üblich bei Organisationen, die ursprünglich für eine weitere kreative Arbeit gegründet wurden, versuchten sie schließlich gegenüber den Meistern ein diktatorisches Verhalten an den Tag zu legen. Zunächst fanden die Meister dies mehr oder weniger amüsant, aber als die Vertreter des Schachbundes sich anmaßten, die Stärke der Spieler zu beurteilen und auch Nicht-Meister, die sie als qualifiziert erachteten, einluden, ohne die Meister um ein Urteil zu bitten, wer gut genug für den Wettbewerb sei, streikten die Meister einfach und arrangierten ihre eigenen Wettbewerbe mit Hilfe vermögender Schachfreunde. Zuguterletzt sah sich der Bund genötigt, auf die Forderungen der Meister einzugehen, um nicht die Unterstützung des breiten Schachpublikums zu verlieren. Von da an war die Meister-Abteilung der Deutschen Schachkongresse nur solchen Spielern offen, die ihre „Sporen“ in internationalen Wettbewerben verdient hatten, und jedes Jahr wurde nur ein neuer Deutscher Meister gekürt. Das war der Gewinner des sogenannten Hauptturniers, zu dem die Gewinner regionaler Turniere eingeladen wurden. Der Spieler, der das Hauptturnier gewann, erhielt automatisch das Recht, am nächsten Meisterturnier teilzunehmen, selbst wenn ein etablierter Meister von der Einladungsliste gestrichen werden musste, um Platz zu machen für den neuen Aspiranten. Letzterer wurde offiziell als Meister anerkannt, wenn er zumindest ein Drittel der möglichen Punkte in seinem ersten Meisterturnier erreichte. Danach hatte er das Recht, an jedem folgenden Meisterturnier teilzunehmen, sofern es noch freie Plätze gab. Die deutschen Meister bestanden auch darauf, dass der Bund ausländische Meister zu seinen Turnieren zuließ. Das entfachte im übrigen in besonderer Weise das Schach-Interesse des breiten Publikums. Aufgrund meines Sieges im Akademischen Meisterschafts-Turnier war ich zum Düsseldorfer Hauptturnier zugelassen worden, und ich schaute mit erheblicher Begeisterung dieser ersten Gelegenheit entgegen, mich mit einer internationalen Gruppe von Aspiranten um den Meistertitel zu messen. Als ich zusammen mit den anderen Spielern aus Berlin in Düsseldorf ankam, erzählte uns das Mitglied des Empfangskommittees, das uns an der Bahnstation erwartete, dass Frank Marshall, der Favorit des Meistertuniers, bereits in der Stadt sei und mit einem jungen russischen Schüler trainiere, der für das Hauptturnier gemeldet habe. Dieser 15-jährige schien stark genug zu sein, um Marshall Bauern und Zug vorzugeben, zumindest in Schnellpartien. Der einzige Nachteil des Jungen, so sagte er, sei, dass er nicht seine Pläne überzeugend umsetzen könne. Er hätte blonde Locken, die er unaufhörlich zwischen seinen Fingern drehe, und man könnte vorhersagen, ob er plane am Königsflügel oder am Damenflügel anzugreifen, da er im ersteren Fall jeweils die Locken an der rechten Seite seines Kopfes drehte, im letzteren Fall auf der linken Seite. Obwohl wir bemerkten, dass unser freundlicher Begleiter nicht ganz ernst zu nehmen war, waren wir wahrlich beeindruckt, und fanden bald heraus, welche Art von Schach der Junge tatsächlich spielte, als wir ihn in einigen Blitzpartien „in Angriff nahmen“. Er gewann sie alle. Zu jener Zeit bedeutete sein Name nicht viel für uns. Aber wir konnten uns von seiner Bedeutung anhand von Schach-Überschriften in den nächsten dreissig Jahren überzeugen. Denn es war niemand anders als Alexander Alexandrovitsch Aljechin. Am Tag vor meiner Ankunft hatte Emanuel Lasker die erste Partie seines Matches gegen Tarrasch gewonnen, und drei weitere Partien wurden in der selben Halle gespielt, in der unser Turnier stattfand. Daher hatten wir Gelegenheit, zwischen den Zügen den großen historischen Kampf um die Weltmeisterschaft zu verfolgen. Ich war zufällig der einzige Zeuge der Art seiner Vorbereitung für diesen Zweikampf. Drei Wochen vor dem geplanten Beginn des Matches zog er sich in ein kleines Apartment im Grunewald zurück, einen Wald in der Nähe von Berlin, um sich zu entspannen und eine gute körperliche Verfassung zu erlangen. Er nahm keinerlei Schachbrett mit sich, auch hatte er weder Schachbuch noch Zeitschriften, die ihn vom Nachsinnen über die Natur oder von Arbeiten über mathematische oder philosophische Themen hätten ablenken können. Er hatte mich aufgefordert, ihn jeden Nachmittag aufzusuchen, um eine Partie Go mit ihm zu spielen. Das Thema Schach wurde niemals erwähnt bis zum letzten Tag vor seiner Abreise nach Düsseldorf. Er sagte zu mir:“Nun, wenn ich morgen das Glück haben sollte und Weiß in der ersten Partie ziehen sollte, denke ich, dass ich die Abtauschvariante in der Spanischen spielen werde. Können Sie mir sagen, wie irgend jemand mit dieser Eröffnung verlieren kann?“ Lasker zog tatsächlich Weiß und spielte diese Variante, wobei er das Spiel aufgrund überlegener Strategie im Endspiel gewann. Das Match hatte ein sehr amüsantes Vorspiel in München gehabt, wo Tarrasch lebte. Letzterer war ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, der niemals in der Lage war, seine kolossale Selbstüberschätzung hinreichend zu verbergen und der nicht zu einem Gespräch mit Lasker bereit war wegen einer Meinungsverschiedenheit, die sich während der Verhandlungen vor dem Match ergeben hatte. Am Tage, bevor Tarrasch München in Richtung Düsseldorf verließ, überflog er einige Eröffnungsvarianten im Schachklub, wo sich auch einige seiner Freunde versammelt hatten, um ihm alles Gute zu wünschen. Er sagte zu ihnen:“ Mit Sicherheit werde ich mit diesem Menschen kein Wort wechseln. Die einzigen Worte, die ich an ihn richten werde, werden sein: Schach und Matt!“ Nun, Vorhersagen sind gefährlich, selbst für einen Großmeister. Tarrasch stand zu seiner Aussage und weigerte sich bei Matchbeginn, Lasker selbst die Hand zu geben. Soweit es die Konversation mit Tarrasch betraf, wurde daher Lasker auch auf diese beiden Worte reduziert, aber er war in der Lage, sie häufiger zu benutzen. Er gewann das Match mit acht zu drei bei fünf Unentschieden. Als ich in Düsseldorf ankam, lachte Lasker:“Alles verlief nach Plan. Aber ich werde diese Variante nicht nochmal spielen.“ Während der ersten Runden unseres Turniers verließ er gelegentlich seinen Tisch und beobachtete mein Spiel, eine Tatsache, die mir eine gewisse moralische Unterstützung verlieh. Ich brauchte das auch dringend, wie der Verlauf des Turniers bald zeigte. Zu Beginn schnitt ich recht gut ab: Ich spielte Remis in dem Erst-Runden-Spiel gegen den Favoriten Koehnlein, den bayerischen Meister, der tatsächlich das Turnier gewann, besiegte einen 17 Jahre alten Außenseiter namens Wiarda, der Zweiter wurde. Aber ich erzielte nur einen halben Punkt aus den fünf Spielen gegen den Rest der Preisgewinner, den Ungan Gajdos, den Tschechen Trcala, den Holländer de Baudet, den Österreicher Bauer und den Russen Aljechin. Letzterer teilte den vierten und fünften Preis und ich wurde siebter. Das Spiel, das ich gegen Aljechin verlor, erwies sich als eine instruktive Lehrstunde aufgrund einer Bemerkung, die Emanuel Lasker machte und an die ich mich meine ganze Schach-Karriere hindurch erinnert habe. Als ich die Partie gegen Aljechin verloren hatte und mich gerade von meinem Stuhl erhob, bemerkte ich Emanuel Lasker, der hinter meinem Rücken stehend alles beobachtet hatte. Er sagte:“Wissen Sie, warum Sie dieses Spiel verloren haben? Sie kopierten die Züges Ihres Gegners in einer symmetrischen Stellung, in der er einen Zug voraus war.“ Ich protestierte, dass ich Aljechins Züge nicht imitierte hätte. Aber Lasker sagte:“ Spielen Sie die Partie noch einmal nach und Sie werden herausfinden, dass ich recht habe!“ Er hatte tatsächlich recht. Ich schäme mich fast, diese Partie hier zu veröffentlichen, aber da es sowohl für Aljechin als auch für mich das erste internationale Turnier war, hat dieses Spiel ein gewisses historisches Recht, in dieses autobiografische Schachlehrbuch aufgenommen zu werden. Eduard Lasker – Alexander Aljechin 1. e4 e5 2. Sf3 d6 3. d4 Sd7 Diese Eröffnung, genannt Hanham Variante der Philidor Verteidigung, nicht zu verwechseln mit der Nimzowitsch Variante 3…Sf6, führt zu einem schwierigen Spiel für Schwarz, wenn Weiß es versteht, die schwarzen Figuren in einem beengten Zustand zu behalten, der aus der Position des Sd7 resultiert. 4. Lc4 c6 5. c3 Ein seltsamer Zug, geboren aus meiner Unerfahrenheit. In einer Eröffnung, in der der Gegner zögert, seinen König aus dem Zentrum heraus auf einem der beiden Flügel zu positionieren, besteht die beste Strategie natürlich darin, so früh wie möglich zu rochieren und zu versuchen, mit den Türmen auf einer der beiden Zentrumslinien zu operieren. Insofern hätte eine vernünftige Fortsetzung in 5. 0-0 Sf6 6. De2 Le7 7. Td1 bestanden. Eine andere Möglichkeit wäre 5. a4 gewesen, so dass Sf6 mit 6. Sc3 hätte beantwortet werden können, ohne die Gefahr, diese weiße Entwicklung durch b5 und b4 zu stören. 5…Sgf6? Hier hätte Aljechin zuerst Dc7 spielen sollen, um in der Lage zu sein, mit dem Springer zurückzuschlagen, sofern ich auf e5 tauschen würde. Als Antwort auf den Textzug hätte ich das schwarze Spiel unmittelbar zerstören können mit 6. de de 7. Db3 De7 8. Sg5 Sc5 9. Lxf7+ Kd8 10. Dd1+ und Lc4. Dass ich den Tausch auf e5 unterlassen habe, macht den ganzen Unterschied. 6. Db3 De7 7. de? Der Tausch ist zu diesem Zeitpunkt ohne Bedeutung, da Schwarz nicht mit dem Bauern zurücknehmen muss und Weiß keine Zeit für den Angriff Sg5 hat. 7. Sg5 zu spielen, wäre sehr gefährlich gewesen, da Schwarz wie folgt hätte antworten können: 7…d5 8. ed cd 9. Lxd5 Sxd5 10. Dxd5 ed+ 11. Kd1 Sf6 12. Dxd4 Lg4+ 13. Kc2 Lf5+ 14. Kb3 h6 15. Sf3 Se4 mit einem überwältigenden Angriff. Ein Beispiel dafür, wie das Umstellen zweier Züge eine Gewinnposition in eine Verluststellung bringen kann. 7…Sxe5 8. Sxe5 de 9. Sd2 Dc7 10. 0-0 Lc5 Die letzten Züge sind offensichtlich unter dem Gesichtspunkt geschehen, die Entwicklung der Figuren voranzutreiben. Um meinen Damenläufer herauszubekommen, muss ich zuerst meinen Springer bewegen, aber ich kann wiederum nicht tun, ohne zunächst meinen e-Bauern zu decken. Die Methode, die ich hierfür wählte, Dc2, war offensichtlich das, was Emanuel Lasker im Sinne gehabt hatte, als er sagte, dass ich Aljechins Züge kopiere. Was ich hätte tun sollen, war 11. Ld3 zu spielen, gefolgt von 12. Sc4 und 13. Le3. Auf diese Weise hätte ich meinen f-Bauern mobilisiert mit der Möglichkeit, vorzurücken, womit ich Raum für einen Angriff am Königsflügel erhalten hätte. So wie ich spielte, sicherte sich Aljechin und nicht ich diesen Vorteil. 11. Dc2 0-0 12. Sb3 Das sieht nicht so aus, als sei es ein guter Zug, weil der Springer von b3 aus weniger Chancen hat, am Spiel teilzunehmen als vom Feld d2. Sf3 hätte eine komplett symmetrische Position ergeben mit der Initiative auf seiten von Schwarz. Deshalb wollte ich den Zug nicht machen. 12…Lb6 13. Lg5 Ein Routine-Entwicklungszug, der in dieser Position wenig Bedeutung hat. Der beste Plan war immer noch die Vorbereitung von Le3, vielleicht mit 13. Ld2 und 14. Tae1, weil der schwarze Läufer des Schwarzen sehr aktiv plaziert ist im Gegensatz zum schwarzen Läufer des Weißen. 13…Se8 Vorbereitung zum Vertreiben meines weißen Läufers, so dass der f-Bauer vorrücken kann. 14. Tad1 Sd6 15. Le2 Da Schwarz angreift, hätte ich an das Abtauschen von Figuren denken sollen. In Anbetracht dieses Ziels hätte ich 15. Le3 spielen sollen, um f5 mit 16. ef Lxf5 17. LxL beantworten zu sollen. 15…f5 16. Sd2 ?? Ein kräftiger Schnitzer, der, was nicht selten passiert, eine ganze Serie minderwertiger Züge krönt. Ich übersah, dass Schwarz eine Figur gewinnen kann, indem er den f-Bauern auf die 4.Reihe vorrückt und dann h6 und g5 spielt. Hierzu gab es keine Alternative außer 16. ef Lxf5 17. Dc1 und 18. Le3. 16…f4 17. c4 Ld4 Aljechin fühlt sich so sicher, dass er die Partie gewinnt aufgrund der überlegenen Position seiner Figuren und seines räumlichen Vorteils, den er am Königsflügel genießt, dass er es verschmäht, meinen Läufer zu gewinnen. Er kann kaum befürchtet haben, dass ich nach den folgenden Zügen einen ausreichenden Gegenwert für die Figur erhalten hätte: 18…h6 19. Sxd4 ed 20. c5 Se8 21. Lc4+ Kh8 22. De2 De5 oder 21. Dc4 Kh8 22. Lxh6 gh 23. Dxd4+ 19. Sxd4 ed 20. f3 Df7 Schwarz transferiert nun beinahe gemächlich seine Figuren auf Positionen, von denen aus sie wahrscheinlich am Besten zum bevorstehenden Untergang meines Königs beitragen würden. Die Dame peilt die g-Linie an und der Springer das Feld e5. Nach dem Vorrücken des h- und des g-Bauern werden die schwarzen Türme eine sinnvolle Beschäftigung auf der h- oder g-Linie finden. Meine Figuren sind andererseits mehr oder weniger zu Inaktivität verdammt. Mein weißes Bauernskelett blockiert meine Dame und meinen Königsläufer. Meine Türme haben keine offene Linie und mein Damenläufer wird sich bald zurückzuziehen haben in Anbetracht der vorwärts stürmenden schwarzen Bauern am Königsflügel. Ich wusste damals noch nicht genügend über positionelles Schach um zu bemerken, wie hoffnungslos meine Position in Wirklichkeit war. Heutzutage wäre mein einziger Gedanke, Mobilität für meine „Männer“ selbst auf Kosten eines zu opfernden Bauerns zu erhalten, anstatt zu verharren und zu hoffen, dass ich genügend Verteidigungskräfte innerhalb des eingeschränkten Raumes mobilisieren könnte, in dem ich mich eingesperrt befand. Eine vielversprechende Möglichkeit, die sich als ziemlich natürlich anbietet, ist 21. e5 Se8 22. De4. Der Bauer auf e5 ist vielleicht schwach, aber Schwarz kann ihn nicht ohne weiteres gewinnen. Daneben hat Weiß selbst einige Drohungen, die Schwarz nur durch höchst sorgfältige Entwicklung vereiteln kann. Er kann kaum mit 22…Lf5 fortfahren, da Weiß eine Figur für drei Bauern opfern könnte mit 23. Dxf4 h6 24. Lh4 g5 25. Lxg5 hg 26. Dxg5+ mit ausgezeichneten Chancen in dem sich hieraus ergebenden Endspiel. Aber auch 22… Le6 scheint nicht ratsam wegen 23. Ld3. Dann, sofern Lf4, kann Weiß fortfahren mit 24. Dd5 Lxd3 25. Txd3 Tc8 26. Le7!, so dass er zwei verbundene Freibauern erhält, die zum Gewinn reichen sollten. Auf 25… Sc7! könnte Weiß wie folgt antworten: 26. Dxb7 Df5 27. Le7! Tfb8 28. Dxc7 Dxd3 29. Dxc5 mit einem weit offenen Endspiel, in dem seine Chancen genau so gut sind wie die des Schwarzen. Der beste Plan für Schwarz wäre gewesen: 22…h6. Danach hätte 23. Ld3 Lf4 24. Dxf5 Dxf5 25. Lxf5 Txf5 einen Turm gewonnen. 23. Lh4 g5 24. Lf2 Lf5 25. Dd5 Tc8 hätte die größten Probleme für Weiß heraufbeschworen, aber diese Fortsetzung war sicherlich nicht leicht am Brett zu finden. Ich dürfte den Zug 21… Lf5 als Antwort auf e5 gefürchtet haben. Aber dann hätte ich die Dame nach c1 zurückziehen können. Ich konnte dagegen nicht meinen Läufer dazwischen stellen: 22. Ld3 Lxd3 23. Dxd3 Sxc4 24. De2 Tae8 25. Lxf4? d3! Und Schwarz gewinnt. Was ich tatsächlich spielte, war positioneller Selbstmord: 21. Ld3?? Das verwandelt den Läufer in einen bloßen Bauern. Der Drohung e5 kann jetzt leicht begegnet werden. 21… h6 22. Lh4 Le6 23. Tac1? Erneut wird eine Figur zur Deckung eines Bauern verwendet. B3 war der einzige in Betracht kommende Zug. 23… g5 24. Le1 Dg7! Das schafft Raum für den Springer. 25. g4?? Das hilft allein Schwarz bei der Öffnung der Linie mit h5. Die einzige Chance war 25. Ld2 oder zuerst 25. h3 h5 und dann 26. Ld2, so dass Schwarz einige vorbereitende Züge zu machen hat, bevor er mit dem g-Bauern vorrücken kann. Zwischenzeitlich habe ich die Gelegenheit, mit dem König zum Damenflügel zu entkommen. 26… Tf6 27. Tf2 Taf8 28. Kf1 Sf7 29. Ke2 Se5 30. Tg1 g4 31. hg hg 32. Dc1. Natürlich sollte Schwarz bei bestem Spiel in jedem Fall gewinnen, da er eine größere Beweglichkeit hat. 25… Sf7 26. Kf2 Se5 27. Tg1 Tf6 28. Ke2 h5! Das Ende ist nahe. 29. gxh wäre beantwortet worden mit Sxf3! 30. Kxf3 Dh6!, woraufhin das Schach Dxh5 fatal gewesen wäre. 29. h3 hxg4 30. hxg4 Th6 31. Tg2 Th3 32. Tf2 Sxf3. Aufgegeben, da 33. Txf3 Lxg4 die Qualität sowie zwei Bauern verliert. Die weißen Figuren auf dem Damenflügel sind bemitleidenswert inaktiv geblieben, was bis zu einem bestimmten Maße erklärt, warum Schwarz leicht gewinnen konnte selbst ohne seinen Damenturm entwickelt zu haben. Ja, ich hatte viel zu lernen. Kapitel 6: Berliner Meisterschaft Nach meiner Rückkehr nach Berlin sah ich mich einem schwierigen Problem gegenüber. Ich hatte an der Universität drei enge Freunde, die alle zur gleichen Zeit mit mir das Studium begonnen hatten und die sich nun auf die abschließenden Examina vorbereiteten. Ich hatte zuviel Schach gespielt, so dass ich nicht einmal annähernd so vorbereitet gewesen wäre, dass ich das Risiko des Examens hätte eingehen können. Meine Mutter war über meine Freunde sehr gut informiert. Sie wusste auch, dass sie dabei waren, innerhalb von sechs monaten ihren Abschluss zu machen. Für sie bedeutete das natürlich auch, dass ich ebenfalls mein Studium beenden würde. Würde ich bei den Examina durchfallen, wäre ich niemals in der Lage gewesen, meine Mutter davon zu überzeugen, dass es andere Gründe für meinen Misserfolg gegeben hätte als mein exzessives Schachspielen, und sie würde ihre finanzieller Unterstützung einstellen. Ich würde dann die Universität verlassen und irgendeinen Beruf ergreifen müssen – ein Gedanke, zu schrecklich, als dass ich darüber nachdenken wollte. Geschäftsleute, Bankangestellte, Makler, kurz, alle diejenigen, die im täglichen Handel und Wandel engagiert waren, wurden gesellschaftlich weit unter den Akademikern angesiedelt, wenn sie nicht an einer Universität gewesen waren und einen akademischen Titel erworben hatten. Der intellektuelle Snobismus und die Sucht nach akademischen Titeln, die speziell in jenen Tagen vorherrschte, machte es für einen einfachen Geschäftsmann praktisch unmöglich, in der „Gesellschaft“ akzeptiert zu werden – damals das Synonym für intellektuelle Gesellschaft. Das erklärt, warum viele Unternehmens- und Bank-Präsidenten und andere geschäftliche Spitzenleute in Deutschland den Doktortitel hatten, entweder den Doktortitel in Jura oder Philosophie – bis die fantastische Inflation von 1923 die Mehrheit der ehrlichen wohlhabenden Personen ruinierte, so dass sie es sich nicht länger leisten konnten, ihre Söhne auf eine Universität zu schicken, bevor sie ihren Platz im Geschäftsleben einnahmen. Schon lange bevor ich am Düsseldorfer Turnier teilnahm, hatte ich die enge Situation vorhergesehen, auf die ich zusteuerte. Als die Universität im Frühjahr 1908 einen Spezialpreis für die Lösung eines mathematischen Problems auslobte, habe ich daher diese Gelegenheit für eine zusätzliche Arbeit ergriffen, die mir eine vernünftige Entschuldigung bot, dass ich meine Examensprüfungen verschoben hatte. Der größere Teil der Zeit, die für die Vervollständigung der mathematischen These zugestanden worden war, war verstrichen, und ich hatte nur noch etwa vier Monate übrig, um die Lösung auszuarbeiten. Dieses mal wusste ich, dass die Dinge ernst waren, und ich machte einen großen Bogen um jedes Schachbrett. Ich arbeitete wortwörtlich jeden Tag von früh bis spät, und ich war so nahe an einem Nervenzusammenbruch, dass die Ereignisse des letzten Arbeitstages sich sehr lebendig in mein Bewusstsein gegraben haben. Ich hatte die Lösung des Problems gefunden: Die Winkel im Raum, die unverändert bleiben, wenn sie von einem gegebenen Punkt auf eine gegebene Fläche projeziert werden, werden alle gebildet durch Tangenten an einer bestimmten Oberfläche der sechsten Ordnung. Ich fühlte, dass ich diese Form klar in meinem Manuskript definiert hatte. Jedoch beschloss ich, ein Modell eines Teils der Oberfläche hinzuzufügen, um es dem Leser zu erleichtern, sich in seiner geistigen Vorstellung ein geeignetes Bild von dieser Form zu machen. Ich hatte gerademal einen Tag übrig, um das Modell zu kompletieren. Um die Form der Oberfläche sichtbar zu machen, konstruierte ich zwölf flache Abschnitte aus durchsichtigem Material durch eine Symmetrie-Achse, die die Oberfläche zufällig hatte. Ich zeichnete diese Kurven von Schnittpunkten mit indischer Tinte, so dass man die Kurven von fünf oder sechs Abschnitten ziemlich klar erkennen konnte, wenn man durch eine einzelne Sektion schaute, und somit eine gute Vorstellung der Form erhielt. Drei Freunde halfen mir, die zwölf Sektionen in hölzerne Rahmen zu kleben, die wiederum auf eine hölzerne Basis geklebt wurde mit ungefähr 24 Inches (ca. 60 cm) im Durchmesser. Es war kurz nach Mitternacht, wenn alles am richtigen Platz angeklebt war, und meine einzige Sorge war, ob diese seltsame Kreation über Nacht trocknen würde, ohne ihre Form zu verlieren. Einer meiner Freunde meinte, er wisse, wie man damit richtig umgehe, und er brachte einen Stapel Bücher, wobei er vorschlug, diese auf der Konstruktion zu platzieren, um sie fest zu machen. Meine Nerven waren so angespannt, dass ich sicher war, dass das Gewicht der Bücher die ganze Angelegenheit zusammen stürzen ließe und die Arbeit eines ganzen Jahres umsonst gewesen wäre. Ich schrie meinen Freund an, um Gottes willen von dem Modell fern zu bleiben, und ich sprang zu ihm, wobei ich die Bücher aus seinen Händen stieß und sie zu Boden fielen. Die drei Kameraden schauten sich einander an und als ob sie zur gleichen Zeit von dem gleichen Gedanken beseelt worden waren, wandten sie sich ohne auch nur ein Wort auszutauschen mir zu, hoben mich auf ihre Schultern und trugen mich aus dem Raum. Ich wehrte mich vergeblich. Sie legten mich auf ein Sofa, gaben mit eine Schlaftablette und sagten mir, dass sie den Raum abschließen würden, so dass jeder Versuch meinerseits, das Modell zu kontrollieren, unnütz sein würde, bis sie mich am nächsten Morgen zu ihm gehen lassen würden. Nun sie mussten mich am nächsten Tag wecken und das Modell nebst Manuskript wurden sicher von uns allen fünf Minuten vor Abgabeschluss, 11.00 Uhr, abgegeben. Die folgenden 18 Monate arbeitete ich hart für meinen Abschluss, wobei ich die unaufhörlich Plackerei nur zweimal unterbrach, während der Semesterferien. Bei einer dieser Gelegenheiten, es war 1909, forderte ich Erich Kohn, den Meister von Berlin, zu einem kurzen Zweikampf heraus. Bei der anderen Gelegenheit , das war 1910, machte ich einen zweiten Versuch, den Meistertitel in einem „Hauptturnier“ zu gewinnen. Erich Kohn war ein hochbegabter junger Mann aus einer Familie, die zu arm war, als dass sie ihn auf die Universität hätte schicken können.Er hatte jedoch einen Gönner gefunden, der ihm anbot, das Studium zu finanzieren, um ihm den Abschluss eines Doktors der Philosophie zu ermöglichen, so dass er eine Position als Lehrer in seinem bevorzugten Fach, Kunstgeschichte, erreichen könnte. Cohn sah so gut aus wie ein „Griechischer Gott“, dabei sehr bescheiden und ernsthaft, interessiert an jeder Phase intellektuellen Bestrebens. Aber Schach erwies sich als sein Verderben. Nach Gewinn des Meistertitels konnte er der Versuchung nicht widerstehen, zu den vielen Meisterturnieren, die in Deutschland und den anliegenden Staaten organisiert wurden, zu reisen. Er war nicht so glücklich wie ich, der ich drei Freunde hatte, die mir dabei halfen, den Dämon zu bekämpfen, die Verhaltens-ändernde geistige Droge, die Schach bei jungen, eindrucksvollen und ehrgeizigen Leuten sein kann. Cohn vernachlässigte nach und nach sein Studium, er machte seinen Abschluss nicht in der üblichen Zeit und sein Gönner versagte ihm die weitere Unterstützung. Damit war er gezwungen, sich dem Schach als Berufsspieler zu widmen. Aber ohne die antreibende Energie eines Mieses und der turmhohen Kraft eines Teichmanns driftete Cohn von schlechten Lebensumstände in pure Not ab, und als er zu Beginn des Ersten Weltkriegs fiel, dachten viele seiner Freunde an das Sprichwort: Wen Gott liebt, den ruft er schon in jungen Jahren zu sich. Cohn hatte einem kurzen Match über vier Partien zugestimmt, so dass es innerhalb einer Woche beendet werden konnte. Er hatte die weißen Steine im ersten Spiel und spielte Spanisch, dem ich eine Variation der Tschigorin-Verteidigung entgegensetzte, die an Akzeptanz verlor, nachdem in einer berühmten Partie Teichmann während des großen Turniers in Karlsbad 1911 Schlechter zerschmettert hat. Hier sind die ersten 13 Züge von der Partie: Erich Cohn – Eduard Lasker 1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Le7 6. Te1 b5 7. Lb3 d6 8. c3 Sa5 9. Lc2 c5 10. d4 Dc7 11. Lg5 Sc6 12. h3 Lb7 13. Sbd2 0-0 Zur Stellung nach 13 Zügen: Die Entwicklung des Läufers nach b7 ist kaum zu empfehlen, da Weiß in jedem Fall beabsichtigt, die lange Diagonale mit d5 zu schließen. Der Läufer ist gewöhnlich besser auf d7 platziert, womit das Feld f5 abgedeckt ist, auf dem Weiß früher oder später einen Springer unterbringen will. Das Spiel entwickelte sich in einer ziemlich amüsanten Art. Mein Gegner konzentrierte seine gesamten Kräfte auf den Königsflügel. In Anbetracht der fatalen Aufstellung meiner Figuren, konnte ich sie nicht für eine effektive Verteidigung heranziehen, aber es gelang mir eine überraschende Flucht des Königs hin zum Damenflügel und einen Widerstand zu organisieren in der Zeit, in der Cohn seine Figuren umgruppierte. 14. d5 Sb8! Von hier aus konnte der Springer nach entsprechender Vorbereitung bereit sein für c5 oder e6. Ein anderes Verteidigungssystem beginnt mit Sd8 gefolgt von Se8, f6, g6, Sf7 und Sg7. Jedoch besitzt Schwarz speziell am Damenflügel die besten Chancen auf Raumgewinn. Und der Plan, den Bauern nach f4 vorzurücken und den Springer auf f5 zu platzieren, führt daher eher zu einer gewissen Art von Initiative. 15. Sf1 Se8 Schwarz hätte es gerne, wenn Weiß die Läufer abtauscht, nicht nur um die beengte Position der schwarzen Figuren zu verbessern, sondern auch, weil sich die schwarzen Zentrumsbauern auf schwarzen Steinen befinden, so dass der Königsläufer kaum Spielraum hat. 16. Le3 Lf6 Der Läufer zielt nach g7, aber dieses Feld scheint eher das beste Feld für den Springer zu sein. 17. g4 g6 18. Sg3 Lg7 19. Kh2 f6 20. Tg1 Sd7 21. Sh4 Weiß beabsichtigt möglicherweise Dd2, Tg2, Tag1 und schließlich Sgf5. Selbst dann ist jedoch nicht klar, ob er einen Durchbruch erreicht, wenn Schwarz das Opfer nicht annimmt, so dass die g-Linie geschlossen bleibt. Mit anderen Worten, ich hätte hier eine Gegendemonstration am Damenflügel starten können, vielleicht mit c4 und Sc5 beginnend oder mit a5 und Sb6. Aber ich hatte Angst vor der Ansammlung der weißen Kavallerie und Artillerie und beschloss, davonzulaufen, allerdings nicht ohne mich, wie ich mich erinnere, der Komik zu erfreuen, die ich in ziemlich gelöster Stimmung in der Stellung erblickte. 21. ..Kf7 22. Sg2 Ke7 23. De2 Sb6 24. Tgf1 Lc8? Ich weiß nicht, was auf Erden mich zu diesem Zug veranlasste. Ich konnte den f-Bauern in keinem Fall vorrücken, da Weiß das Zielfeld viermal abdeckte. Daher hätte ich ebenso gut fortfahren können, den König weiter zu bewegen. 25. f4 Kd8 26. fe de 27. Df2 Sd7 Die Strategie von Weiß ist klar und logisch. Er lockert meine Bauernkette so weit wie möglich und öffnet eine Linie für seine Türme auf dem Damenflügel. Das sollte ihm einen Vorteil bringen, da meine Türme nicht miteinander verbunden sind. Es braucht einige Zeit, bis ich meinen Königs-Turm auf die Damenseite „werfen“ kann. 28. a4 Lb7 29. ab ab 30. Txa8+ Lxa8 31. Ta1 Lb7 32. b4 Das sieht mörderisch aus. Es erzwingt die Öffnung der Diagonale, auf der Dame und Läufer von Weiß zusammen wirken. Wenn ich meinen Bauern nach c5 ziehe, verliere ich dieses Feld als möglichen Vorposten für meinen Springer, und weiterhin bin ich nicht in der Lage, für meinen Turm eine Linie zu öffnen zum Ausgleich für die offene Linie, deren sich der weiße Turm erfreut. Vielleicht dachte Weiß nicht, dass ich den Mut haben würde, Bauern zu tauschen und damit die Linie zu öffnen, in der meine Dame platziert ist und die der weiße Turm besetzen konnte, bevor ich meinen eigenen Turm zur Abwehr bereitstellen konnte. Aber ich stellte fest, dass in dem Bauerntausch meine einzige Überlebens-Hoffnung bestand, da dieser mir zumindest ein Ziel bot, auf das ich mich einschießen konnte, der Bauer auf dem Feld b4. Zudem hatte ich aufgrund zweier offener Linien auf dem Brett zumindest die Chance, auf der Linie zu operieren, die von dem weißen Turm nicht für seine Aktion ausgewählt worden war. 32…cxb4 33. cxb4 Tf7 34. Se1 Das gibt mir wertvolle Zeit. Ich glaube, mit Ld3 und Lc5 hätte Weiß einen überwältigenden Angriff erhalten. Der weiße Springer zielt auf den starken Vorposten c5, was sicherlich ein guter Plan ist, aber bei der Ausführung übersieht Weiß eine trickreiche Verteidigung, die ich vorbereitet hatte. 34…Lf8 35. Sd3 Dc3! Verfolgt den Angriff auf den einzigen schwachen Punkt auf dem Gebiet von Weiß und provoziert das sehr natürlich und stark aussehende Manöver Ta7 und Sc5, was sich jedoch als Fehler erweist. 36. Ta7 Kc8 37. Sc5? Sxc5 38. bxc5 Lxd5 Obwohl ich von dieser plötzlichen Wende im Schlachtenglück profitierte, bin ich froh, sagen zu können, dass ich, obwohl ich noch ziemlich jung war, als ich diese Partie spielte, ein gewisses Gefühl der Enttäuschung hatte bei dieser gelegentlichen Ungerechtigkeit bei Schachpartien, die es zuließ, dass die harte Arbeit vieler Stunden höchster Konzentration sich in nichts auflöste, ohne jeden offensichtlichen Fehler des Spielers, der es verdient hätte, sich des Lohnes seiner Bemühungen zu erfreuen. Mit war voll bewusst, wie unverdient es war, dass ich aus dieser Kombination mit einem Bauerngewinn entkommen sollte, schließlich hatte mein Gegner Züge gemacht, die gemessen an den anerkannten Prinzipien guten Spiels eigentlich exzellent hätten sein müssen. Noch heutzutage fühle ich, dass dieses Element verzwickter Unfälle, denen wir hier und dort im Spiel begegnen, in gewissem Maße den ästhetischen Effekt des Schachs beeinträchtigt. Ich denke, jede wissenschaftlich geneigte Person würde rebellieren gegen solche Ausnahmen von den allgemeinen, unantastbaren Gesetzen. Im praktischen Turnier- und Match-Spiel ist dieser ästhetische Makel natürlich irrelevant. Langfristig wird wahrscheinlich ein Spieler verlorene Partien genau so oft gewinnen wie gewonnene Partien verlieren. 39. ed! Weiß erkent, dass nach dem Tausch der Türme der Freibauer auf der b-Linie schnell das Spiel zu meinen Gunsten entscheiden würde. Er entschied sich daher, seinen Turm für meinen Läufer zu geben, weil er auf diese Weise zwei verbundene Freibauern erhielt. 39… Txa7 40. d6 Ta3 Nicht Ta2, weil Lf5+ die Qualität zurückgewonnen hätte. In Anbetracht der vorgerückten Bauern auf dem Königsflügel sind alle Figuren des Weißen durch den kombinierten Druck meines Turmes und meiner Dame gefährdet, weil sie sich nicht auf Felder setzen können, wo sie durch Bauern beschützt werden. 41. Dg2!? Noch die beste Möglichkeit in Anbetracht der Tatsache, dass ich mit wenig Zeit übrig noch fünf Züge zu machen hatte, bevor die dritte Stunde auf meiner Uhr abgelaufen wäre. 41. Sf1 hätte zu einer mühseligen und unzweifelhaft nicht erfolgreichen Verteidigung geführt: Kd8 (droht Ta2); 42. Le4 b4 und der Bauer marschiert fast unbehelligt zur achten Reihe. Der Textzug droht Remis durch ewiges Schach. 41…Sc7?? Hier hätte Meister Ossip Bernstein gesagt: „Die ausgleichende Ungerechtigkeit des Schachs“. Nach diesem Zug ist die Partie, die ich gerechterweise niemals hätte gewinnen dürfen, unentschieden. Kd8, das ebenso das Damenschach vermeidet, hätte ohne Schwierigkeiten gewonnen. 42. Le4 Sd5 Die Idee des vorherigen Zuges. Das Ziel ist, soviele Figuren wie möglich abzutauschen, um ein Endspiel zu erzwingen, von dem ich erwartete, dass der entfernte Freibauer gewinnen würde. Se6 hätte zum Verlust der Partie geführt wegen 43. Lb7+ sowie 44. Dc6. Weiß gewinnt nun die Qualität zurück. Der Versuch, den Angriff mit 43. Lxd5 Dxe3 44. Le6+ Kb8 45. Se4 fortzusetzen, würde fehlschlagen. Der Springer würde mit Df4+ zurück nach g3 gezwungen werden und dann würde Td3 das Erreichen der zweiten Reihe ermöglichen mit fatalen Auswirkungen. 43. Ld2 Ta2 44. Lxc3 Txg2+ 45. Lxg2 Sxc3. Der 45. Zug war noch rechtzeitig gemacht worden, und ich hatte die Muße, die geeignete Endspiel-Strategie mir auszudenken. Bevor ich in die ganze Abwicklung hinein ging, hatte ich bemerkt, dass ich die beiden weißen verbundenen Freibauern gewinnen konnte, wobei ich nur einen eigenen Bauern hingeben musste, unde ich hatte erwartet, in eine theoretisch gewonnene Position zu kommen mit zwei Freibauern, die durch mehr als eine Linie getrennt sind, in einem Endspiel, in dem die beiden einzigen verbliebenen Figuren die Läufer mit unterschiedlicher Farbe waren. Natürlich würde Weiß Se4 spielen. Die Antwort b4 würde dann zur folgenden Zugfolge führen: 47. c6 Sxe4 48. d7+ Kc7 49. Lxe4 Le7 50. h4 Kd6 51. h5 gh 52. gh h6 53. Kg3 Ld8 54. Kg4 Ke6 55. Lc2 Kd5 56. Kf5 und ich konnte nicht sehen, wie Schwarz das Spiel gewinnen sollte. Nach 56…Kxc6 57. Kg6 Kxd7 58. Kxh6 gab es keinen Weg den weßen Bauern zu stoppen außer e4 zu spielen, 59. Lxe4 Ke6 60. Kg6 f5 61. Lxf5+ Ke5 und Lf6. Und sofern 56….Kd4, könnte der weiße Läufer auf den Feldern e4 bis b1 je nach Bedarf unbegrenzt zurück- oder vorgehen. Sollte der schwarze König nach c3 vorrücken, würde Weiß selbst mit Ke6-f7-e8 usw. das Spiel gewinnen. Aus diesem Grund hatte ich den Eindruck, das ich die weißen Freibauern auf schwarzen Feldern zu halten und sie ohne Zögern zu schlagen hatte. Und ich spielte 46. Se4 Sxe4 47. Lxe4 Kd7 48. Ld5. Weiß beabsichtigt, seine beide Bauern auf dem Königsflügel abzutauschen und die beiden verbleibenden schwarzen Bauern des Königsflügels auf schwarzen Feldern zu halten. 48…Lh6 49. Lg8 Lf4+ 50. Kg2 h5 51. Lh7 hg 52. hg Le3! nicht g5, weil Weiß unmittelbar das Remis erzwingen konnte mit 53. Ld3 b4 54. Lb5+ Ke6 55. Lc4+ usw. 53. Lxg6 Lxc5 54. Ld3 b4 55. Kf3 Lxd6?? Wenn das Endspiel überhaupt gewonnen werden konnte, dann durch das schnellstmögliche Vorrücken des Freibauern auf der b-Linie sowie des Königs. Die geeignete Fortsetzung war daher 55…b3! Das Spiel könnte dann folgenden Verlauf genommen haben: 56. Ke4 Kxd6 57. Lc4 b2 58. La2 Lf2 59. Lb1 Kc5 60. La2 Lh4 61. Kd3 Lg5 62. Ke4 Kb4 63. Kd3 Ka3 64. Lb1 Kb3 65. Ke2 e4! 66. Kd1 e3 67. Ke2. Die beiden Freibauern sind jetzt gestoppt und mein König kann nicht hindurchschlüpfen, um den Läufer zu attackieren. Aber durch die Hingabe meines meines e-Bauern für den verbleibenden weißen Bauern hätte ich eine zusätzliche Reihe platziert zwischen meine Freibauern und dann hätte mich Weiß nicht daran hindern können, mit dem König die siebte Reihe zu erreichen: 67…Kc3 68. Lf5 Kd4 69. Kf3 Ke5 70. Lb1 Kd6 71. Lf5 Ke7 72. Lb1 Kf7 73. Lf5 Kg7 74. Lb1 Kh6 75. Lf5 Lf4! 76. Lb1 Kg5 77. Lf5 Kh4 78. Lb1 e7 79. Kxe2 Kxg4 80. Kf2 Lg6+ 81. Kg2 f4 82. Lc2 f5 83. Le4 Lh4 und Weiß ist verloren, weil Schwarz beim nächsten Zug den f-Bauern vorrücken kann und dann mit dem König nach c1 marschieren kann, wobei er den Läufer gewinnt. 56. Ke4 Kc6 57. Lc4 Kc5 58. Lb3 Hier bot Erich Cohn das Remis an und ich akzeptierte, da alle Versuche , mit meinem König über die fünfte Reihe hinaus in das gegnerische Lager zu kommen, offensichtlich nutzlos gewesen wären, wenn Weiß nicht einen krassen Fehler machen würde. Bei einem weißen König, der das Zentrum kontrolliert und in der Lage istr, das Feld f5 zu besezten, konnte ich nicht den verbleibenden Bauern des Weißen attackieren und ihn für meinen e-Bauern eintauschen, wie in der zum 55. Zug aufgezeigten Zugfolge. Seit dieser Partie habe ich Endspiele mit Läufern unterschiedlicher Farbe immer mit äußerster Sorgfalt behandelt, gleichgültig mit wieviel Bauern ich im Vorteil war. Im zweiten Spiel dieses Matches wurde ich in der Eröffnung völlig ünberspielt, und hätte Cohn nicht versucht, die Dinge zu überstürzen, hätte ich die Partie wahrscheinlich verloren. Hier ist die Partie: Eduard Lasker – Erich Cohn
e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Sc3 Lb4 4. Lc4 Sf6 5. 0-0 d6 6. d3 Lg4 7. Lg5 Lxc3 8. bxc3 h6 9. Lc1 Dd7 10. Tb1 Tb8 11. De2 0-0 12. h3 Le6 13. Lb3 Tfe8 14. Ld2 Se7 15. Sh2 Sg6 16. f4 exf4 17. Lxf4 Sxf4 18. Txf4 Lxb3 19. axb3 Dc6 20. Dd2 d5 21. exd5 Sxd5 22. Tc4 Db6+ 23. Kh1 f5 24. d4 Dg6 Einer meiner Türme ist komplett aus dem Spiel genommen, und die offene Zentrumslinie beherrscht mein Gegner. Er droht, die Türme zu verdoppeln und die zweite Reihe zu erobern. Meine einzige Verteidigung ist das Schließen der e-Linie mit dem Springer. 25. Sf3 Te3!? Eine brilliante Idee, aber unglücklicherweise, wie es so häufig passiert, hat die Kombination ein „Loch“.Die korrekte Fortsetzung bestand in Te4 26. Se5 Dg3 gefolgt von Sf4. Ich sehe nicht, wie ich diesen Angriff hätte überleben sollen. 26. Tc5 Tae8 27. Se5 T8xe5 Sehr hübsch, aber ich kann gerade noch entkommen. 28. dxe5 Sf4 29. Tg1 Dg3 Cohn hatte ursprünglich beabsichtigt, meinen Turmzug mit Sxh3! 30. Dxe3 Sf2+ zu beantworten, was die Dame gewinnen würde nach 31. Kh2 Sg4+. Im letzten Augenblick sah er, dass ich dem Zug Sxh3 mit 30. Te1 begegnen konnte, und er hatte keine Zeit, die Konsequenzen von 30…Tg3 durchzurechnen, da seine zwei Stunden fast beendet waren. Tatsächlich hätte 31. Te3 oder Kh2 gegen Tg3 ausgereicht. 30. Txc7 Te2 . Er machte zwar seinen 30.Zug noch rechtzeitig, aber übersah, dass er als Antwort auf meinen nächsten Zug nicht meinen g2 schlagen kann. Sein bester Zug wäre Txe5 gewesen, womit er ein Tempo gewonnen hätte. Verführerisch, aber unzureichend, war 30…Sxh3! (31. Tf1?Dxe5! mit vielen Drohungen). Ich plante, 30…,Sxh3 mit 31. Txg7+!! Dxg7 32. Dxe2 Sxg1 33. e6 Kf8 34. Kxg1 b6 35. Dd4 zu beantworten. 31. Dd7 Txe5. Sofern Txg2 32. Dc8+ Kh7 33. Dxf5+ Dg6 34. Txg2!! lässt Weiß mit einem ganzen Turm vor, da Dxf5 zu einem Matt in drei Zügen führen würde. 32. Txb7 Se2?? Hier war Sxh3 der einzige Zug. Nach 33. Dxg7+ DxD 34. Txg7+ Kxg7 35. gh+ Kf6 oder33. Dc8+ Kh7 34. Txg7+ Dxg7 35. gh Df7 36. Td1 hätte Schwarz ausgezeichnete Remis-Chancen gehabt. Er übersah komplett die Drohung, die ich zur Verfügung hatte. 33. Td1 Sxc3 34. Dd8+ aufgegeben. Nach Kh7 würde ich unmittelbar mit 35. Txg7+!, gefolgt von Td7, gewinnen. (Anmerkung des Übersetzers: Möglicherweise hat hier Ed. Lasker das Resultat tendenziell geschönt. Gemäß der Megadatabase von chessbase endete die Partie zwar mit dem gleichen Ergebnis, aber einige Züge länger: 34…Kh7 35. Dd3 Te1+ 36. Txe1 Dxe1 37. Kh2 De5+ 38. g3 Dc5 39. Df3 Se4 40. c4 Sg5 41. Df4 Da5 42. Df2 Se4 43. Db2 Sf6 44. Tb5 De1 45. Txf5 Se4 46. Dg2 1:0) Der Verlust dieser Partie, deren Gewinn Erich Cohn in jeder Hinsicht erwarten konnte, wirkte sich offensichtlich demoralisierend auf ihn aus: In der dritten Partie des Matches schien er nicht länger von sich überzeugt zu sein. Wiederum baute er einen höchst gefährlichen Angriff auf, aber im entscheidenden Moment, die Zeitkontrolle stand dicht bevor, zauderte er, und der Sieg entglitt ihm durch die Finger. Erich Cohn - Eduard Lasker 3.Wettkampf-Partie Die Eröffnung war ein Damengambit, in der ich die Tarrasch-Verteidigung wählte, die in jenen Tagen als beste Möglichkeit für Schwarz galt, um ein starkes Gegenspiel zu erhalten. Erich Cohn wählte die Rubinstein-Variante dagegen, eine Spielweise, die praktisch noch in den Kinderschuhen steckte und deren feine positionellen Aspekte noch nicht durch wiederholte Turnierteste erschlossen waren. 1.d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 c5 4. cxd5 exd5 5. Sc3 Sc6 6. g3 Sf6 7. Lg2 Ich verfehlte nun die richtige Fortsetzung (Le7 8. 0-0 0-0), spielte stattdessen 7…Le6 und nach 8. 0-0 Le7 9. dxc5 Da5 10. Sg5 Dxc5 11. Le3 Da5 begannen meine Unannehmlichkeiten begannen. 12. Db3 Neben Dxb7 ist Sxe6, gefolgt von Lh3, die Drohung. Ich kann meine Dame mit Db4 nicht besonders gut dagegen einsetzen, da 13. Sb5 zumindest einen Bauern gewinnen würde (…Tc8 14. Sxe6 fe 15. Lh3 Kf7 16. Dxb4 Sxb4 17. Sd4!) Um nun nicht einen Bauern ohne Kompensation zu verlieren, suchte ich nach einer Fortsetzung, mit der ich zumindest meine Türme schnell ins Spiel zu bringen. Ich betrachtete 0-0 13. Dxb7 Tfc8 , aber wies diese Fortsetzung zurück wegen Lf4, was mich davon abhalten wrde, die offene c-Linie zu besetzen. Zuguterletzt rochierte ich mit der Leichtfertigkeit (oder Tollkühnheit ?) der Jugend auf dem Damenflügel, gerade in das Angriffsfeuer des Weißen hinein, wobei ich vage hoffte, dass die Platzierung meines Turmes ins Zentrum mir etwas Gegenspiel geben würde. 12…0-0-0 13. Sxe6 fxe6 14. Lh3 d4 15. Dxe6+ Kb8 16. Lf4+ Ka8 17. Lg2 mit der Drohung Dxc6 bc 19. Lxc6 matt. 17… Ld6! Erich Cohn hatte diese Antwort nicht berücksichtigt und war sichtbar aus der Fassung gebracht. Nach 18. Lxd6 gewinne ich die Figur zurück durch Tae8. Nichtsdestotrotz mit 19. Dc4 Txd6 20. Sb5 Tde6 21. b4 Dd8 22. Tfd1 war Weiß dabei, einen weiteren Bauern zu gewinnen und damit sehr wahrscheinlich die Partie. Aber mein Gegenüber schien den Eindruck zu haben, dass er die Partie mit einem brillianten Schlag zu beenden hätte. 18. b4! Bxb4 19. Tab1 The8 nicht Dxc3?, weil 20. Tfc1 Tae8? 21. Txc3 Txe6 22. Txc6! gewinnt. 20. Df5 Dc5 Obwohl er es verabscheut, die Damen zu tauschen, hier kann er es nicht vermeiden. 21. Dxc5 Lxc5 22. Sb5 Lb6. Am Ende hat Weiß nur den Rückgewinn seines Bauern, den er für die Chimäre eines Angriffs geopfert hat, erreicht und einem Endspiel entgegenzusehen mit einem Mehr-Bauern. 23. Lc7 Td7 24. Lxb6 ab 25. Tb2 Te5 Situationsgerechter wäre Kb8 gewesen. 26. Td1 Kb8 27. Lxc6 bxc6 28. Sxd4 Kb7 Schwarz hat seine Kompensation für den Bauern: Der weiße Springer ist vorübergehend gefesselt, und der schwarze Freibauer ist durchaus geeignet, unterstützt durch den König, sich zu einer starken Drohung zu entwickeln. 29. Tbd2? Nach diesem Irrtum kann Schwarz ein Remis durch Zugwiederholung erzwingen. Weiß hätte den anderen Turm nach d2 ziehen sollen. Dann konnte Ted5 oder Se5 mit 30. Sf3 begegnet werden und Schwarz hätte zumindest um das Remis kämpfen müssen. 29…Se4 30. Td3 Sc5 31. T3d2 Se4 Remis.
Die vierte und letzte Partie des Wettkampfes war ein ereignisloses Remis und – ich konnte es kaum glauben – ich hatte das Match gewonnen.
Kapitel 7: Großmeister-Begegnungen Ich wandte mich wieder meinen Studien zu und enthielt mich aller schachlichen Aktivitäten, mit Ausnahme des Meisterschafts-Turniers der Berliner Schachgesellschaft, zu dem ich nur für ein Spiel pro Woche gerufen wurde. Ich hatte in diesem Turnier gerade eine Partie aufgegeben, nachdem ich mit einem groben Fehler eine gewonnene Stellung ruiniert hatte. Als ich mich von meinem Stuhl erhob, bemerkte ich in meinem Rückn die große, imponierende Gestalt von Ossip Bernstein, der meinen „Todeskampf“ mit verfolgt hatte. Mit einem freundlichen Lächeln drückte er sein Beileid aus und seine Hoffnung, dass ich auf der Stufe der Großmeisterentwicklung angekommen sei, auf der er Niederlagen dieser Art mit stoischer Ruhe aufnimmt, wobei er sich selbst gegenüber zugibt, dass die „ausgleichende Ungerechtigkeit des Schachs“ ihm häufig erlaubt hat, Gewinne in verlorenen Positionen zu verbuchen. Ich war ein großer Bewunderer von Bernsteins tiefgründigem und kristall-klarem Stil gewesen, seit der Name dieses jungen russischen Meisters schachliche Schlagzeilen gemacht hatte. Sein krönender Erfolg war sein Sieg zusammen mit Rubinstein in dem großen Turnier Ostende 1907 gewesen, als er erst 25 Jahre alt war. Er erreichte 19 ½ Punkte, genau so viel wie Rubinstein, wobei Mieses und Nimzowitsch mit einem halben Punkt dahinter folgten. In dem Turnier St. Petersburg 1909 hatte er seine Chancen verdorben, indem er Emanuel Lasker erlaubte, mit einem Remis in einer verlorenen Position zu entkommen. Bernstein zeigte uns die Partie, und seine Erklärungen waren eine wunderbare Lehrstunde für uns. Ossip Bernstein – Emanuel Lasker, St. Petersburg 1909 1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 Sf6 4. 0-0 d6 5. d4 Ld7 6. Sc6 Le7 7. Lg5 exd4 8. Sxd4 0-0 9. Lxc6 bxc6 10. Dd3 c5 11. Sf5 Lxf5 12. exf5 Sd7 13. Lxe7 Dxe7 14. Tae1 Dd8 15. Te2 Sf6 16. Tfe1 Dd7 17. h3 Tfe8 Diese Position ergab sich nach 17. Zügen aus einer bestens bekannten Variante der Spanischen Eröffnung. 18. Se4! Das Ziel dieses meisterlichen Zuges war, den schwarzen Springer, der den Königsflügel verteidigt und den weißen f-Bauern blockiert, zu eliminieren. Weiß erfreut sich jetzt vieler Vorteile: die offene Linie, Raumüberlegenheit auf dem Königsflügel und sichere Bauern, während der schwarze a-Bauer im Endspiel schwach sein wird. 18…Sxe4 19. Txe4 Kf8. Die Beherrschung der e-Linie durch Weiß hinterlässt einen sehr starken Eindruck. Weder 19…Txe4 20. Dxe4 d5 21. De7 Dxe7 22. Txe7 Tc8 23. Td8 noch 20…Td8 21. Db7 schienen Schwarz mit einer haltbaren Position zurückzulassen. 20. f6! Entscheidend. Die Bauernstellung des Schwarzen ist nun auch auf dem Königsflügel zerrissen. 20.…gxf6 21. De3 f5 22. Dh6+ Kg8 23. T4e3 Te6 Es gibt keinen anderen Weg, das Matt zu vermeiden. Nun geht Weiß mit einem Extra-Bauern auf dem Königsflügel hervor. Das sollte zum Gewinn des Endspiels ausreichen. 24. Txe6 fxe6 25. Txe6 Tf8 26. Dg5? Vor dem allgemeinen Figuren-Tausch sollte Weiß mit b3 den schwarzen Doppelbauern seiner Mobilität berauben. Dann, sofern 26…Tf7 geschieht, hätte Weiß mit 27. f4 fortsetzen können, um g4 und den Vormarsch des Königs folgen zu lassen. 26…Dg7 27. Dxg7 Kxg7 28. Te7+ Tf7 29. Txf7 Kxf7 30. Kf1. Weiß kann nicht länger Schwarz davon abhalten, mit dem c5-Bauern vorzurücken und damit eine ausreichende Gegendrohung mit Remischancen zu erhalten. Sofern 30. b3 , dann Ke6 31. Kf1 Ke5 32. Ke2 c4, gerade noch rechtzeitig. 30….c4 31. Ke2 c5 32. Ke3 d5 33. f3 Kf6 34. Kf4 a5 35. g4 fxg4 36. fxg4 a4 37. h4 d4 38. Ke4 Kg6 39. Kf4 Kf6 Unentschieden. Ein höchst instruktives Endspiel. Während Bernstein in Berlin weilte, wo er einige vorbereitende Arbeiten für eine Karriere im Internationalen Recht, die er für sich ausgewählt hatte, erledigte, lernte ich ihn ziemlich gut kennen. Wir hetten ein gemeinsames Interesse an Musik und verbrachten so manchen Abend zusammen bei den Symphonie-Konzerten, die von dem berühmten Dirigenten Arthur Nikisch dirigiert wurden. Bei diesen Konzerten, vielleicht die feinsten, die ich jemals gehört hatte, hatten Studenten eine Eintrittsgebühr von bestenfalls zehn Cent zu bezahlen. Der ganze Raum unter der Reihe der Logen, im Rücken des Orchesters, war für sie reserviert. Ursprünglich war dieser Raum als Stehplatz vorgesehen, aber die Studenten hatten es sich angewöhnt, auf dem Boden zu liegen. Es war ein außergewöhnlicher Anblick, den ich niemals vergessen werde, diese hunderte von Jungen und Mädchen zu sehen, die jeden Quadratzentimeter des Bodens bedeckten, bewegungslos im Dunkel zu liegen, aber mit ihren nur vage erkennbaren Posen den klaren Eindruck einer intensiven Aufmerksamkeit hinterließen, so als ob sie alle den Atem anhielten, um nur keine Note zu verpassen. Bernstein hatte seinen Titel eines Doktors des Rechts in Moskau 1906 erworben und war so vernünftig, sich von zuviel Schach fernzuhalten. Daher konnte er einen Teil seiner Freizeit kulturellen Interessen widmen. Unglücklicherweise ist den meisten Turnierspielern in bedauernswerter Weise nicht bewusst, dass Schach nicht das Einzige ist, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Meine Freundschaft mit Bernstein hat über die Jahre gehalten, obwohl wir nur selten und nur in größeren Abständen die Gelegenheit hatten, uns zu treffen. Er verließ Russland etwa zur Zeit der Revolution und ließ sich in Paris nieder, wo er noch lebt und seinem Beruf nachgeht. Mit einem gewissen selbst-ironischen Stolz schätzt er ein Dokument, das Emanuel Lasker während eines Schachturniers abgezeichnet hat, das in Zürich 1934 stattfand. Bernstein zeigte Lasker die Partie, die er aufgrund eines Schnitzers in einer leicht gewonnenen Stellung gegen Gygli, dem Schweizer Meister, verloren hatte. Er fügte hinzu:“Bin ich nicht ein Schach-Idiot?“. Lasker erwiderte:“ Das scheint eine vernünftige Erklärung für diesen Zug aus Ihrer Hand zu sein!“. Bernstein:“ Wollen Sie mir das schriftlich geben?“. Lasker:“Gern“. Und sie setzten ein Dokument auf, in rechtlich einwandfreier Sprache, in dem „der Unterzeichnete, Emanuel Lasker“ bestätigte, dass Bernstein unwiderlegbar seinen Status als Schach-Idiot bewiesen habe. Die verblüffende Tatsache, dass selbst die größten Meister bisweilen krasse Fehler begehen, die aus Gewinnpositionen verlorene Partien machen, wurde scherzeshalber von Dr. Tarrasch als Folge der amaurosis scacchistika (Schach-Blindheit) diagnostiziert. Er selbst litt auch gelegentlich unter diesem Leiden. Aus meiner eigenen beträchtlichen Erfahrung damit würde ich sagen, dass man dieser temporären Blindheit üblicherweise nach einer verlängerten intensiven Konzentration auf die Brettstellung erliegt. Die daraus resultierende Müdigkeit verursacht ein plötzliches Versehen innerhalb der Koordinierungsleistung des Gehirns, und der Meister macht einen krassen Fehler, den selbst ein blutiger Anfänger mit Leichtigkeit vermeiden würde. Solche gelegentlichen Versehen haben natürlich nichts zu tun mit der Spielstärke oder dem Positionsverständnis des betroffenen Meisters. Aber amüsanterweise werden sie manchmal auf diese Weise durch neidische Schachspieler von Mittelmaß interpretiert. In ihrem Bestreben, sich selbst als Meister zu klassifizieren, weisen sie auf einen Fehler eines Meisters hin, den sie „niemals gemacht hätten“. Mir begegnete kürzlich ein lang vergessenes Beispiel dieser Art von Argumentation, als ich auf der Suche nach den Match-Partien mit Erich Cohn in alten Bänden des Deutschen Wochenschachs war. Ich fand einen Artikel, den ich in diesem Schach-Magazin 1912 „ über den imaginären Unterschied zwischen Theoretikern und Praktikern“ geschrieben hatte. Ich musste in mich hineinlachen, als ich die Bemerkung des Herausgebers zu diesem Artikel las. Ich hatte geschimpft gegen solche Kameraden wie Oscar Cordel, C. Svenonius und H. Krause, die sich selbst Theoretiker nannten und dabei in Polemiken ergingen über den Wert dieses oder jenes Eröffnungssystems gegenüber Alapin oder anderen anerkannten Meistern. Ich hatte aufgezeigt, dass die Bewertung einer Eröffnung positionelles Verständnis erforderlich macht, diese besondere Fähigkeit, die den Meister vom Nicht-Meister unterscheidet und die natürlich den selbst ernannten Theoretikern weitgehend fehlte. Der Herausgeber sagte in einer Fußnote, dass er meinen Artikel abgedruckt hätte, um zu einen Abschluss zu kommen hinsichtlich der bitteren Polemiken, die auf seinen Seiten zwischen den Theoretikern und Meistern gewütet hätten und dass er keine weiteren Einlassungen der Theoretiker veröffenlichen würde. Er fügte jedoch hinzu, dass das nicht bedeute, dass er allem, was ich gesagt hätte, zustimmen würde. Während er zugab, dass die Theoretiker Eröffnungsvarianten veröffentlicht hatten, die keiner Analyse standhalten würden, wies er auch darauf hin, dass jederman wusste, welche schlimmen Fehler die Meister dann und wann begingen, und dass er daher keinen Grund sah, warum theoretische Diskussionen über Eröffnungen allein den Meistern vorbehalten sein sollten. Mit anderen Worten, dieser geschätzte Herausgeber bemerkte nicht, dass, wenn Meister unter einer Attacke von Schach-Blindheit litten, diese Fälle nur akut und von kurzer Dauer waren, während es sich bei den Nicht-Meister-Theoretikern um eine unheilbare chronische Angelegenheit handelte. Der Grund für diese Sichtweise des Herausgebers war leicht zu erkennen. Er verdiente seinen Lebensunterhalt durch die große Anzahl von Abonnenten, die Durchschnittsspieler waren, nicht durch die Handvoll von Meistern, die gelegentlich einen Artikel für seine Seiten beisteuerten. Das verführte ihn zu der komplett irrigen Annahme, dass seine Leser ihn in einer Kontroverse zwischen Meistern und Nicht-Meistern gerne auf der Seite der Nicht-Meister gesehen hätten. Unglücklicherweise wurde erin dieser Attitüde von einigen Schach-Herausgebern außerhalb von Deutschland noch kopiert. Schach-Spieler sind generell ebenso ehrenhaft wie der Durchschnitt einer größeren Menschengruppe. Sie teilen nicht die heuchlerische Eigenart jener wenigen, die um ihre Eitelkeit zu befriedigen oder aus finanziellen Gründen den hohen Standard, durch den sich Meisterschaft auszeichnet, auf ihren eigenen Level herunterdrücken wollen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Einschätzung auch von der großen Mehrheit der Schachspieler, die Schach-Magazine lesen und die selbst geeignet für das Turnier-Spiel sind, geteilt wird. Daher scheint die Politik eines Herausgebers eines Schachmagazins, der wie der oben angesprochene deutsche Herausgeber die Quantität der Qualität vorzieht, schlecht beraten zu sein,zumindest aus der Sicht des Lesers. Unter den großen Meistern hat Bernstein vielleicht einige der schillernsten Beispiele produziert, wie temporäre Schachblindheit eine Partie ruinieren kann, in der der Sieg sicher scheint. Ein berühmter Fall war seine Partie mit Schlechter in dem Turnier Barmen 1905: Ossip Bernstein – Carl Schlechter Barmen 1905
1.d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc d5 4. Sf3 Le7 5. Lf4 0-0 6. e3 dxc4 7. Lxc4 a6 8. Tc1 Sbd7 9. Ld3 c5 10. 0-0 b5 11. Se4 c4 12. Lb1 Sb6 13. Sxf6+ Lxf6 14. e4 Lb7 15. De2 g6 16. Tfd1 Tc8 17. Se5 Lg5 18. De3 Lxf4 19. Dxf4 f6 20. Sg4 f5 21. exf exf5 22. Se5 Sd5 23. Dh6 Tc7 24. Te1 Df6 25. Sf3 Tg7 Bernstein begann mit dem 26. Zug eine Kombination, die selbst der große Schlechter nicht sah. Er akzeptierte Bernsteins Herausforderung im Vertrauen auf eine Gegenkombination, von der er irrtümlich annahm, dass Bernstein sie nicht in Betracht gezogen hatte. 26. Sg5! Sf4 27. Sxh7 Dc6? Sofern Schlechter die Art von Überraschung, die Bernstein vorbereitet hatte, geahnt hätte, würde er sicherlich …TxS gespielt haben, dabei einen Bauern für gute Angriffsaussichten opfernd. 28. f3 Sxg2 29. Te7!! Ein prächtiger Zug! Wenn Schwarz den Turm nimmt, erwidert Weiß 30. Dxf8+ Kxh7 31. DxT+ und 32. d5, so dass er mit einem ganzen Turm mehr verbleibt. 29….Tff7 30. d5??? Dc5+ 31. Aufgegeben
Bernstein hatte den Zug d5 gemacht, ohne auch nur einen Moment nachzudenken, dabei übersah er komplett das Schach mit der Dame, das einen Turm gewinnt. Er hätte seinen Angriff erfolgreich abschließen können mit 30. TxT TxT 31. Sg5 Se3 32. d5 Df6 33. Te1 usw. Als Bernstein diese Partie spielte, war er ein junger Mensch von 23 Jahren. Schachblindheit hat wenig mit dem Alter zu tun, obwohl das Gehirn eines älteren Menschen natürlich schneller ermüdet als das eines jungen Spielers. Es ist üblicherweise die Aufregung in Zeitnot, die solche plötzlichen Koordinationsfehler verursacht Ich glaube, dass Bernstein von wahrem Weltmeisterschafts-Kaliber war. Nichtsdestotrotz bin ich sicher, dass er eine weise Entscheidung traf, als er sich vom Schach zugunsten seiner Rechts-Karriere fernhielt. Selbst Schach-Weltmeister haben prekäre Lebensumstände in unserer Gesellschafts zu ertragen. Nebenbei kann Bernstein als ein ausgezeichnetes Beispiel dafür dienen, dass in Widerlegung eines weit verbreiteten Misverständnisses ein Meister in Übung bleiben müsse, um sich seine schachlichen Fertigkeiten zu erhalten. Bernstein spielte kein ernstes Schach während 18 Jahren, von 1914 bis 1932. Gleichwohl hatte Aljechin große Schwierigkeiten, einen Wettkampf remis zu halten, den sie 1933 spielten. Was einen Schachmeister ausmacht, ist nicht die Übung, es ist das tiefe Verständnis der Prinzipien der Schachstrategie. Sobald sich ein Spieler dieses Verständnis angeeignet hat, ist er sicher, die Meisterklasse zu erreichen, und da dieses erworbene Verständnis nicht etwas ist, was man ohne weiteres verliert, bleibt ein Schachmeister immer in seiner Klasse. Was sich bei solch einem Meister tatsächlich ändert, ist die relative Stärke gegenüber den jüngeren Spielern. Die herausragenden unter den jüngeren sind in der Lage, es mit den älteren aufzunehmen und sie zu überholen, da das allgemeine Spielniveau unaufhörlich steigt vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Eröffnungswissens, das aus den Meisterturnieren gewonnen wird. Von 1934 bis 1946 spielte Bernstein erneut kaum irgendwelches Schach, mit Ausnahme eines Spieles gegen Aljechin in 1940, das er nach einem höchst spannenden Kampf gewann. Er zeigte mir die Partie gelegentlich eines kürzlichen Besuches von New York, und ich gebe sie hier wieder als ein Beispiel seines höchst originellen Stils. Ossip Bernstein – Alexander Aljechin 1. d4 Sf6 2. Sf3 b7 3. g3 Lb7 4. Lg2 g6 5. 0-0 c5 6. Sc3! Droht, die lange Diagonale mit d5 zu blockieren. Wenn Schwarz mit 6....d5 antwortet, ist die Wirksamkeit seines Damenläufers doch irgendwie beeinträchtigt. Noch wichtiger freilich ist, dass Schwarz einen psychologischen Nachteil erleidet, da er sich selbst in einen Eröffnungstyp gezwungen sieht, den er keinesfalls beabsichtigte zu spielen. 6…cd 7. Dxd4! Lg7 8. e4 d6 9. e5! Auf den ersten Blick sieht das nach einem Fehler aus, da Schwarz den Bauern mit Sfd7 festnageln kann, ihn gleichzeitig dreimal attackierend. Aber Weiß kann den Bauern mit 10. Dc4 lösen und dann auf e5 zurückschlagen, gleichgültig, ob Schwarz den Bauern mit seinem Bauern oder seinem Springer nimmt, da auf f7 Matt droht. Das würde Schwarz zwingen, den Springer zu nehmen, und Weiß würde den Läufer auf b7 schlagen und dabei den Turm mitnehmen. 9….Sfd7 10. Dc4! 0-0 Aljechin verbrauchte 40 Minuten, bevor er zu dem Ergebnis kam, dass er die Isolation seines d-Bauern nicht verhindern konnte. 10….Lxf3 11. Lxf3 Sxe5 würde begegnet werden mit Db5+ und Lxa8. Ebenso nutzlos würde 10…Lxe5 sein wegen Sg5! 11. ed ed 12. Td1 Dc8! Das beschützt seinen Bauern indirekt, da nach dem Tausch der Damen der schwarze Turmden weißen Springer ein zweites Mal angreifen würde. 13. Dh4 Se5 14. Sd5! Das droht Se7 ebenso wie Sf6+ (14….Sbc6 15. Sf6+ Lxf6 16. Dxf6 Sxf3+ 17. Lxf3 Se5 18. Lxb7 Dxb7 19. Lh6! Sf3+ 20. Kf1 Sh2+ 21. Ke1 De5+ 22. Kd2 und gewinnt). 14….Lxd5 15. Txd5 Sbd7 Es gibt keinen Weg, den Bauern zu retten. So wie Aljechin spielt, erhält er als Gegenwert zumindest eine gute Beweglichkeit für seine gesamten Figuren. 16. Txd6 Dc5 17. Sg5 h5 Eine einfache Fortsetzung, die Weiß mit einem klaren Bauernvorteil zurücklassen würde, wäre 18. Txd7 Sxd7 19. Lxa8 Txa8 20. De4 Tc8 21. c3, obwohl Schwarz natürlich gewisse taktische Gegenchancen auf dem weit offenen Brett gehabt hätte. Bernstein zieht es vor, den Bauern zurückzugeben, um den Angriff aufrechtzuerhalten angesichts fantastischer Komplikationen. 18. Se4 Dxc2 19. f4 Sd3! 20. Le3 De2 21. Sf2! Das ist der Zug, auf den Bernstein gezählt hatte, um Aljechins Gegenangriff zu brechen. Beide schwarzen Springer werden ebenso angegriffen wie der Turm auf a8. Wenn Schwarz den Läufer nimmt, gewinn Weiß mit 22. Txd3, womit Dame, Turm und Sringer des Schwarzen angegriffen sind. Aber Aljechin hat eine ebenfalls geniale Antwort vorbereitet: 21…Se1!! Wenn Weiß Lxa8 spielt, kann jetzt Schwarz einfach zurückschlagen, da Sf3+ ebenso droht wie Dxe3. Bernstein dachte, dass er eine Fortsetzung hatte, mit denen er beide Drohungen zufriedenstellend verteidigen konnte und akzeptierte Aljechins Herausforderung, indem er zu weiteren haarsträubenden Kombinationen einlud. 22. Lxa8 Txa8 23. De7 Lf8! 24. De4 Td8? Aber hier zaudert Aljechin. Er hätte Lxd6!! spielen sollen, 25. Dxa8+ Kh7 26. De4? Sf3!! Und Weiß verliert seinen Läufer. Oder: 26. De8 Lc5!! 27. Dxf7+ Kh8 28. Lxc5 Sxc5 29. Td1 Scd3 30. Txd3 Sxd3 31. Sxd3 Dxd3 mit ausgezeichneten Remis-Möglichkeiten. 25. Tdd1! Sc2 26. Td2 Dxe3 27. Txc2 Lc5 Leicht besser erschien Dxd3, gefolgt von f5 und Lc5, da Weiß dann nicht über das Feld e4 verfügt für seinen Springer. Aber langfristig würde die weiße Überlegenheitan Material in jedem Fall das Spiel entschieden haben. 28. Dxe3 Lxe3 29. Td1! Eine fatale Fesselung. 29…Kf8 30. Kg2 Lc5 31. Se4 Ke7 32. Te2 aufgegeben. Der Kampf zweier Giganten. Die Jahre 1909, 1910 und 1911 waren reich an Schachereignissen, und es erforderte von mir heroische Tapferkeit, die außerhalb von Berlin stattfanden, nur aus der Distanz zu verfolgen. Kurz nach dem St. Petersburger Turnier spielte Janowski, der einen reichen Sponsor Namens M. Nardus hatte, eine Serie von vier Partien gegen Emanuel Lasker in Paris, die mit einem Remis endete. Dieses Erebnis bestärkte Nardus in seinem Glauben, dass Janowski der stärkste Spieler der Welt sei, und er organisierte ein Match um die Weltmeisterschaft, das in Paris im Herbst 1909 stattfand. Lasker ging daraus siegreich hervor mit einem Resultat von 7 Siegen, einer Niederlage und zwei Remis. Aber Janowski überzeugte Nardus davon, dass er in Wirklichkeit das Match gewonnen haben sollte, und der optimistische Maler garantierte den Geldbetrag, der erforderlich war, um in Berlin 1910 ein Rück-Match zu arrangieren. In der Zwischenzeit hatte jedoch Schlechter erfolgreich den Betrag aufgebracht, der in einer Vorabvereinbarung mit Emanuel Lasker als Mindest-Börse für eine Weltmeisterschaft ausbedungen worden war, und daher erhielt der langersehnte Wettkampf zwischen diesen beiden Meister den Vorzug. Das Match wurde im Januar und Februar 1910 gespielt, die ersten fünf Partien in Wien, Schlechters Heimatstadt, und die restlichen fünf Partien in Berlin. Trotz Schlechters bemerkenswertem Rekord, er war entweder erster oder zweiter in sieben großen internationalen Turnieren zwischen 1900 und 1910, erwarteten nur sehr wenige, dass er ähnlich gut wie Tarrasch vor zwei Jahren abschneiden würde, der drei Partien gegen Lasker gewann gegen dessen acht Siege. Schlechter war ein ruhiger, anspruchsloser Spieler, dessen Spiel auf dem Schachbrett so wenig spektakulär wie seine Persönlichkeit. Daher erwies sich der aktuelle Fortschritt des Zweikampfes, Schlechter führte bis zur letzten Partie, als das sensationellste Schach-Ereignis einer Generation. In Übereinstimmung mit Schlechters Reputation, praktisch unschlagbar zu sein, solange er sich mit einem Unentschieden zufriedengab, erzielte er verbissen ein Remis nach dem anderen, bis die fünfte Partie erreicht wurde. Hier gelang es Lasker schließlich, eine ausgeglichene Position zu vermeiden mit der Folge eines scharfen Kampfes, aus dem er mit einem gewonnenen Endspiel herauskam. In diesem Moment machte Lasker, offensichtlich ermüdet von dem harten Kampf, einen Flüchtigkeitsfehler, der ihn leicht seinen Titel als Weltmeister gekostet haben konnte. Er verlor das Spiel, und danach stapelte Schlechter erneut ein Remis auf das andere. Für diejenigen, die für Lasker Stimmung machten, unter ihnen natürlich auch ich, sahen die Dinge sehr schlecht aus, als Lasker während der achten Partie von heftigen Schmerzen gepackt wurde aufgrund eines Magenleidens, das ihn zuvor bereits veranlasst hatte, sich für einige Zeit in die Hände eines Arztes zu begeben. Er war kaum in der Lage zu spielen, bis seine Uhr das Zwei-Stunden-:Limit erreicht hatte, so dass er die Partie vertagen konnte. Sein Arzt und einige Freunde trugen ihn in einen Raum in der Nähe Spielsaals, wo er während der Zwei-Stunden-Unterbrechung, ohne etwas zu sich zu nehmen, ruhte. Er bestand darauf, die Partie fortzusetzen, wobei er halsstarrig den Rat seines Arztes zurückwies, und ein weiteres Remis kam zustande. Die neunte Partie war erneut remis, obwohl Schlechter dieses Mal als guter Sportsmann, in einer wild-aggressiven Art gespielt hatte und darauf verzichtet hatte, sich zurückzulehnen und zu versuchen, einfach das Gleichgewicht (der Partie) aufrechtzuerhalten. Als nun die zehnte und letzte Partie gespielt wurde, hatte Lasker diese Partie zu gewinnen, wenn er nicht seinen Titel verlieren wollte. Die Atmosphäre war von Anfang an durch eine intensive Spannung geprägt. Lasker eröffnete mit dem Damenbauern, aber verzichtete aufdie Rochade und startete bei erster Gelegenheit einen riskanten Angriff auf dem Königsflügel, um unter allen Umständen ein Remis zu vermeiden. Tatsächlich geriet er in richtige Verlustgefahr. Emanuel Lasker – Carl Schlechter 10. Partie des WM-Kampfes, Berlin 1910 1.d4 d5 2. c c6 3. Sf3 Sf6 4. e3 g6 5. Sc3 Lg7 6. Ld3 0-0 7. Dc2 Sa6 8. a3 dxc4 9. Lxc4 b5 10. Ld3 b4 11. Sa4 bxa3 12. bxa3 Lb7 13. Tb1 Dc7 14. Se5 Sh5 15. g4!? Natürlicher schaute das Vorbereiten dieses Zuges mit f4 aus. Aber der Textzug erzwingt die Öffnung der g-Linie, da 15…Sf6 16. f3 den schwarzen Figuren nur wenig Spielraum lässt. 15…Lxe5 16. gxh5 Lg7 17. hxg6 hxg6 18. Dc4! Es droht TxL ebenso wie Lxg6. 18…Lc8 Nun wäre es sehr gefährlich für Weiß, 19. Lxg6 zu spielen, wegen Le6 20. Dxa6 gxf6 21. Tb7? Dc8 würde folgen, wobei die beiden Läufer das Brett beherrschen. 19. Tg1 Da5+ 20. Ld2 Dd5 21. Tc1! Das Endspiel würde nach dem Damentausch vorteilhaft für Weiß, da der isolierte schwarze c6-Bauer sehr schwach wäre. 21…Lb7 22. Dc2 Es war vermutlich klüger, die Damen zu tauschen und mit 23. h4 fortzusetzen. Schwarz konnte seine Türme nicht auf der c-Linie entgegenstellen. Z.B.: 23…Tfc8 24. Tb1 Tc7 (Tab8? 25. Txb7!) 25. La5 Td7 26. Kd2!, was was Txb7 droht. Lasker plant Lxg6, aber das ist keine gute Idee, weil eine Linie geöffnet wird, auf der die Türme des Schwarzen sehr gefährlich werden. 22…Dh5 23. Lxg6? Dxh2 24. Tf1 fxg6 25. Db3+ Tf7 26. Dxb7 Taf8!! Wenn nun Dxa6, dann erwidert Schwarz mit Txf2 und Matt in wenigen Zügen. 27. Db3 Kh8 28. f4 g5! 29. Dd3 gxf4! Erneut kann die Dame den Springer auf a6 nicht schlagen, da fe unmittelbar gewinnen würde in Anbetracht der doppelten Drohung Dxd2 matt Txf1+. An diesem Punkt gaben Laskers Freunde alle Hoffnung auf. Die Krise der Partie war allzu offensichtlich. Der weiße König war in der Mitte des Bretts mit dem beschützenden Bauernzentrum voller Löcher. Es schien unmöglich, dass er der Niederlage entkommen konnte. 30. exf4 Dh4+ 31. Ke2 Dh2+ 32. Tf2 Das verhindert ein Remis durch Zugwiederholung. Der König kann nicht nach f3 gehen, da Txf4+ ihn erledigen würde. 32…Dh5+ 33. Tf3 Sc7 Hier erreichte die Aufregung unter den tausend oder elfhundert Zuschauern, die dem Spiel an einem Demonstrationsbrett in der großen Halle in der Nähe des Spielraumes folgten, eine fieberhafte Steigerung. Schlechter drohte Se6 ebenso wie Sd5 oder Sb5 und selbst wenn Lasker 34. Sc5 spielte, was jedermann erwartete, hätte er sich langfristig nicht verteidigen können, da Schwarz als erstes Se6 mit Td8 sowie Td6 beantworten würde, um dann Sd5 oder Sb5 zu spielen. Lasker dachte über seinen nächsten Zug lange nach und spielte schließlich 34. Txc6!. Psychologisch gesehen war das seine beste Chance, denn es eröffnete seinem Gegner eine reichhaltige Auswahl an ähnlich komplizierten Fortsetzungen, dass er in Gefahr war, in die Irre zu gehen. Gemäß dem Rezept, das Lasker mir einmal empfohlen hatte, wählte er einen Zug, der ihn nicht nur gegen die Drohungen seines Gegners verteidigte, sondern der einen Tropfen Gift enthielt. Dies ist die Gegendrohung Dg6, die den Tausch der Damen erzwingen würde und damit ihn von der schreckliche Fesselung des Turmes befreien würde. Eine der haarsträubenden Möglichkeiten war 34…Sd4 35. Dg6 (35. Tc5? Txf4!) Dxg6 36. Txg6 Txf4 37. Th3+ Kg8 38. Sc5!! droht Txg7+ Oder: 36…Sxf4+? 37. Lxf4 Txf4 38. Th3+ Kg8 39. Sc5 und Schwarz ist wirklich in Schwierigkeiten. Oder: 36…Lxd4?? 37. Td3! (37…Sxf4?? 38. Lxf4 Txf4 39. Th3+ und matt. Schlechter musste alle diese verborgenen Ressourcen für Weiß gesehen haben, denn er spielte 34…Sb5!. Wenn Weiß den d4-Bauern mit Le3 deckt, gewinnt Schwarz mit Sxd4!, gefolgt von Txf4. 35. Tc5 Txf4?? Hier haben wir eine dieser Haluzinationen, denen ein Schachmeister nach Stunden erschöpfender Konzentration unterliegt. Dass das gerade geschah, als Schlechter den Weltmeistertitel praktisch schon in Händen hielt, war eine Tragödie, die keinem Meister zuvor zugestoßen war. Er übersah das Schach, das Lasker im 37. Zug zur Verfügung hatte. Der korrekte Zug war 35…Td8 (36. Le3 Sd6 37. Tc5 Sf5). Ein weiteres Beispiel für Bernsteins „ausgleichende Ungerechtigkeit des Schachs.“.Schlechter hätte die 5. Partie verlieren sollen und diese letzte gewinnen. Das Resultat des Matches würde dann das gleiche gewesen sein. 36. Lxf4 Txf4 37. Tc8+ Lf8 38.Kf2! Dh2+ 39. Ke1 Dh1+ 40. Tf1 Dh4+ 41. Kd2!! Aufregung bis zum letzten Ende! Wenn Schwarz die Dame gewinnt mit Txd4, würde das ihn seine eigene Dame und den Läufer kosten, denn Weiß würde fortfahren mit 42. Tcxf8+ Kg7 43. T1f7+ Kh6 44. Th7+ Kg5 45. Txh4 usw. Sowohl Schlechters Läufer wie auch sein Springer sind angegriffen, und die wenigen Schachgebote, die er geben kann, zögern nur das unvermeidliche Ende hinaus. 41…Txf1 42. Dxf1 Dxd4+ 43. Dd3 Df2+ 44. Kd1 Sd6 45. Tc5 Lh6 46. Td5 Kg8 47. Sc5 Dg1+ 48. Kc2 Df2+ 49. Kb3 Lg7 50. Se6 Db2+ 51. Ka4 Kf7 52. Sxg7 Dxg7 53. Db3 Ke8 54. Db8+ Kf7 55. Dxa7 Dg4+ 56. Dd4 Dd7+ 57. Kb3 Db7 58. Ka2 Dc6 59. Dd3 Ke6 60. Tg5 Kd7 61. Te5 Dg2+ 62. Te2 Dg4 63. Td2 Da4 64. Df5+ Kc7 65. Dc2+ Dxc2+ 66. Txc2+ Kb7 67. Te2 Sc8 68. Kb3 Kc6 69. Tc2+ Kb7 70. Kb4 Sa7 71. Kc5 aufgegeben. Als Schlechter resignierte, brach unter den Schachfans, die bisher durch die Hinweistafeln „Ruhe“ an den Wänden zulange in Schach gehalten wurden, ein Höllenlärm los. Lasker hatte alle Hände voll zu tun, eine Gruppe junger Enthusiasten davon abzuhalten, ihn auf ihren Schultern hinaus auf die Straße zu tragen. Mit dem Resultat von 1zu 1 mit acht Remisen hatte er seinen Titel behalten. Die Schachfans zogen ihn als Weltmeister ohne Zweifel Schlechter vor, da letzterer nichts Spektakuläres an sich hatte. Lasker gebot über ihre Bewunderung wegen seines furchtlosen Experimentierens mit noch nicht erprobten Eröffnungsvarianten und seines unerschrockenen Geistes, wenn seine Experimente ihn in höchste Schwierigkeiten brachten. Der Herausgeber des Deutschen Wochenschachs, der nach Laskers Match gegen Tarrasch sich breit darüber ausgelassen hatte, aufzuzeigen, dass eigentlich Tarrasch gewonnen haben sollte, wies natürlich erneut darauf hin, dass Lasker seine Krone nur durch einen Glücksfall behalten konnte. Er wetterte auch gegen die finanziellen Bedingungen, die Lasker zur Voraussetzung machte, wenn er eine Herausforderung um die Weltmeisterschaft annehmen sollte. Des Beifalls der Gedankenlosen unter seinen Lesern sicher, argumentierte er, dass die von Lasker geforderte Börse darauf abzielte, Schach auf den Level von Sport oder Kommerz zu reduzieren, anstatt es auf der luftigen Höhe einer Kunst zu halten. Laskers Antwort brachte es genau auf den Punkt. Es könnte als eine exzellente Lehrstunde für gewisse Herausgeber von Schachmagazinen heutzutage dienen, die begierig mehr auf Zeichen von Mittelmäßigkeit des Meisters Ausschau halten, als den Meistern zu helfen, ein hohes Qualitätsniveau aufrechtzuerhalten. Lasker schreb: „Herr Ranneforth ist immer bemüht, sich selbst dadurch bedeutend zu machen, indem er die Meister kritisiert. Das beweist seine ganze journalistische Karriere. Sie demonstriert seine Unfähigkeit, kreativ zu sein, seinen Hass gegenüber den Meistern, seine Ergebenheit gegenüber der Mittelmäßigkeit. Was das Schach anbelangt, ist er ein Dummkopf, er versteht auch nicht dessen Schönheit noch zeigt einer seiner Artikel, dass er das Spiel tatsächlich liebt. Er ist nichts als ein gefühlloser Schachpolitiker, der schreibt, spricht, in Komitees sitzt und macht auf sich nur durch seine Energie und seine Untergrund-Aktivitäten aufmerksam. Da er nicht kreativ ist, ist ihm der direkte Weg zu öffentlicher Aufmerksamkeit verschlossen. Daher versucht er, das Meisterliche im Schach zu attackieren. Man braucht nur seine Artikel über Schachturniere und Wettkämpfe in Der Frankfurter Zeitung in den letzten zwanzig Jahren zu lesen. Sie haben alle den gleichen Tenor, in keiner Hinsicht erwähnenswert mit Ausnahme seiner herabwürdigenden Behandlung der Meister, sich hämisch freuend über die Tatsache, dass das Komitee die Hotelrechnung dieses oder jenes Meisters zu zahlen hatte, usw..Niemals ein Vorschlag, wie man Schach organisieren kann, um der Armut der Meister ein Ende zu bereiten, niemals irgendetwas Anderes als das Schmeicheln der Selbstgefälligkeit der Massen. Die Art, in der der soziale Status der Meister sichergestellt werden kann, ist in den Konditionen dargelegt, die ich mir ausbedungen habe für das Weltmeisterschafts-Match mit Rubinstein, und die letzterer akzeptiert hat. Warum den Meistern die Frucht ihrer Bemühungen nicht zugestehen? Ebenso wie der Schriftsteller gegen den unautorisierten Neudruck seiner Bücher geschützt wird, gebe man den Schachmeistern ein Copyright für ihre Partien, die sie sich in harter Arbeit ausgedacht haben. Man lasse die Zeitungen und Bücher, in denen diese Partien abgedruckt werden, eine kleine Gebühr für das Veröffentlichungsrecht bezahlen! Man lasse die Öffentlichkeit eine Gebühr dafür zahlen, dass sie Zeuge bei Meister-Wettbewerben ist. Dann werden die Meister nicht länger im Alter leiden noch in der Einsamkeit eines Armen-Hospitals sterben! Alle Schachfreunde werden dadurch gewinnen, Meister ebenso wie Amateure!“
Kapitel 8: Hamburg 1910 Im Sommer des Jahres 1910 lud der Schachklub von Hamburg Schachspieler aus der ganzen Welt zu einem Meisterturnier ein und zu so vielen Haupt- und Nebenturnieren, wie es die Anzahl der Anmeldungen notwendig machte. Die prächtigen Hallen einer großartigen Villa standen den Spielern zur Verfügung, und die Anzahl der Bewerbungen war so groß, dass zusätzlich zu einem Meisterturnier mit 17 Teilnehmern und einem Hauptturnier A mit 15 Spielern eine Gruppe von 60 Spielern in einem Hauptturnier B und 49 Spielern in einem Nebentunier unterzubringen waren. Kurz bevorvor das Turner startete, hatte ich das aufregende Erlebnis, den großen russischen Meister Nimzowitsch persönlich zu treffen, der Berlin für einige Tage besuchte, bevor er in Hamburg antrat. Dieser Landsmann von Bernstein, einige Jahre jünger als dieser, studierte an der Universität von München Philosophie. Trotz seiner Jugend war sein Name in die vorderste Reihe der Schachmeister gerückt, da er den dritten und vierten Platz mit Mieses in dem Internationalen Meisterturnier zu Ostende 1907 geteilt hatte, nur einen halben Punkt hinter den Siegern Bernstein und Rubinstein. Ebenso wie Bernstein hatte Nimzowitsch eine außergewöhnlich gute Schulausbildung genossen, und seine scharfen intellektuellen Fähigkeiten schienen dafür bestimmt zu sein, außergewöhnliche Leistungen zu produzieren, gleichgültig auf welchem Feld er sich bewarb. Es war ein Gewinn für das Schach weltweit, dass Nimzowitsch sich entschied, seine Kräfte auf die analytische Untersuchung der wissenschaftlichen Grundlagen des Schachspiels zu konzentrieren. Da war eine bizarre Ader im Charakter von Nimzowitsch, die sich nicht nur in seinem exotischen Verhalten sondern auch in seinem Schreibstil niederschlug. Im weitesten Sinne erklärt das vielleicht, warum er nicht in der Lage war, mit Aljechin und Capablanca mitzuhalten, die beide einen starken Sinn für das Praktische mit einem feinen Positionsverständnis verbanden. Dieser praktische Sinn ging Nimzowitsch völlig ab. Ebenso fehlte es ihm an physischer Ausdauer. Ich nahm begeistert die Gelegenheit wahr, mit ihm meine „Prinzipien der Schachstrategie“ zu diskutieren, die ich zu der Zeit gerade als Manuskript für mein erstes Buch fertig gestellt hatte. Es war gerade von dem Verlag Veidt und Co., der Firma, die die meisten deutschen Schachbücher gerausbrachte, zur Veröffentlichung angenommen worden. Obwohl er mich mit Komplimenten überschüttete zu meinen Bemühungen, das Wissen zu systematisieren, das jeder Schachstudent benötigte, bevor er hoffen konnte, ein starker Spieler zu werden, erklärte Nimzowitsch mit gutmütiger Ironie, dass das Schachverständnis eines Meisters weit darüber hinaus gehe. Nachdem er mir einige seiner neuen Ideen vorgetragen hatte, er hatte sich im übrigen vorgenommen, diese in Buchform mit dem Titel „Mein System“ zu veröffentlichen, würdigte ich vollkommen die Lücke, die mich noch von seiner Klasse trennte. Unter den bizarren Dingen, die er sagte, erinnere ich mich besonders gut an eine sehr amüsante Aussage. Ich hatte ihn gefragt, warum er die Caro-Kann-Eröffnung so häufig spielte, obwohl Weiß daraus im Gegensatz zu Schwarz durchweg mit dem strategischen Vorteil eines Zentrumsbauern auf der fünften Reihe hervorgeht. Er antwortete:“ Das ehrgeizige Ziel des Zuges 1…c6 ist zu beweisen, dass 1. e4 verfrüht ist“ Wir spielten eine Übungspartie, bevor wir nach Hamburg aufbrachen. Es war ein amüsantes Beispiel für Nimzowitschs exzentrischen Stil. Ich war stolz, nachdem ich die Partie gewonnen hatte, obwohl ich mir im nachhinein eingestand, dass das niemals passiert wäre, hätte Nimzowitsch nicht in der irgendwie herablassendenden Attitüde des Großmeisters gespielt, der davon ausgeht, dass alles, was er zu tun hat, ist zu warten, bis sein schwächerer Gegner positionellen Selbstmord begeht. Hier ist der Spielverlauf: Aron Nimzowitsch – Eduard Lasker Berlin 1910, freie Partie 1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. Lxc6+ dc 5. d3. Der erste bizarre Zug. Die fundamentale Idee der Abtausch-Variante ist, den Damenbauern gegen den schwarzen Königsbauern einzutauschen, damit man am Königsflügel mit einem Mehrbauern bleibt, der im Endspiel sich zu einem Freibauern entwickeln kann, während die vier Bauern des Schwarzen am Damenflügel von den drei entgegenstehenden Bauern des Weißen aufgehalten werden können. Daher ist 5. d4 erforderlich. Die klassische Illustration dieser Idee lieferte Emanuel Laskers erste Partie gegen Tarrasch. Aber Nimzowitsch mißtraute überkommenen Schachüberzeugungen, da ihm allzu bewusst Fehlleistungen der klassischen Schule in so vielen Phasen des Spieles waren, insbesondere in seiner Bewertung von Stärke und Schwäche von Zentrumsbauern. 5…Lc5. Der Königsbauer benötigte keine Verteidigung, da Sxe5 mit Dd5 widerlegt würde, das gleichzeitig den Springer angreift und Matt droht. 6. h3 Le6 7. Sbd2 Se7 8. Sf1 f6. Es war immer noch nicht nötig, den Bauern zu decken, aber früher oder später hätte es in jedem Fall zu geschehen, und daneben hatte der Zug seine positionelle Berechtigung darin, dass er die Diagonale des Damenläufers erweiterte und die Mobilität des weißen Königsspringers sowie Damenläufers einschränkte. 9. Sg3 Dd7 10. 0-0 0-0-0. Schwarz plant eine Attacke auf dem Königsflügel. Dieser Plan verspricht Erfolg, da sich der vorgerückte h-Bauer sich als Ziel anbietet. 11. Kh2 h5 12. Sh1. Zweite bizarre Idee. Nmzowitsch will auch den anderen Springer zurückziehen und dann seine Bauern vor dem König auf der dritten Reihe ausrichten, um in der Lage zu sein, den Tausch von Bauern zu verhindern und die Position zu blockieren, womit ein Durchbruch mit meinen Türmen unmöglich gemacht würde. 12…g5 13. Sg1 Sgh6 14. g3 h4 15. g4 Tdg8 16. Sf3 Sf5 17. Lxf4 gf 18. Sd2. Die g-Linie ist halboffen, und die Position lädt zu einem Opfer ein, um sie komplett zu öffnen. 18…f5!? Aber das ist nicht der beste Weg, da er Weiß die Option lässt, das Opfer zu akzeptieren oder abzulehnen. Genauer war Lxf5!! 19. hg Txg4 20. Tg1 Tg3!! 21. Df1 Dg5 22….Tg8 oder 21. Sxg3 hg++ 22. Kg2 Dh3+ 23. Kf3 gf+ und Matt in drei Zügen oder 21. fg hg++ 22. Kg2 Dh3+ 23. Kf3 g2+ usw. 19. ef Lxf5 20. gf? Das erlaubt ein ähnliches Ende. Ein klügerer Zug wäre 20. Se4 gewesen, aber Nimzowitsch lehnte natürlich die Idee eines Endspiels ab, in dem sein Springer in der Ecke weggesperrt ist. Nach Lxe4 21. de Td8 22. Dxd7+ Txd7 23. Tfd1 Thd8 hätte ich die Kontrolle über die d-Linie erzwungen und wäre über die 2.Reihe eingedrungen. 22. Dd2 De6 hätte am Ende zu einer ähnlichen Situation geführt. 20…Dxf5 21. Df3 Tg3!! 22. Sxg3 hg++ 23. Kg1 Txh3. Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr. 24. De4 Dg4 aufgegeben.
In Hamburg sah sich Nimzowitsch einer genau so mächtigen Gruppe von Meistern gegenüber wie in jedem vorherigen Turnier. Bernstein und Rubinstein waren nicht anwesend, aber Tarrasch und Schlechter spielten, daneben Duras, Marshall, Teichmann, Aljechin, Spielmann, Tartakower, Dus-Chotimirsky, Forgacs usw. Nimzowitsch hatte den ersten Preis zum Greifen nahe. Aber er verlor seine Patie gegen Duras, einen seiner Hauptkonkurrenten, nachdem er eine vielversprechende Stellung aufgebaut hatte. Er hatte zu viel Zeit verbraucht für ein schwieriges Mittelspiel, und mit acht weiteren Zügen, die er noch vor der Zeitkontrolle zu absolvieren hatte, verfehlte er die richtige Fortsetzung. Ich erinnere mich, wie eine große Menge von uns um das Brett herum stand, als die Krise kurz bevorstand. Nimzowitsch war ein hochnervöser Typ, der auf den geringsten Lärm reagierte, und er forderte den Turnierdirektor auf, bei uns Zuschauern für Ruhe zu sorgen. Allerdings reichten die Komplikationen in der Stellung aus, ihn zu bezwingen auch ohne Störungen von außen. Oldrich Duras – Aron Nimzowitsch Hamburg 1910
1.e4 d6 2. d4 Sf6 3. Sc3 Sbd7 4. Sf3 e5 5. Lc4 h6 6. Le3 c6 7. dxe5 dxe5 8. h3 Lb4 9. Dd3 De7 10. 0-0 Lxc3 11. bxc3 Sc5 12. Lxc5 Dxc5 13. a4 Sh5 14. Sd2 Sf4 15. De3 De7 16. Sf3 g5 17. Tfg1 g4 18. hxg4 Lxg4 19. Td2 Lxf3 20. Dxf3 Dc5. In dieser Situation (nach 20 Zügen) produzierte Duras, ein Meister der praktischen Psychologie, angesichts von Nimzowitschs Zeitnot die folgenden Komplikationen: 21. Lxf7+ Kxf7 22.g3 Thg8 23. Tad1. Nicht spielbar ist Kh2 De7 24. gf?, da Schwarz mit Dh5+ gewinnen würde. 23…Ke8?: Der erste Fehler. Tae8 !! war die korrekte Fortsetzung. Nach 24. Txd8 Txg3+!! 25. Dxg3 Se2+ 26. Kg2 Sxg3 27. fg hatte Nimzowitsch Gewinnchancen. 24. Kh2 Sg6?. De7 war immer noch angesagt (wie in den Anmerkungen zum 23. Zug aufgezeigt). Nun erzwingt Duras einen eleganten Gewinn. 25. Td6 Sf8 26. Df6 Da5 27. Te6+ Sxe6 28. Dxe6+ Kf8 29. Td7 aufgegeben.
Als Folge dieser Niederlage gewann Schlechter den ersten Preis (er hatte 11,5 von 16 möglichen Punkten erzielt), Duras wurde Zweiter, mit einem halben Punkt weniger als Schlechter, und Nimzowitsch Dritter, wiederum einen halben Punkt hinter Duras. Dann folgte Spielmann mit 10 Punkten, Marshall und Teichmann mit 9,5 Punkten, Aljechin und Dus-Chotimirsky mit je 8,5 Punkten und Forgacs mit Tarrasch, je 8 Punkte. Dies war Aljechins erstes Meisterturnier. Er war in letzter Stunde anstelle von Erich Kohn zugelassen worden, der nicht kommen konnte. Aljechin war so begierig, daran teilzunehmen, dass er entgegen den Vorschriften der Ärzte antrat. Er hatte einen Unfall mit seinem rechten Bein gehabt und aufgefordert worden, im Bett zu bleiben. Aber er besorgte sich einen Rollstuhl und wurde jeden Tag in den Turniersaal gerollt. Unbemerkt von vielen Zuschauern waren einige der Spieler in der Meisterklasse unwissentlich Akteure in zumindest zwei Komödien, die aufgrund ihrer Vorurteile und Eitelkeiten entstanden. Tarrasch, der die Vorstellung, die Weltmeisterschaft zu gewinnen, noch nicht aufgegeben hatte, hatte in einer seiner Kolumnen einen Artikel geschrieben über die unterschiedlichen Chancen der wahrscheinlich am Turnier beteiligten Spieler. Er hatte sein Missfallen über das Komitee ausgedrückt, das den britischen Meister Yates eingeladen hatte, obwohl er niemals seine Klasse im Wettbewerb mit kontinentalen Meistern demonstriert hatte. Es war wahr, Yates wurde letzter, wobei er alle Partien bis auf drei verlor, die er remis spielte und eine, die er gewann. Aber die Partie, die er gewann, war die gegen Tarrasch. Diejenigen, die Tarrasch persönlich kannten, fanden ihr helles Entzücken in diesen Zwischenfall, denn der „Schachlehrer von Deutschland“ war ziemlich unbeliebt wegen seines arroganten Auftretens. Bei der anderen Komödie waren Nimzowitsch und John involviert. Als der Spielplan vorsah, dass Nimzowitsch gegen letzteren anzutreten hatte, kam er 45 Minuten zu spät in den Spielsaal. Er hatte zuvor gehört, dass John eine abfällige Bemerkung über ihn gemacht hätte, und wollte sich nun ein bisschen revangieren. Nachdem John den ersten Zug gemacht hatte, durchschritt er nervös den Turnersaal, vielleicht in der Hoffnung, dass Nimzowitsch eine ganze Stunde zu spät wäre. In diesem Fall hätte er Anspruch auf den Partiegewinn gehabt. Als Nimzowitsch schließlich erschien, schien er ohne besondere Hast den Wettbewerb zu beginnen. Anstatt sich am Brett niederzusetzen, täuschte er intensives Interesse an den Ölgemälden entlang der Wand vor, wanderte von einem zum anderen und prüfte sie sorgfältig, obwohl er sie fast zwei Wochen lang jeden Tag gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt wusste John natürlich, dass etwas im Gange war, und er wurde rot vor Ärger beim Anblick der verächtlichen Nonchalance, mit der Nimzowitsch die Partie behandelte. Schließlich kam Nimzowitsch zum Brett, machte seinen Zug, ohne sich hinzusetzen, und wandte sich unmittelbar wieder der Betrachtung der Gemälde zu. Das machte er bis zum 16. Zug, wobei er vermutlich nicht mehr als fünf Minuten zum Nachdenken verbraucht hatte. Mit dem 17. Zug bot er ein feines Bauern-Opfer an, mit dem er neun Züge später die Qualität gewann. John hätte sehr wohl an diesem Punkt aufgeben können, aber er war natürlich wütend über Nimzowitsch und ließ ihn zweiundachtzig Züge weiterspielen, bevor er aufgab. Am nächsten Morgen sandte John Nimzowitsch zwei Sekundanten mit einer Herausforderung zum Duell. Nimzowitsch lachte sie aus und sagte, er würde gern mit John kämpfen, aber nur mit den blanken Fäusten. Zugleich zeigte er ihnen seine Muskeln und empfahl ihnen, dass es besser wäre, ihn zu warnen. Natürlich fand das Duell nicht statt. Ich bedauerte, dass Nimzowitsch nicht in Berlin lebte. Nach dem Hamburger Turnier hatte ich keine Gelegenheit mehr, ihn erneut in Europa zu treffen. Ich sah ihn ein weiteres Mal, siebzehn Jahre später, in diesem Land (USA), als er zu dem New Yorker Meisterturnier 1927 eingeladen wurde. Die ironische Aggressivität seiner Jugend war dahin. Und ich war betroffen zu erfahren, dass seine Lungen während der Mühsal des ersten Weltkrieges und der folgenden Jahre beeinträchtigt worden waren. Geistig war er stark wie immer, Aber seine Nervosität hatte so zugenommen, dass sie geradezu pathologisch Ausmaße ereichte. Menschen, die Nimzowitsch nur oberflächlich kannten, waren geneigt, sich durch sein abnorm nervöses Verhalten abstoßen zu lassen. Aber diejenigen, die die Mühe auf sich nahmen, sich in ein Gespräch mit ihm einzulassen über Schach oder irgend ein anderes abstraktes Thema, konnten nur beeindruckt sein von seiner intellektuellen Rechtschaffenheit und seiner geistigen Gewandtheit. Er war frei von persönlicher Bosheit. Wenn er seine Argumente hinter Sarkasmus versteckte und manchmal hinter wenig lustigen Scherzen, dann war das allein das Resultat einer kindlichen Eigenart, die in ihm weiterbestand, wie bei so vielen Schachmeistern der Spitzenklasse. Einer Sache bin ich mir absolut sicher: Nimzowitsch war der wahre Vater des „Modernen Schachs“. Aljechin und später auch Reti trugen einen wesentlichen Anteil dazu bei, aber das Verdienst für die originale Konzeption, immer der schwerste Schritt, gebührt zweifelsohne Nimzowitsch. Das Hamburger Hauptturnier wurde von dem jungen Polen G. Rotlevi gewonnen, den meisten Spielern von heute nur als Opfer von Rubinsteins berühmter Kombination bekannt. Er erwies sich als ein sehr begabter Spieler nicht nur in diesem Hamburger Turnier, sondern viel mehr noch im folgenden Jahr in dem großen Meisterturnier zu Karlsbad. Ich beendete das Turnier als Fünfter, nachdem ich Erich Cohn besiegt hatte eher ein Absturz. Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass die Schachgöttin sehr unbeständig war, hatte sie nicht zugelassen, dass Tarrasch, der Weltmeisterschafts-Kandidat, in der Meistersektion nur als zehnter das Turnier beendet hatte. So schloss ich daraus, dass ich, der ich bisher noch nicht einmal zu den „kleineren Lichtern“ zählte, offensichtlich keinen Grund hatte, entmutigt zu sein. Meine eigene Partie mit Rotlevi war mit einem amüsanten kleinen Zwischenfall verbunden. Ich sollte am Nachmittag des Tages mit ihm spielen, an dem Marshall gegen Tarrasch vormittags antreten musste. Ich saß gerade beim Mittagessen im Restaurant, als Marshall eintrat, sichtlich in gehobener Stimmung, sich in der Nähe von mir niederließ und in seinem unnachahmbaren „Pidgin Deutsch“ sagte:“ Habe Sie gesehn my Partie with Tarrasch? Nein? Ich habe ihn just defeated! Oh! Badly! Ich muss Sie zeigen die Partie! My own new invention! Wen spiele Sie this afternoon? Rotlevi? Versuche Sie my variation gegen ihm! Max Lange! Lost for Black! Ich habe analyzed diese Variation in Mit diesen Worten ergriff er sein Taschenschach und zeigte mir seine berühmte Erfindung im Max Lange Angriff. Ich war hoch erfreut und hatte keinen Zweifel, dass ich Rotlevi in diese Variante locken konnte, da in jenen Tagen der Max Lange als vorteilhaft für Schwarz galt und es höchst unwahrscheinlich war, dass Rotlevi Marshalls Partie gesehen hatte. Vermutlich hatte er wie ich selbst einen langen Spaziergang unternommen, um sich für den Nachmittagskampf zu erholen. Eine ganze Weile ging alles wie geplant. Rotlevi zeigte kein Anzeichen, dass er mit der Marshall-Tarrasch-Partie vertraut war, denn er wählte genau die gleiche Verteidigung, die Tarrasch gespielt hatte: Edward Lasker – G. Rotlevi
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. d4 exd4 4. Lc4 Sf6 5. 0-0 Lc5 6. e5 d5 7. exf6 dxc4 8. Te1+ Le6 9. Sg5 Dd5 10. Sc3 Df5 11. Sc4 0-0-0. In dieser Position hat Weiß die Chance, einen Turm zu gewinnen und die Partie zu verlieren: 12. g4? De5 13. Sf3 Dd5 14. fg Lxg4!! 15. ghD Txh8 16. Sf6 Dxf3 17. Dxf3 Lxf3 mit der Drohung Sb4 ebenso wie Le7. Aber hier adoptierte ich Marshalls Fortsetzung, die wie folgt geht: 12. Sxe6 fxe6 13. g4 De5 14. fxg7 Thg8 15. Lh6. Das war der neue Zug, den Tarrasch mit d3 16. c3 Ld6 beantwortet hatte. Als Marshall mir seine Partie zeigte, erzählte er mir, dass er meine, dass Tarrasch besser 15…Le7 gespielt hätte. Entsprechend betroffen war ich, als Rotlevi gerade diesen Zug machte. Während ich über meinen nächsten Zug nachdachte und mir Vorwürfe machte, dass ich Marshall nicht gefragt hatte, was nach seinen Analysen denn darauf die beste Antwort für Weiß sei, überbrachte mir ein Botenjunge ein Telegramm. Es war aus Berlin, geschickt von Ernst Cassirers hübscher und witziger Frau, und sein amüsanter Inhalt half mir, meine Nervosität zu zerstreuen. Jeder, der zufällig mit dem alten deutschen Sprichwort „Heute rot, morgen tot“ vertraut ist, wird Verständnis dafür haben, dass ich laut auflachen musste, als ich die Botschaft las:“ Immer mutig! Denken Sie nur an das alte Wort: Heute Rotlevi, morgen Totlevi!“ 15…Le7 16. Sg5 Df4 17. Te4 Df6 18. Txe6 Df4 19. Sxh7 Df7. Mit zwei Mehrbauern fühlte ich, dass zuversichtlich in die Zukunft schauen konnte, wenn ich denn meinen Springer zurück ins Spiel bringen konnte und wenn möglich, noch die Damen zu tauschen. 20. De1 d3 21. cxd3 cxd3 22. De4 Td7 23. Df5. Dieser Zug näherte mich meinem Ziel, aber anstatt die Damen zu tauschen, gab Schwarz seinen Turm hin für den Läufer. 23…Txg7 24. Lxg7 Dxg7. Nun drohte Sd4 ebenso wie Dxb2. Hätte ich konsequent mein Ziel verfolgt, den Springer zurück ins Spiel zu bringen, hätte ich jetzt 25. Sb6 gespielt, um Sd5 mit 26. Txe7 Sxf4 27. Txg7 Txg7 28. Td1 zu beantworten. Das Spiel wäre dann sehr schnell zu Ende gewesen. Meine gewählte Fortsetzung war viel weniger genau und führte zu einem schwierigeren Endspiel. 25. Td1 Sd4 26. Txe7 Dxe7 27. Df8+ Dxf8 28. Sxf8 Tf7 29. Sg6 Tg7 30. Se5 Tg5. Wenn eine Person nicht tatsächlich ein Endspiel dieses Typs während eines Turniers erlebt und durchlitten hat, ist es wenig wahrscheinlich, dass er es korrekt behandelt. Ich hätte danach streben sollen, verbundene Freibauern zu erhalten, da sie eine stärkere Drohung in den meisten Endspielen darstellen, in denen nur Türme und Bauern oder Springer und Bauern übrig sind. Die Gelegenheit zu verbundenen Bauern lag in 31. f4!. Nach Se2+ 32. Kf2 Sxf4 33. Kb3 Txe5 34. Kxf4 Te2 35. h4 wäre die Partie für mich ohne Schwierigkeiten gewonnen gewesen, da es für Schwarz zuviel Zeit gekostet hätte, ebenfalls verbundene Freibauern zu schaffen. Zufällig führte 31. Txd3 nicht zum gleichen Ergebnis wie 31. Sxd3, da Se2+ zusammen mit Txe5 Schwarz mit einem ganzen Springer mehr zurückließe. 31. Sxd3? Txg4+ 32. Kf1 Sf3 33. h3 Sh2+ 34. Ke2 Te4+ 35. Kd2 Sf3+ 36. Kc3 Th4 37. Th1 Kd7. 38. Sc1 Sg5 39. Kd3 Txh3+ 40. Txh3 Sxh3 41. Ke3 Sg5 42. Kf4 Sh3+ 43. Kg3 Sg5 44. Kg4 Se4 45. f3 Sf6+ 46. Kf5 Ke7 47. f4 Sd7 48. Sd3 Sf7 49. Sc5 b6 50. Sd3 a5 51. Ke5 c6 52. Kf5 Se6 53. Se5 c5 54. Sc4 b5 55. Sxa5 c4 56. Ke5 Sc5 57. Sc6+ Kf8 58. Sa7?? (Kd4!) b4! 59. Kd4 c3! 60. bc Se6+ 61. Kc4 bc 62. Kxc3 Sxf4. Remis. Sic transit gloria… Kapitel 9 Weiteres Großmeisterspiel Da gab es ein weiteres Schach-Ereignis im Jahr 1910, dem ich entgegensah, nämlich dem Rückkampf zwischen Emanuel Lasker und Janowski. Obwohl Janowski auf viele Erfolge in Turnieren zurückblicken konnte, wo sein wilder Angriffsstil geeignet war, selbst die größten Meister zu fällen, so passte sein Temperament dennoch nicht für Zweikämpfe. Niemand dachte daran, dass er eine ernsthafte Chance gegen den Weltmeister hätte, mit Ausnahme seines Sponsors Nardus, dessen Vertrauen in Janowski unerschütterlich schien. Janowski kam in Berlin einige Tage vor dem Tag an, an dem das Match starten sollte. Ich traf ihn in einem der Schach-Cafés. Ich war sehr enttäuscht, in ihm einen Menschen vorzufinden, der ein weit geringeres Kaliber hatte, als ich aufgrund seiner Partien angenommen hatte, die ich in Schachmagazinen gesehen hatte. Diese Partien zeigten ein feines positionelles Schachverständnis, aus dem ich geschlossen hatte, dass er zweifelsohne einen feinen logischen Verstand besitzen müsse, in der Lage zu wissenschaftlichem Denken. Was ich aber vorfand, war ein Mann mit extrem begrenztem Horizont, dessen Gedanken nur um Schach und Glücksspiele kreisten, meistens sogar um letzteres. Er war nichtsdestotrotz ein netter Mitmensch, der mit vielen amüsanten Geschichten aus seiner Turnierpraxis aufwarten konnte, aber es schien ziemlich absurd, dass er auch nur die geringste Hoffnung nähren konnte, das Match gegen den gigantischen Intellekt eines Laskers zu gewinnen. Es ging das Gerücht um, dass Janowski nach dem Gewinn des ersten Preises beim Turnier zu Monte Carlo 1901 vor Schlechter und Tschigorin das Preisgeld am Tag nach dem Turnier am Roulettetisch verloren hätte und gemäß der Übung der Spielbank ein freies Ticket für die Rückreise nach Paris, seinem Domizil, erhalten hätte. In keiner Weise entmutigt setzte er im Jahr danach seine Gewinne erneut beim Roulette ein, die er als Dritter nach Maroczy und Pillsbury, aber vor Teichmann, Schlechter und Tarrasch erzielt hatte. Wiederum hatte die Spielbank ihm das Ticket zur Verfügung zu stellen. Danach aber, so scheint es, schickte ihn Nardus nicht länger zu den Monte Carlo-Turnieren. Er erwarb allerdings zusätzlichen Ruhm, nachdem er in Cambridge Springs 1904 mit Emanuel Lasker den geteilten zweiten und dritten Platz belegte, als Marshall den ersten Preis gewann. 1905 in Barmen teilte Janowski den ersten und zweiten Platz mit Maroczy, vor Marshall, Bernstein und Schlechter. Und im Großmeisterturnier zu Ostende 1907 kam er gemeinsam mit Marshall auf den dritten Platz, hinter Tarrasch und Schlechter. Das war sicherlich ein beneidenswerter Turnierrekord, aber das Match-Spiel erfordert gewisse psychologische Fähigkeiten neben dem schachlichen Können, und diese Fähigkeiten fehlten ihm. Nachdem er die drei ersten Partien des Matches verloren hatt, sagte er zu mir:“ Ihr Namensvetter spielt solch ein stupides Schach, dass ich einfach nicht auf das Brett sehen kann, wenn er am Denken ist. Ich befürchte, dass ich in diesem Match überhaupt nichts Ordentliches hinbekomme.“ Diese Einschätzung schien wirklich zu absurd, als dass es seinem Statement Glaubwürdigkeit verlieh. Ich erfuhr später tatsächlich, dass Janowski einen Glücksspiel-Club einen Tag vor Match-Beginn entdeckt hatte, und dass er, anstatt jede Nacht acht Stunden zu ruhen, die meisten Nächte in diesem Club verbracht hatte. Er verlor das Match 8 zu 0, mit drei unentschiedenen Partien, also noch schlechter als Marshall, den Lasker 1907 mit dem gleichen Resultat geschlagen hatte, allerdings bei sechs Remis-Partien. Ich erinnere mich, dass Lasker in dem letzten Spiel des Wettkampfs Janowski jede denkbare Chance gab. Er hatte gehört, dass Janowski herablassende Bemerkungen gemacht hatte und es schien so, als wolle er ihm zeigen, dass er mit ihm Katz und Maus spielen könne. Als Antwort auf 1. d4 zog er 1…d6, und beim nächsten Zug 2…e5, womit er Janowski erlaubte, die Damen zu tauschen und er sich selbst der Gelegenheit zur Rochade beraubte. Er benötigte nur wenige Züge, um Janowski zu überspielen und die Partie zu gewinnen. Janowski sagte mir am Tag nach dem Match, dass er froh war, dass es vorüber sei, da er sich jetzt ungestört einem weit interessanteren Spiel widmen könne, das ihm in einem Klub ermöglicht wurde, in dem man ihn eingeführt hatte. Natürlich handelte es sich hier um Roulette.Und er begann mit einer ernsthaften Erklärung eines Sytems, für das er sich entschieden hatte, und das große Erfolgschancen dem Spieler bot, der kaltblütig genug blieb, während des Wurfes der Roulettekugel schnell seine korrekten Entscheidungen zu treffen. Ich konnte wirklich nicht glauben, dass ich gerade mit einem der größten Schachmeister der Zeit sprach. Nichtsdestotrotz war er das, zumindest was das Turnierschach anbelangt. Ich glaube nicht, dass es viele Meister gibt, die auf eine solch grandiose Partie zurückblicken können wie Janowski auf die, die er gegen Capablanca in Sebastian 1911 absolvierte. Nachdem er jedoch diese Partie in einer leicht gewonnenen Stellung verlor, verlor er gleichzeitig den Mut, der ihn durch seine ganze Karriere hindurch ausgezeichnet hatte. Er kam niemals wieder zurück in die vorderste Reihe der Schachmeister. Als Capablanca als einer junger Mann von 22 Jahren nach Europa kam, um sich in San Sebastian, vielleicht dem größten Meisterturnier, das jemals organisiert wurde, dem Kampfe zu stellen, erwartete ihn keiner unter den Preisgewinnern, obwohl er Marshall in einem Wettkampf 1909 überzeugend geschlagen hatte. Die Galaxy an teilnehmenden Meistern, unter ihnen Rubinstein, Schlechter, Bernstein, Vidmar, Teichmann, Maroczy, Duras, Nimzowitsch und Spielmann, wurde als unerreichbar für einen Newcomer betrachtet. Selbst nachdem der Cubaner die europäischen Schachfans mit einem Erst-Runden-Sieg gegen den furchterregenden Bernstein erstaunt hatte, räumten sie ihm langfristig keine große Chance ein. Bernstein hatte seine Dame aus dem Spiel genommen, um in einem frühen Stadium einen Bauern zu gewinnen, wobei er offensichtlich seinen jugendlichen Gegner unterschätzte. Als Capablanca jedoch Runde für Runde in Führung blieb, änderte sich die öffentliche Meinung radikal, und er wurde als eines der größten Genies des Spiels begrüßt, obwohl eingeräumt werden musste, dass er in seiner Partie gegen Janowski viel Glück gehabt hatte und dass Rubinstein, der einzige, der Capablanca besiegen konnte, eigentlich hätte erster werden müssen. Die freundliche Anziehungskraft des Cubaners hatte viel mit dem Sympathie-Umschwung der Schachfans weg von Rubinstein zu tun, der zuvor als der einzige logische Herausforderer um den Weltmeistertitel für ein Match mit Lasker anerkannt war. Die Partie gegen Janowski, die Capablanca Kummer bereitete, war solch ein erregender Kampf, dass ich ihn hier ausgraben will. Ich bin sicher, dass er viel Vergnügen auch denen bereitet, die ihn in der Schachliteratur bereits gesehen haben. José R. Capablanca – D. Janowski 1.d4 d5 2. e3. Es ist interessant zu sehen, mit welcher extremen Vorsicht Capablanca die Eröffnung behandelt. Obwohl er noch sehr jung war, war er in diesem ersten internationalen Turnier überaus selbstbewusst. Viele Jahre später erzählte er mir, dass er sich in der Gesellschaft von allen diesen europäischen Schach-Großmeistern, von denen er so viel in Amerika gehört hatte, kein bisschen geängstigt hätte. Er hatte jedoch während des ganzen Turniers immer erwartet, dass sie Züge machten, die für ihn nicht vorhersehbar waren, obwohl er aus den ersten vier Runden drei Punkte erzielt hatte. In dem Fünft-Runden-Spiel gegen Janowski wurde jedoch seine Befürchtungen bestätigt. Janowski überspielte ihn vollständig, machte einen Zug nach dem anderen, die Capablanca in seiner Kalkulation zuvor abgelehnt hatte, weil er andere Züge für stärker hielt. 2…Sf6 3. Sf3 c5 4. c4 e6 5. Sc3 Le7 6. dxc5 0-0 7. a3 Lxc5 8. b4 Le7 9. Lb2 a5 10. b5 b6 11. cxd5 exd5 12. Sd4 Ld6 13. Le2 Le6 14. Lf3 Ta7! 15. 0-0 Tc7 16. Db3 Sbd7 17. Tfd1 Se5! 18. Le2 De7 19. Tac1 Tfc8! 20. Sa4 Txc1 21. Txc1 Txc1+ 22. Lxc1 Se4! 23. Lb2 Sc4 24. Lxc4 Lh2+!! 25. Kxh2 Dh4+ 26. Kg1 Dxf2+ 27. Kh2 Dg3+! 28. Kg1 dxc4 29. Dc2 Dxe3+ 30. Kh2 Dh6+ 31. Kg1 De3+ 32. Kh2 Dg3+ 33. Kg1 De1+ 34. Kh2 Sf6! 35. Sxe6 Dh4+ 36. Kg1 De1+ 37. Kh2 Dh4+ 38. Kg1 Sg4!! 39. Dd2 Dh2+ 40. Kf1 Dh1+ 41. Ke2 Dxg2+ 42. Kd1 Sf2+ 43. Kc2 Dg6+ 44. Kc1 Dg1+ 45. Kc2 Dg6+ 46. Kc1 Sd3+ 47. Kb1 fxe6 48. Dc2 h5! 49. Ld4 h4 50. Lxb6 h3 51. Lc7 e5! 52. b6 De4 53. Lxe5 De1+??. Ein Fehler, der das Schicksal von drei großen Schachmeistern beeinflusste. Es war eine Tragödie in Janowskis Leben, dass er diese brilliante Partie mit Dh1+ nicht zu einem angemessenen Schluss bringen konnte. Capablanca gewann dieses Turnier als Folge dieser Partie. Er wurde dadurch über Nacht der Haupt-Herausforderer um die Weltmeisterschaft, und er brachte Kuba in die Schlagzeilen Europa-weit in einer so schmeichelhaften Art und Weise, dass ihm die kubanische Regierung in in den Diplomatischen Dienst aufnahm, wodurch er für den Rest seines Lebens davon befreit war, sich um seinen Lebensunterhalt zu kümmern. Rubinstein andererseits, der zuvor als der logische Erbe von Laskers Thron angesehen worden war, wurde aufgrund der Niederlage Janowskis in den Hintergrund gestoßen, trotz der Tatsache, dass er seine direkte Partie gegen Capablanca in klassischer Manier gewonnen hatte. Janowski bemerkte während des Spiels nicht, dass er den Sieg mit dem letzten Zug weggeworfen hatte. Er war schließlich dreißig Jahre älter als sein Opponent, und er war ermattet angesichts der geistigen Arbeit, die ihm sein Meisterstück abverlangt hatte. Hätte er die Kondition gehabt, sauber die Vor- und Nachteile des resultierenden Endspiels abzuwägen, würde er sicherlich den weißen Freibauern als gefährlicher eingeschätzt als seinen eigenen Freibauern, da der weiße Bauer als erster dier siebte Reihe erreicht. Es war nicht schwierig zu erkennen, dass der schwarze Springer auf Dauer damit beauftragt war, das Umwandlungsfeld des weißen Bauern zu bewachen, während der weiße Springer mit der Dame beim Angriff auf den schwarzen König kooperieren konnte. Aus diesem Grund hätte Janowski das Unentschieden mittels ewigem Schach im nächsten Zug erzwingen sollen, in Anbetracht der Gesamtpartie sicherlich eine herzzerbrechende Entscheidung, allerdings besser als den Verlust der Partie zu riskieren. 54. Ka2 Sxe5? (Sc8+ war nötig) 55. b7 Sd7 56. Sc5! Sb8 57. Dxc4+ Kh8 58. Se4! Kh7? (Das Decken des wertvollen Bauern hätte womöglich das Spiel unentschieden gehalten. Nach diesem abschließenden Fehler gewinnt Capablanca die Partie in feinem Stil.) 59. Dd3! g6 60. Dxh3+ Kg7 61. Df3 Dc1 62. Df6+ Kh7 63. Df7+ Kh6 64. Df8+ Kh5 65. Dh8+ Kg4 66. Dc8+ aufgegeben Capablanca gewann das Turnier mit 9,5 Punkten aus 14 möglichen. Ihm folgten dichtauf Rubinstein und Vidmar, die jeweils 9 Punkte aufwiesen. Danach kam Marshall mit 8,5 Nimzowitsch, Schlechter und Tarrasch mit 7,5, Bernstein und Spielmann mit 7, Teichmann mit 6,5, Janowski und Maroczy mit 6 Punkten. Wie zuvor bereits erwähnt, war Rubinstein der einzige, der Capablanca schlagen konnte. Der unerschütterliche russische Koloss spielte seine berühmte Fianchetto-Variante im Damengambit und nach 15 Zügen brachte Rubinstein eine seiner prächtigen Kombinationen. Rubinstein – Capablanca San Sebastian 1911 1. d4 d5 2. Sf3 c5 3. c4 e6 4. cxd5 exd5 5. Sc3 Sc6 6. g3 Le6 7. Lg2 Le7 8. 0-0 Tc8 9. dxc5 Lxc5 10. Sg5 Sf6 11. Sxe6 fxe6 12. Lh3 De7 13. Lg5 0-0 14. Lxf6 Dxf6 15. Sxd5 (Zweifelsohne hatte Capablanca dieses Opfer gesehen, und er hatte gedacht, dass er es durch seine vorbereitete Anwort widerlegen könnte. Andererseits hätte er den Läufer mit dem Bauern anstatt mit der Dame geschlagen. Aber Rubinstein hatte die Situation noch tiefer abgewogen. Er hatte Capablancas Manöver vorhergesehen und eine hübsche Erwiderung vorbereitet.) 15…Dh6 16. Kg2 Tcd8 17. Dc1 exd5 18. Dxc5 Dd2 19. Db5 Sd4 20. Dd3 Dxd3 21. exd3 Tfe8 22. Lg4 Td6 23. Tfe1 Txe1 24. Txe1 Tb6 25. Te5 Txb2 26. Txd5 Sc6 27. Le6+ Kf8 28. Tf5+ Ke8 29. Lf7+ Kd7 30. Lc4 a6 31. 31. Tf7+ Kd6 32. Txg7 b5 33. Lg8 a5 34. Txh7 a4 35. h4 b4 36. Th6+ Kc5 37. Th5+ Kb6 38. Ld5? (Weder Rubinstein noch Capablanca sahen die Antwort 38…Txa2!!) b3 39. axb3 a3 40. Lxc6 Txb3 41. Ld5 a2 42. Th6+ aufgegeben Nach dem Turnier machte Capablanca eine triumphale Tour durch Europa. Er gab Vorstellungen im Simultan-Schach, wo auch immer Klubs die ziemlich hohen Antrittsgelder aufbringen konnten. Sie waren hoch im Vergleich zu den Aufwendungen, die die Klubs bisher Schachmeistern zahlen mussten. Sie waren bescheiden genug, wenn man bedenkt, dass neben den Turnierpreisen oder Einnahmen aus dem Verkauf von Schachartikeln bzw. Schachbüchern solche Simultan-Vorstellungen die einzigen Einnahmequellen eines Schachprofis waren. Capablanca gebührt das Verdienst, dass er sich mit seinen Anstrengungen Emanuel Lasker anschließt, indem sie die Ignoranz oder die Überheblichkeit von Schach-Offiziellen der Schach-Turniere bekämpfen, die beklagen, dass die Tendenz der Meister, mehr Geld zu verlangen als dies die Meister bisher taten,das edle Spiel des Schachs auf das Niveau von Boxkämpfen herabdrücke. Capablanca war daür bestimmt, diese „Brut“ an Schach-Poltikern zu bekämpfen, deren glatte Beredsamkeit oft den Applaus der gedankenlosen Schach-Anhänger gewann, und er war ziemlich erfolgreich bei dieser verdienstvollen Aufgabe. Als der Kubaner auf seiner Tour auch Berlin aufsuchte, faszinierte er mich durch seine großzügige Zustimmung zu einer individuellen Partie mit mir. Was mich noch mehr aufwühlte, war, dass ich in der Lage war, das Spiel in einer hoffnungslosen Stellung noch unentschieden zu gestalten, weil ich einen Vorteil aus einem vorschnellen Zug ziehen konnte, den er in dem Bewusstsein gemacht hatte, dass ich unmittelbar danach aufgeben müsste. Edward Lasker – J.R. Capablanca Weiß: Kc5, Tf5,f7 (am Zuge), Schwarz: Ka6, Td8, e3,f2 1.f8D Txf8 2. Txf8 e2? (Hier konnte Schwarz mit Kb7 gewinnen, was die folgende Kombination unmöglich macht.) 3. Kc6! Ka7 4. Tf7+ Ka6 5. Tf8 Ka5 6. Kc5 Ka4 7. Tf4+ Kc3 8. Tf3+ Kc2 9. Txf2 unentschieden. Capablanca fiel jedermann als ein überaus liebenswürdiger Bursche auf, aber er schien nicht über den Forschergeist und die intellektuellen Fähigkeiten zu verfügen, die sich beeindruckend in Menschen wie Lasker, Bernstein, Teichmann oder Tarrasch zeigten. Der Kubaner zeigte sich eminent praktisch, eine Eigenschaft, die den europäischen Meistern komplett abging. In seinen Spielen zeigte Capablanca einen Stil, der an Schlechter erinnerte, und trotz seiner Jugend besaß er die Reife des Wiener Meisters. Aber Menschen wie Lasker, Nimzowitsch oder Aljechin produzierten sicherlich interessanteres, da komplizierteres Schach. Nachdem Capablanca Berlin verlassen hatte, gab es für mich kein Schach, bis ich meine schriftliche akademische Arbeit beendet hatte. Ich wurde gerade noch rechtzeitig fertig, aber ich erhielt als Abschlussprädikat „cum laude“, und meine Mutter war glücklich. Außerdem erlaubte man mir einen schönen Urlaub im Ausland, bevor ich mich ins Berufsleben "stürzte". Ich war höchst begierig, Frankreich und England kennen zu lernen, besonders ersteres, da ich Französisch konnte, aber Englisch für mich ein Buch mit sieben Siegeln war. Als ich in Paris ankam, war es so schrecklich heiß, dass eine Stadtbesichtigung zunächst nicht in Frage kam. Das war eine gute Entschuldigung für mich, um meinen ersten Tag im berühmten Café de la Régence zu verbringen, Treffpunkt von Schachspielern seit dem 18. Jahrhundert, wo sie immer noch den Tisch zeigen, an dem Napoleon zu spielen pflegte. Der französische Meister Frédéric Lazard, den ich dort traf, schlug vor, einen kurzen Wettkampf zu absolvieren, wenn ich das nächste Mal Paris aufsuchen würde. Ich hoffte, dies im folgenden Jahr zu realisieren. Die Art von Schach, die mir im Régence vor die Augen kam, war, verglichen mit dem, was mir in Berlin begegnet war, nicht sehr beeindruckend. Aus bestimmten Gründen hat das französische Volk keinen erstklassigen Schachmeister mehr hervorgebracht seit Philidor und La Bourdonnais, gerade wie es auch Spanien und Italien verfehlt hatten, die große Verheissung aus den Tagen eines Ruy Lopez oder Greco oder Stamma mit Leben zu füllen. Vielleicht ist das quicklebendige romanische Temperament nicht so förderlich für gutes Schach wie der kontemplative Charakter der nordischen Völker. Letztere fühlen sich mehr zum Studium intellektueller Spiele hingezogen; das sorgt für einen breiten Hintergrund, aus dem heraus sich Meister leichter entwickeln. Ohne diesen Mangel an schachlichem Hintergrund würde man erwarten,dass Frankreich außergewöhnliche Meister hervorbringt. Schachmeisterschaft erfordert einen wissenschaftlich denkenden Geist gepaart mit der Gabe künstlerischer Kreativität. Und ein Land, das einen Henri Poincaré und einen Cézanne hervorgebracht hat, sollte sicherlich ein fruchtbarer Boden sein für einen weiteren Philidor. In Paris konnte ich erstmalig beobachten, was ich später in jedem fremden Land, das ich besuchte, bestätigt fand: Ein Schachspieler wird in allen Schachklubs dieser Erde mit offenen Armen aufgenommen. So wird er in keiner Stadt dieser Welt einsam sein, selbst wenn er keine Seele kennt, solange es Schachspieler in dieser Stadt gibt. Unter den Spielern, denen ich im Régence vorgestellt wurde, war auch eine außergewöhnlich aussehende junge Frau, die ziemlich gut spielte. Ich erfuhr, dass sie eine bekannte Schriftstellerin war, die jeden Nachmittag Stunden im Cafe verbrachte, nicht nur, weil sie von dem Spiel fasziniert war, sondern auch weil die seltsamen Typen, die die Schachecke im Café häufig aufsuchten, exzellentes Material für ihr nächstes Buch versprachen. Sie war sehr hilfreich bei meinen Bemühungen, soviel von dem für Paris Charakteristischen zu sehen wie es mir möglich war in den wenigen Tagen, die ich dort verbringen konnte. Die meisten der männlichen Café-Besucher schienen selbst nur wenig informiert zu sein über die Dinge, die ich in Paris sehen wollte. Wie die Spieler, die die Cafés in Berlin aufsuchten, schien ihre Interessenlage nicht weiter über den Schachhorizont hinaus zu reichen, als es für den Lebensalltag absolut nötig war. Die Schönheit von Paris war überwältigend. Man hatte nur entlang den Champs Elysées zu gehen, vom Place de la Concorde zum Arc de Triomphe und hinaus zum Bois de Boulogne, oder entlang den Quais der Seine oder einen Nachmittag im Jardin de Luxembourg zu verbringen, um festzustellen, dass keine Stadt der Welt jemals hoffen konnte, etwas auch nur im Entferntesten Vergleichbares hervorzubringen. Es machte mich unglücklich, daran zu denken, dass mehrere Jahrhunderte mit dem Schweiß und Blut des einfachen Volkes für diese Paläste und Museen und grandiose Boulevards, die von den französischen Königen erbaut worden waren, nötig waren. Aber da waren sie, und sie waren atemberaubend. Mit dem Gefühl, dass ich vor Beginn meiner ersten Berufstätigkeit bzw. nach der harten Arbeit für meinen Examensabschluss noch eine ordentliche Ruhephase benötigte, beschloss ich, nicht nach London zu gehen, sondern den Rest meines Urlaubs in dem an der englischen Küste gelegenen Torquay zu verbringen. Ich wusste, ich würde den netten Trip von Cherbourg nach Southampton auf einem Transatlantik-Liner genießen, und ich war neugierig zu sehen, wie ich mit den Engländern klar kam. Meine Neugier wurde nur wenig befriedigt, hauptsächlich, weil ich selbst kein Wort Englisch verstand und auch, weil die englischen Zeitgenossen, die ich am Strand oder im Speisesaal des Hotels sah, Deutsch oder Französisch nicht zu können schienen. Zumindest war das bei den wenigen der Fall, die versuchten, mit mir eine Unterhaltung zu beginnen. So kreuzte ich erneut den Kanal und wendete mich dem an der Französischen Küste gelegenen Wimereux in der Nähe von Boulogne zu. An meinem Tisch im Hotel saß ein junger Franzose, der ebenso wie ich allein war. Als er mich in eine Konversation verwickelte, bat ich ihn, nicht zu schnell zu sprechen, da mein Französisch dafür noch nicht ausreichend sei. Aber er sagte: “Nein, Sie werden viel schnellere Fortschritte machen, wenn ich zu Ihnen genau so schnell spreche wie es im französischen Alltag geschieht. Sie werden zweifelsohne noch einiges über die Bedeutung meiner heutigen Worte nachdenken müssen, aber morgen werden Sie schon viel weniger nachdenken müssen und übermorgen werden Sie alles verstehen, was ich sage. Auf diese Weise wird es Ihnen beim nächsten Besuch leichter fallen, dem Französisch zu folgen.“ Ich fand, dass dies eine hervorragende Herangehensweise für jeden war, der einigermaßen mit der Grammatik dieser Sprache vertraut war, und adoptierte dieselbe Methode später mit Erfolg, als ich andere Sprachen erlernen musste. Mein französischer Freund erwies sich als ein sehr interessanter Bursche von erstaunlicher Reife in Anbetracht seiner 18 Jahre. Er studierte Mathematik an der Sorbonne, und wir verglichen die Notengebung im französischen und deutschen Schulsystem. Grundsätzlich schien es da keinen großen Unterschied zu geben. Die Disziplin wurde in beiden Ländern an der Volksschule und am Gynasium groß geschrieben, aber an den Universitäten gab es völlige Freiheit. In beiden Ländern wurden die Jugendlichen mit einer dumpfen Art von Nationalismus indoktriniert. Das Result war, dass jeder deutscher Junge beim Erreichen des Abiturs der Überzeugung war, dass alles in Deutschland besser war als in jedem anderen Land. Und jeder französische Junge verließ die Schule mit der gleichen Überzeugung hinsichtlich Frankreich. In späteren Jahren, als ich in England und den Vereinigten Staaten lebte, war ich überrascht, dass dort an den angelsächsischen Schulen mit Selbstverständlichkeit die gleichen Methoden angewandt wurden. Mich wundert nicht, dass es zu zwei Weltkriegen kam. Nach Berlin zurückzukehren, war ein höchst unerfreulicher Gedanke, da nun die glücklichen Tage des akademischen Lebens vorüber waren. Ich fürchtete mich vor dem Gedanken, jeden Tag zu einer besimmten Zeit ins Büro gehen zu müssen. Aber ich hatte keine Wahl. Die monatlichen Schecks von zuhause, die mich während meiner Universitätsjahre unterstützt hatten, würden mir nicht weiter zur Verfügung stehen. Es war eine herzlose Welt! Gerade als ich in meinem Beruf als Ingenieur startete, begann in Karlsbad eines der größten jemals organisierten Schachturniere. Es kamen 26 Teilnehmer zusammen; praktisch jedermann war anwesend mit Ausnahme von Lasker, Tarrasch und Bernstein. Zur Freude der Schachwelt gewann Teichmann den ersten Preis, zum ersten Mal in seiner Karriere, obwohl er es ziemlich oft verdient hatte, erster zu sein. Man sagte über ihn, dass er eine Dauerkarte für den fünften Platz hätte, da er gewöhnlich auf diesen Platz gegen Ende des Turniers zurückfiel, gleichgültig wie aussichtsreich er gestartet hatte. Das Karlsbader Turnier zeigte, wie stark ein sorgenfreier Geist das Ergebnis eines Spielers beeinflusst. Entsprechend der bekannten Großzügigkeit von Schachspielern generell gegenüber Meistern hatte Teichmann selten jemals genügend Geld, um seine Reiseausgaben für ein Turnier zu bezahlen, und auch seine Ernährung ließ sehr zu wünschen übrig. Nun geschah es aber, dass er eine bescheidene Summe von seiner Mutter gerade einige Wochen vor dem Karlsbader Treffen erbte. Daher war dieses Turnier das erste in seinem Leben, in dem er sich nicht mit der Notlage einer mitleiderregenden Existenz auseinandersetzen musste zusätzlich zur furchterregenden Gegnerschaft. Das Ergebnis war ziemlich spaßig. Jeder der Mitbewerber, dessen Punktestand sich seinem eigenen näherte, einschließlich Rubinstein und Schlechter, wurde mitleidlos „dahingeschlachtet“, wenn er gegen Teichmann antreten musste. Gegen Schlechter gewann er einen Schönheitspreis. Bei seiner Rückkehr nach Berlin erklärte er wie ein triumphierender Gladiator die Schlechter-Partie einer bewundernden Versammlung von Anhängern in seiner unnachahmlichen Art, und seine spaßigen Anmerkungen verrieten nur wenig über die ungeheure Konzentration und die Sorgen, die jede Turnier-Begegnung begleiten. Richard Teichmann – Carl Schlechter Karlsbad 1911 Teichmann hatte seine favorisierte Spanisch-Variante gegen die Tschigorin-Verteidigung gespielt: 1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Le7 6. Te1 b5 7. Lb3 d6 8. c3 0-0 9. d3 Sa5 10. Lc2 c5 11. Sbd2 D7 12. Sf1 Sc6 13. Se3 Lb7. Zu diesem Zug bemerkte Teichmann:“Hier habe ich mich selbst erstaunt und überrascht gefragt, ob Schlechter nicht die klassische Erwiderung kennt. Hatte er denn nicht meine Partie gegen Rubinstein gesehen? Hatte ich nicht den polnischen Giganten gnadenlos geschlagen, als er seinem Läufer den gleichen närrischen Auftrag gab? Oder hatte er etwas Neues im Ärmel? Ich zerbrach meinen armen Kopf bei dem Versuch zu entdecken, warum er meine Kavallerie dazu einladen sollte, solch einen glänzenden Ausguckspunkt wie f5 zu besetzen. Plante er unmittelbar d5? Dann schien mir 15. Lg5 außerordentlich kraftvoll. Schließlich entschied ich, dass selbst der große Schlechter keine Wunder gegen natürliche Züge vollbringen konnte, und ich zog meine Figuren nach vorn. 14. Sf5 Tfe8. „ Seht Ihr?“, fuhr er fort, „er will das Vorrücken des Damenbauern vorbereiten, indem er zuerst den Königsbauern ein bisschen mehr absichert. Aber jetzt werde ich ihn überhaupt nicht mehr vorrücken lassen.“ 15. Lg5 Sd7 16. Lb3! „Nun kann er meinen Läufer nicht mit f6 vertreiben, und ich habe die feine Drohung 17. Ld5, 18. Lxc6 und 19. Lxe7.“ 16. Sf8 17. Ld5! „Die Drohung exisiert immer noch.“ 17…Sg6. „Es schien mir, dass dieses Pferd verdammt viel herumgetanzt ist und dass solch eine Vorstellung geradezu zu einer Bestrafung einlädt. Nachdem ich eine ganze Weile das Läuferopfer auf f7 studiert hatte, fand ich tatsächlich, dass das die Bestrafung war.“ 18. Lxe7 Sgxe7. „Wenn der andere Springer geschlagen hätte, konnte ich natürlich die Qualität mittels Lxb7 usw. gewinnen, aber ich beabsichtigte auch dann meinen Läufer auf f7 zu opfern. Nach 19…Kxf7 20. Sg5+ Kg8 21. Dh5 h6 22. Sxh6+ hätte unser Freund Schlechter sicherlich in der Klemme gesteckt.“ 19. Lxf7+! Kxf7 20. Sg5+ Kg8 „Wenn der König nach f6 geht, habe ich die amüsante Erwiderung Sxg7, und kein Springer kann gefangen werden, da sonst die Dame verloren geht.“ 21. Dh5 Sxf5 22. Dxh7+ Kf8 23. Dxf5+ Kg8 „Er kann nicht nach e7 gehen, da De6+ und das tödliche Schach mit dem Springer folgen würden.“ 24. Dg6!! „Das ist ein kraftvoller Zug, den unser guter Freund, der normalerweise alles sieht, nicht in Betracht gezogen hatte. Sofort Te3 wäre nicht so stark gewesen, weil er den Bauern g7 hätte opfern können mit g6, um seiner Königin zu erlauben, auf g7 in Opposition zu gehen. Jetzt aber betritt der König die Szene mit tödlichem Effekt.“ 24…Dd7 25. Te3 aufgegeben. Eine der großen Überraschungen des Karlsbader Turniers war das Auftreten des neuen Meisters Rotlevi. Da er das Hamburger Hauptturnier das Jahr zuvor gewonnen hatte, war ihm gestattet worden, in Karlsbad zu spielen, aber keiner dachte daran, dass er irgendwo in der Nähe der Preisträger „landen“ würde. Zum Vergnügen des Publikums besiegte er jedoch Marshall, Nimzowitsch, Schlechter, Spielmann und Tartakower und spielte remis gegen Rubinstein. Nach sechszehn Runden lag er an der Spitze des Feldes zusammen mit Schlechter und Teichmann. Als die 23. Runde gespielt wurde, stand er allein auf dem zweiten Platz, einen Punkt hinter Teichmann und einen Punkt vor Rubinstein und Schlechter. In dieser Runde sah er sich Teichmann gegenüber, und da er die weißen Steine hatte, besaß er eine gute Chance, Capablancas Kunststück zu wiederholen, indem er das erste größere Turnier gewann, an dem er teilnahm. Die Augen der gesamten Schachwelt waren auf diese Partie gerichtet. G. Rotlevi – Richard Teichmann Karlsbad 1911
1.d4 d5 2. Sf3 Sf6 3. c4 e6 4. Sc3 Le7 5. Lg5 Sbd7 6. e3 0-0 7. Dc2 c5 8. 0-0-0 Da5 9. cxd5 exd5 10. dxc5 Sxc5 11. Sd4 Le6 12. Kb1 Tac8 13. Ld3 h6 14. Lxf6 Lxf6 15. Lf5 Tfd8 16. Lxe6 fxe6 17. Dg6 Td6 18. Tc1 Ta6 19. f3 Td8 20. Tc2 Lxd4 21. exd4 e5 22. Dg4 exd4 23. Dxd4 Se6 24. De5 b5 25. b3 d4 26. Se4 d3 27. Td2 Sd4 28. Tc1 Sc2 29. Db2 Sa3+ 30. Ka1 Sc2+ 31. Kb1 Sa3+ 32. Ka1 Sc2+ 33. Kb1 Tc6 34. Tcd1 Tdc8 35. Txd3 Sa3+ 36. Ka1 b4 37. Td7 De5 38. Td8+ Txd8 39. Txd8+ Kh7 40. Td1 Dxb2+ 41. Kxb2 Tc2+ 42. Ka1 Txg2 43. Th1 g5 44. Sf6+ Kg7 45. Se4 Kg6 46. Sd6 a5 47. Tc1 Txh2 48. Sc4 Sb5 49. Se5+ Kg7 50. Sg4 Te2 51. Tc5 Te1+ 52. Kb2 Sa3 53. Tc7+ Kf8 54. Tc1 Te2+ 55. Ka1 Sc2+ 56. Kb1 Sa3+ 57. Ka1 Sb5 58. Tc5 Te1+ 59. Kb2 Sa3 60. Tc1 Te2+ 61. Ka1 Te6 62. Th1 Kg7 63. Tc1 Kg6 64. Tc6 Txc6 65. Se5+ Kf5 66. Sxc6 h5 67. Sd4+Ke5 68. Se2 Sc2+ 69. Kb2 Sd4 aufgegeben. Nach diesem Sieg lag Teichmann zwei volle Punkte vor Rotlevi und Rubinstein, und da nur noch zwei Runden zu spielen waren, konnte er nicht mehr vom ersten Platz vertrieben werden. Es war praktisch sicher, dass er das Letzt-Runden-Spiel gegen Duras, der sich durch seine ganze Karriere hindurch als ein unüberwindbares geistiges Hindernis erwiesen hatte, verlieren würde. Aber dieses Mal konnte er dem Mann aus Österreich-Ungarn stoisch gegenübertreten, da Rubinstein einen halben Punkt in der letzten Runde wegwarf und Rotlevi verlor. Teichmann verlor die Partie gegen Duras trotz aller stoischen Ruhe. Er ging jedoch aus dem Turnier als Sieger mit einem vollen Punkt Vorsprung vor Rubinstein und Schlechter hervor. Der letztere hatte einen furchterregenden Endspurt hingelegt mit 2,5 Punkten aus den letzten drei Runden, in denen Rotlevi nur einen halben Punkt geholt hatte, so dass er vierter wurde, nur einen halben Punkt vor Marshall und Nimzowitsch. Vidmar wurde siebenter. Ganze 1,5 Punkte hinter ihm beendeten Aljechin, Duras, Leonhardt und Tartakower das Turnier. Der Letztgenannte verlor drei Spiele gegen die vier Außenseiter (Chajes, Dus-Chotimirski, Fahrni und Jaffe), die das Turnier-Komitee entgegen dem Rat der meisten erfahrenen Meister zugelassen hatte. Solche Außenseiter trüben fast immer das Bild der relativen Stärke der teilnehmenden echten Meister, da jeder Meister der Gefahr ausgesetzt ist, gelegentlich eine Partie gegen einen Spieler zu verlieren, den er leicht in einem Wettkampf über mehrere Partien besiegen würde. Das russische System, Meister-Anwärter zu Meister-Turnieren erst dann zuzulassen, wenn sie während der Dauer von zwei oder drei Jahren ihre Überlegenheit in Anwärter-Turnieren bewiesen haben, sichert am ehesten einen fairen Wettbewerb und einen Wettbewerb auf qualitativ hohem Niveau. Es scheint, dass Rotlevis Niederlage gegen Teichmann, als er den Preis schon zum Greifen nahe hatte, eine Depression auslöste, die früher oder später ausgebrochen wäre. Er wurde nicht lange nach diesem Turnier in ein Sanatorium für Geisteskranke eingeliefert, und man hat niemals wieder etwas von ihm gehört. Kapitel 10 Die englische Schachszene Während des Winters 1911/12 versuchte Emanuel Lasker, ein sehr geistreiches Spiel einzuführen, nicht gedacht als Konkurrenz zum Schach, sondern eher als Zeitvertreib für diejenigen, für die Schach zu komplex und das Damespiel zu monoton ist. Er nannte das Spiel Lasca. Es konnte unmitelbar von jedem gespielt werden, der mit den Regeln des Damespiels vertraut war. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Spielen bestand darin, dass die Figuren nicht geschlagen, sondern gefangengenommen werden. Ein faszinierender und völlig neuer Typ von Kombinationen, die das Spiel ermöglichte, war die Befreiung der Gefangenen. Lasker erreichte mit diesem Spiel praktisch nichts, da er alles andere war als ein Geschäftsmann. Geschickt vermarktet, hätte er damit einen ordentlichen Batzen Geld verdienen können. Zwischenzeitlich hatte Lasker seine Spielstärke beim Go erheblich gesteigert und das denkwürdige Spiel mit dem Japanischen Meister, auf das in der Einführung verwiesen wurde, fand statt, was mich wiederum nach England führte. Vorspiel in Frankreich
Bevor ich den Kontinent verließ, verbrachte ich einige Wochen in Paris, während denen ich das Match über drei Partien mit dem Französischen Meister Frédéric Lazard spielte, dem ich im Vorjahr zugestimmt hatte. Ich gewann den Wettkampf mit 2,5 zu 0,5 Punkten. In besonderem Maße erfreute mich das erste Spiel des Matches, weil es ein gutes Beispiel für eine der Lektionen lieferte, die ich von Emanuel Lasker lernte. Er hatte mir einmal gesagt: „Eines der logischen Prinzipien, die in Schachpartien häufig verletzt werden, ist das, dass man die Initiative jeweils auf der Brettseite anstrebt, auf der man entweder Raumvorteil hat oder über die größere Kampfkraft verfügt.“ In der folgenden Position, die sich aus der Spanischen Eröffnung ergab, die Lazard gespielt hatte, zog er 10. b4, wobei das gerade zitierte Prinzip verletzte (Ausgangsposition: Lazard: Ke1, Dd1, Ta1, Th1, Sb1, Sf3, Lc2, Lg5, a2, b2, c3, d3, e4, f2, g2, h2, Lasker: Ke8, Dd8, Ta8, Th8, Sa5, Sf6, Lc8, Le7, a6, b5, c5, d6, e5, f7, g7, h7). Auf dem Damenflügel ist es Schwarz, der mehr Raum zur Verfügung hat. Dieser Flügel sollte daher logischerweise als Szene für Manöver der schwarzen Figuen dienen. Weiß sollte auf dem Königsflügel operieren, wobei die geübte Methode die Plazierung des Damenspringers entweder auf e3 oder g3 ist, wie in der oben erwähnten Partie Teichmann-Schlechter gezeigt. Es ist interessant zu sehen, wie schnell der strategische Irrtum b4 Weiß in positionelle Schwierigkeiten bringt, aus denen es keinen Ausweg mehr gibt. 10. b4 Sc6 11. a4 Tb8 12. ab ab. Weiß ist jetzt in den Besitz einer offenen Linie für seinen Turm gekommen, aber alle Felder dieser Linie innerhalb des schwarzen Territoriums sind gegen ein Eindringen geschützt. Es ist daher problematisch, ob Weiß von der offenen Linie profitieren wird. Andererseits hat sein Manöver einen unmittelbaren Nachteil produziert: Er kann seinen Bauern auf b4 nicht halten, so dass er gezwungen ist, ihn abzutauschen. Das Resultat ist, dass Schwarz sich auf dem Damenflügel einen Freibauern sichern kann zusätzlich zu dem starken Druck auf der d-Linie, der der Bauerntausch für seinen Turm eröffnet. Von hier an spielte sich die Partie wie von selbst. 13. bc d2 14. h3. Mit diesem Zug, der den Abtausch seines Königsspringers verhindert, zeigt Weiß seine Absicht an, seinen Damenbauern vorzurücken. 14…0-0 15. Sbd2 Le6 16. 0-0 Dc7 17. Te1 Tfd8. Die Entwicklung ist vollendet. Der weiße Vorstoß nach d4 ist abgeblockt, während das Vorrücken des schwarzen b-Bauern nicht verhindert werden kann. Das führt entweder zu einem Freibauern oder zur Öffnung der b-Linie für den schwarzen Turm. 18. Sf1 b4 19. La4 bc 20. Lxc6 Dxc6 21. Se5 Dc7 22. Sf3 Tb2. Das Eindringen eines Turmes auf die zweite Reihe verspricht wie üblich einen schnellen Sieg. Der Turm kann nicht durch Lc1 vertrieben werden, da Lb3 die Dame gewinnen würde. Aus dem gleichen Grund ist Tc1 nicht möglich. 23. Te3 Db6, droht c2 und Tb8. 24. Se1 c4 25. Dc1 cd. Weiß kann diesen Bauern nicht mit dem Springer nehmen wegen TxS und Dxf1+ usw. 26. Txd3. Es gibt keine Verteidigung mehr. 26. Dxc3 würde ebenfalls eine Figur verloren haben wegen d2 27. Sd3 Tb3 28. Dxd2 Lc5. 26…Dxf2+ 27. Kh2 Txd3 aufgegeben. Der Turm auf der zweiten Reihe hat erneut seine Pflicht getan. Am Tag, nachdem ich das Match gewonnen hatte, wurde ich eingeladen, eine Simultan-Vorstellung im „Circle du Lion de Belfort“zu geben, einem Schachklub mit einer großen Mitgliederzahl. Durch diese Vorstellung wurde ich bekannt gemacht mit einer großen Anzahl französischer Schachspieler und zufällig mit einigen ihrer amüsanten Charaktermerkmale. Es waren etwa 250 Schachspieler in der Halle, in der die Veranstaltung stattfand, aber nur 36 Schachbretter standen zur Verfügung. Daher stimmte ich zu, gegen 36 Gruppen von sich beratenden Spielern zu spielen, wobei jede Gruppe aus sechs bis sieben Spielern bestand. Natürlich war es nicht vorgesehen, dass während meiner Abwesenheit vom Brett die Spieler die Figuren hin- und herzogen. Aber ich hatte nicht mit dem französischen Temperament gerechnet. Ich hatte kaum mehr als fünf oder sechs Züge gemacht, als ich zu meiner Verblüffung mich nur noch Endspielen gegenüber sah. An jedem Brett wurden wilde Argumente unter den sich beratenden Spielern ausgetauscht, wobei jeder sich eine Figur griff, bemüht, die Überlegenheit seines Plans zu demonstrieren, mit dem Resultat, dass bei meiner Rückkehr zum Brett praktisch alle Figuren abgetauscht waren. Meine Einwände, dass es mehr Zeit erforderte, jede Partie zu rekonstruieren als sie tatsächlich zuende zu spielen, waren vergeblich. So wurde für meine Vorstellung dreimal soviel Zeit benötigt, wie ursprünglich erwartet. Es war fast drei Uhr, als ich schließlich dem Lion de Belfort entkam hinein in das dunkle Paris. Jedoch mit Hilfe der freundlichen Gegnerschaft, die mich lautstark zu meinem Hotel eskortierte, weil die Métro nicht mehr fuhr und kein Taxi zu finden war, erreichte ich mein Bett und schnappte einige wenige Stunden Schlaf, bevor ich den Schiffs-Zug nach Boulogne bestieg, der mich Richtung England befördern sollte. Zusammentreffen mit britischen Schachgrößen
Die Fahrt über den Kanal von Boulogne nach Folkstone war übel. Ich war seekrank, und als ich nach einer zweistündigen Bahnfahrt in London ankam, suchte ich sofort das Hotel auf und ging zu Bett, obwohl es noch Mittag war. Ich wachte erfrischt gegen vier Uhr auf, und das erste, was ich tat, war, nach dem City of London Schach-Klub auszuschauen. Ich fand ihn nach beträchtlichen Schwierigkeiten in einer kleinen Nebenstraße, die Grocer`s Hall Court genannt wurde, in der Nähe der Bank of England. In dem Klub wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Ein Mitglied, Dr. Schumer, der Deutsch sprach, stellte mich allen Anwesenden vor, aber mein Ohr war so wenig auf das Englische eingestimmt, dass ich kaum einen Namen verstand. Einer der Männer erbot sich, mit mir zu spielen, und ich wurde eingeführt in einen Typ von Schnell-Schach, das in England sehr populär ist. Dies ist das sogenannte „Fünf-Minuten-Spiel“, obwohl die Dauer des Wettspiels nicht notwendigerweise limitiert ist. Beide Uhren werden dabei auf 12 gestellt, wie in einem regulären Turnierkampf, aber keinem der Spieler ist es erlaubt, die Zeit seines Gegenübers um mehr als fünf Minuten zu überschreiten, und das gilt für jede Spielphase. Wenn einer der Spieler also gemächlich spielt, kann der andere die gleiche Zeit in Anspruch nehmen, aber ein Spieler, der schnell zieht, zwingt seinen Gegner, dasselbe zu tun. Ich zog Weiß, und meine erste Partie auf britischem Boden war dazu bestimmt, mir Freunde in aller Welt zu schafen, wo immer Schach gespielt wird. Eduard Lasker– George Alan Thomas London 1912, Freie Partie 1.d4 f5 2. Sf3 Sf6 3. Lg5 e6 4. Sc3 Le7 5. Lxf6 Lxf6 6. e4 fxe4 7. Sxe4 0-0 8. Ld3 b6 9. Se5 Lb7 10. Dh5 De7. Mit dem 10. Zug De7 verteidigte mein Gegner das Matt, das mit 11. Sxf6+ und 12. Dxh7 drohte, wobei er beabsichtigte, den Springer mit dem Bauern auf g7 wiederzuschlagen. Dies gab mir die Gelegenheit für ein aufsehenerregendes Damenopfer. Ich spielte 11. Dxh7+ Kxh7 12. Sxf6++. Der König kann nicht zurück nach h8, da Sg6 zum Schachmatt führt. Daher musste er ins Freie ziehen, wo ich ihn mit allen meinen Figuren jagen konnte. Bei jedem Zug war er gezwungen, einen Schritt näher an meine Stellung heranzurücken, bis er schließlich das Feld g1 erreichte. Hier wurde er, komplett umgeben durch meine Figuren und getrennt von seinen eigenen, durch ein aufgedecktes Schach, da ich durch meinen König gab, schachmatt gesetzt, wobei ich die Linie meines Damenturms freigab, der einzigen Figur, die bisher nicht an der Jagd teilgenommen hatte. 12..Kh6 13. Seg4+ Kg5 14. h4+ Kf4 15. g3+ Kf3 16. Le2+ Kg2 17. Th2+ Kg1 18. Kd2#. Ich bin sicher, keiner der Zuschauer bemerkte, welchen tiefen Eindruck mein Gegenüber auf mich machte, als er, gerade eben matt gesetzt, lächelte und mir die Hände schüttelnd sagte:“ Das war sehr hübsch!“. Erst als Dr. Schumer mir diese Worte übersetzt hatte, realisierte ich, dass ich gerade gegen den Meister von London, Sir George A. Thomas gespielt hatte. Dass er diese Niederlage so gnädig akzeptierte, schien mir ein feines Beispiel für britische Sportlichkeit. Es war eine Haltung, die ich kaum jemals während meiner Berliner Jahre hätte erfahren können. Hätte ich dort diese Partie gegen einen der führenden Amateure gewonnen, wäre sein einziger Kommentar vermutlich gewesen:“ Da haben Sie wirklich Glück gehabt! Hätte ich nämlich 10…Lxe4 anstelle von De7 gespielt, hätten Sie verloren.“ Ich erreichte eine Mitgliedschaft in diesem Klub, und während der folgenden zwei Jahre hatte ich mehr Gelegenheit als jemals zuvor, meine Freizeit mit Schach auszufüllen. Zu meinem Erstaunen gab es fast fünfzig Schachklubs in London, und es erging kaum ein Abend, an dem nicht eine Schachveranstaltung vorgesehen war, entweder als eine Runde in einem Klubturnier oder als Match zwischen verschiedenen Klubs oder - an Wochenenden – ein Besuch bei einem auswärtigen Klub. Solche Besuche wurden gewöhnlich gesponsort von einem Herrn H. Rodney, einem wohlhabenden Mitglied des Metropolitan Chess Club. Er war ein begeisterter Amateur, der sich nichts dabei dachte, wenn er zwanzig oder mehr starke Spieler einlud, ihn als seine Gäste zu einem Seebad in einem privaten Pullman-Wagen (Salon- und Schlafwagen; d.Ü.) zu begleiten und ein Match gegen die besten Spieler irgendeines Orts zu betreiten, den wir gerade aufsuchten. Er pflegte dann ein ganzes Hotel oder zumindest einen größeren Teil davon anzumieten und seine Gäste bis Sonntag-Nacht zu unterhalten, wenn sein Pullman-Wagen sie wieder alle nach London zurückbringen würde. An den Samstagen spielten wir den ganzen Nachmittag und Abend, sontags hatten wir eine erzwungene Ruhe, da die englischen „blue laws“ (strenge puritanische Gesetze; d.Ü.) an Sonntagen selbst das Schach verbannten. Mit der einen Ausnahme von F.D. Yates gab es keine professionellen Schachmeister in England, und es wurden auch keine Turniere veranstaltet, zu denen Meister vom Kontinent eingeladen wurden. Eine der Folgen war, dass das allgemeine Niveau der Spielstärke der erstklassigen englischen Spieler deutlich unter dem Niveau der Meisterklasse in Deutschland, Österreich und Russland lag. Nach dem ersten Weltkrieg änderte sich diese Situation. England wurde erneut die Bühne für internationale Meisterturniere, und die führenden englischen Spieler gewannen spürbar an Stärke, einige von ihnen gaben in Partien ein gutes Bild ab selbst gegen die stärksten Spieler der Welt. Wo immer ich in England spielte, fand ich den selben Geist einer fairen Sportlichkeit vor, der auf mich bei meinem ersten Besuch des City of London Chess Club einen solchen starken Eindruck hinterlassen hatte. Wenn ich gelernt habe, ein guter Verlierer zu sein, da bin ich mir sicher, habe ich das überwiegend der Erziehung zu verdanken, die ich in dieser Hinsicht während der Jahre erhielt, die ich in London lebte. Eine ganze Reihe der führenden englischen Spieler, mit denen ich die Schwerter in Tunierpartien kreuzte, wurde gute Freunde von mir. Einige von ihnen hatten die Gelegenheit, ihre echte Freundschaft zu beweisen während der Probe-Zeit, die ich hatte, nachdem der Weltkrieg ausgebrochen war und ich übernacht zum „ausländischen Feind“ wurde. Wenn ich an ihre Freundlichkeit denke, kommen herzerwärmende Erinnerungen mir zu Bewusstsein und wird mein Vertrauen in die menschliche Anständigkeit wieder hergestellt. Ich glaube daran selbst noch heute, wo erneut tierische Brutalität sich zügellos in der ganzen Welt zeigt, trotz der Lektionen, die die Hass-Händler überall eigentlich gelernt haben sollten aus dem, was sich in der Hölle von Hitlers Deutschland ereignete. Unter den hervorragenden englischen Spielern, deren Freundschaft ich mich erfreute, waren einige, die bemerkenswerte Beiträge zur Schachliteratur machten und insofern Schachspielern in der ganzen Welt wohlbekannt wurden. R.C. Griffith und J.H. White stellten „Modern Chess Openings“ (Moderne Schach-Eröffnungen; d.Ü.) zusammen, das Buch, das Reuben Fine später revidierte und das noch heute das „vade mecum (geh mit mir, d.Ü.) eines jeden englisch-sprechenden Turnierspielers ist. W.H. Watts hat sich dadurch ausgezeichnet, dass er die neue Ausgabe von Emanuel Laskers „Manual of Chess“ (Handbuch des Schachs; d.Ü.) korrigiert und herausgegeben hat. Er verdient beträchtliches Ansehen dafür, dass er geholfen hat, das Buch zu produzieren, von dem ich annehme, dass es das beste Buch für Anfänger ist. J. du Mont wurde der Autor einer Reihe interessanter Monografien zu Schacheröffnungen und er war für mehrere Jahre der Herausgeber des British Chess Magazine. Er war es, der meine eigene Übersetzung der „Schachstrategie“, die ich im Sommer 1913 versucht hatte, nochmals übersetzte. Natürlich war mein Englisch nicht druckreif. DuMont hatte alles erneut zu schreiben, was ich geschrieben hatte. Ohne seine unermüdliche Arbeit wäre „Schachstrategie“ niemals veröffentlicht worden. Er gab dem Buch eine gewisse literarische Würze, die ohne Zweifel erheblich zu seiner Popularität beigetragen hat. Es ging in vierzehn Auflagen, bevor es 1945 durch „Modern Chess Strategy“ersetzt wurde. DuMont war ein Pianist von Ruf, und ich nahm bei ihm Klavierstunden. Allerdings war die Zeit, die ich meinen Schachaktivitäten abknüpfte, beschämend gering. Es verwundert daher nicht, dass man mir sagte, als ein Pianist wäre ich ein ziemlich guter Schachspieler. Im Winter 1912-1913 versuchte ich, die Londoner Meisterschaft zu gewinnen, aber verfehlte es, Sir George Thomas zu entthronen. Er schlug mich in der folgenden geistreichen Partie. George Thomas – Eduard Lasker 1.d4 c5 2. d5 d6 3. c4 g6 4. Sc3 Lg7 5. Ld2 e6 6. e4 ed 7. Sxd5 Lxb2 8. Tb1 Lg7 9. Da4+ Sc6 10. Sf3 h6 11. Ld3 Se7 12. 0-0 0-0 13. Dc2 b6 14. Lc3 Sxd5 15. ed Se5? 16. Sxe5 Lxe5 17. LxL de 18. Lxg6! Dg5 19. Le4 f5 20. f4!! Dg7 21. fe!! Fe 22. Txf8+ Dxf8 23. Tf1 Dg7 24. Dxe4 Dg5 25. Tf4 Dd1+ 26. Kf2 Dd4+ 27. Dxd cd 28. e6 La6 29. Txd4 Tf8+ 30. Ke3 Tf6 31. Ke4 und die weißen Bauern können nicht mehr aufgehalten werden. Im März 1913 spielte ich ein Match mit einer fast legendären Persönlichkeit, einem internationalen Meister vergangener Zeiten, I. Gunsberg, der einen „Chess Divan“ unterhielt, ein kleines Café, wohin eine Gruppe von Stammgästen praktisch täglich ging, um Schach oder Whist oder Poker zu spielen. Geboren 1854 in Budapest, war Gunsberg als ein Junge von neun Jahren nach London gekommen. Seine hauptsächlichen Schacherfolge erzielte er zwischen 1885 und 1890. Er gewann den ersten Preis in Hamburg 1885, vor Blackburne, Tarrasch, Mason, Englisch und Weiss, die alle gemeinsam den zweiten Platz belegten. In London 1886 teilte er den dritten und vierten Preis mit Taubenhaus, einen halben Punkt hinter Blackburne und Burn, die gemeinsam Platz eins und zwei errangen. Wiederum im gleichen Jahr in Nottingham teilte er den dritten und vierten Platz, diesmal mit Zuckertort, während Burn den ersten Preis und Schallop den zweiten Preis davontrugen. In Bradford 1888 erreichte er den Spitzenplatz mit Mackenzie auf dem zweiten Platz, von Bardeleben und Mason auf dem dritten und vierten und Burn auf dem fünften Platz. 1889 spielte er in New York, in einem gigantischen doppelrundigen Turnier mit 20 Teilnehmern. Tschigorin und Weiss teilten sich die ersten beiden Plätze mit jeweils 29 Punkten, Gunsberg wurde dritter mit 28,5 Punkten. Danach Blackburne mit 27 und Burn mit 26 Punkten. Das waren die Zeiten! Gunsberg war auch ein erfolgreicher Matchspieler gewesen. 1886 besiegte er Bird 5:1, 1887 Blackburne 5:2. Gegen Tschigorin hielt er ein Match über 18 Partien unentschieden, und seinen Kampf gegen Steinitz verlor er 6:4. Als ich auf Gunsberg traf, war er erst 58 Jahre alt, aber er hatte sich vom ernsthaften Schach praktisch völlig seit dem berühmten Turnier in Manchester 1890 zurückgezogen, das Tarrasch volle drei Punkte vor Burn gewonnen hatte. Wir vereinbarten einen Wettkampf über sechs Partien, und ich hatte den Eindruck, dass er dachte, er hätte keine Schwierigkeiten, mich zu besiegen. Er verlor jedoch das erste Spiel, und als er die zweite Partie nur durch einen krassen Fehler gewann, den ich in einer Position machte, wo ich ihn in drei Zügen hätte Matt setzen können, beendete er den Wettbewerb auf amüsante Art. Sobald ich die Partie aufgab, gab er das Match mit einem Lächeln auf, wobei er bemerkte, dass seine Tage des ernsthaften Schachs wohl endgültig vorüber seien. Beide Partien wurden in dem scharfen kombinatorischen Stil ausgetragen, der charakteristisch war für alle Meister des neunzehnten Jahrhunderts (sicherlich sind zumindest Steinitz und Emanuel Lasker hiervon auszunehmen; d.Ü.), der aber im 20. Jahrhundert nur von einigen wenigen „Romantikern“ fortgeführt wurde, an der Spitze Spielmann, Mieses und Marshall. Eduard Lasker – I. Gunsberg 1.Wettkampfpartie, London 1913
1.d4 Sf6 2. Sf3 d6 3. Lf4 Sbd7 4. e3 c6 5. c3 Dc7 6. Sbd2 e5 7. Lg3 Sh5 8. Lh4 Sdf6 9. dxe5 dxe5 10. h3 h6 11. g4 g5 12. gxh5 gxh4 13. Da4 Le7 14. 0-0-0 Sxh5 15. De4 Le6 16. Lc4 Sf6 17. Dxe5 Dxe5 18. Sxe5 Lxc4 19. Sdxc4 Se4 20. Td4 f5 21. Tg1 c5 22. Td7 b5 23. Sa5 Sxf2 24. Tg7 Lg5 25. Sb7 Se4 26. Sd6+ (26. Sg6!) Sxd6 27. Txd6 Lxe3+ 28. Kc2 Lf4 29. Te6+ Kd8 30. Td7+ Kc8 31. Tc6+ Kb8 32. Sg6 Tc8 33. Tf6 Lg3 34. Se7 Tc7 35. Sc6+ Kc8 36. Td8+ Kb7 37. Sa5# 1:0 Kapitel 11 Erstes Internationales Meister-Turnier Eines schönen Sommermorgens im Jahre 1913, es war während eines Urlaubs, den ich im französischen Badeort Wimereux verbrachte, erhielt ich ein Telegramm, das mir die größte Aufregung meines jungen Lebens bescherte. Es enthielt die Einladung, im Internationalen Meister-Turnier in Scheveningen mitzuspielen, anstelle von Nimzowitsch, der in elfter Stunde gezwungen war, wegen Krankheit seine Teilnahme abzusagen. Das war meine Chance, den Meistertitel offiziell zu erwerben, indem ich mindestens ein Drittel der möglichen Punkte erreichte, ein in Kontinental-Europa allgemein akzeptierter Maßstab. Ich eilte zur Bahnstation, um herauszufinden, ob es einen Zug gab, der mich rechtzeitig nach Scheveningen bringen würde, da das Turnier am nächsten Morgen gegen 9 Uhr starten sollte. Es gab nur einen Zug, der an diesem Tag nach Holland fuhr und den ich in dem nahegelegenen Boulogne besteigen konnte, und ich werde niemals die Abfahrtszeit vergessen: 14.10 Uhr. Eine Freundin war aus Paris zu mir zu Besuch gekommen, und sie dehnte das Abschiedsessen gerade um eine Minute zulange hinaus. Ich erreichte die Bahnhofsstation um 14.11 Uhr. Mir brach das Herz. Die Chance, auf die ich drei Jahre lang gehofft hatte, war mir duch die Finger geschlüpft- oder gab es noch einen Weg, Holland mit dem Schiff in dieser Nacht zu erreichen? Ich eilte zu den Hafenanlagen und erfuhr, dass die einzige Möglichkeit, Holland vor dem Morgen zu erreichen, darin bestand, ein Schiff zu besteigen, das an diesem Abend England ansteuerte. Wenn die See ruhig war, würde ich gerade rechtzeitig Folkestone erreichen, um ein anderes Schiff zu benutzen, das am Morgen in Flushing ankam. Von dort würde mich ein Zug nach Scheveningen bringen. Da die Ankunft dort gegen 8 Uhr wäre, hätte ich eine Stunde Zeit gehabt, um mich frisch zu machen und zu frühstücken, bevor das Turnier startete. Nun, diesmal waren die Götter mit mir. Ich kam in England an, zwanzig Minuten bevor das Holland-Schiff ablegte. Die Zollbeamten davon zu überzeugen, dass mich eine Kontrolle des Gepäcks mein Schiff verpassen ließ, kostete mich um die zehn Minuten, aber mithilfe eines freundlichen Gepäckträgers erreichte ich den richtigen Pier fünf Minuten vor dem Ablegen. Es gelang mir sogar, eine Kabine zu bekommen, um einige Stunden Schlaf zu ergattern. Nach meiner Ankunft in Scheveningen forderte ich einen Taxifahrer auf, mich zu irgend einem Hotel in Strandnähe zu bringen. Seine Wahl erfreute mich sehr, denn im Frühstücksraum begegnete ich unerwartet Janowski, in Begleitung seines Engels Monsieur Nardus. Diesen gereiften Meister lebendig im gleichen Hotel zu haben, versprach mir Konversationen, von denen ich eine ganze Menge lernen konnte. Bevor wir zum Turniersaal gingen, spazierten wir am Strand entlang. Das erwies sich als höchst erfrischend, und ich gwann meine erste Partie, in der ich mich glücklicherweise mit dem schwächsten Teilnehmer des Turnierfeldes auseinander zu setzen hatte. Unter den Wettbewerbern waren sieben holländische Spieler und sieben Spieler aus anderen Ländern. Von den holländischen Spielern genoß allein Dr. Olland eine internationale Reputation. Die fremden Spieler waren Aljechin, Janowski, Breyer, Mieses, Yates, Englund und ich. Ich gewann mein Zweit-Runden-Spiel gegen einen weiteren der schwächeren holländischen Spieler, aber am dritten Tag saß ich Breyer gegenüber, einem höchst geistreichen jungen Spieler aus Ungarn. Er hatte sich einen guten Ruf dadurch erworben, dass er im Vorjahr einige brilliante Partien gegen bekannte Meister gewonnen hatte. Ich war erfreut, meine Partie remis zu halten, gegen einen wilden frühen Angriff, den er erfolgreich aufgebaut hatte, obwohl er mit den schwarzen Steinen spielte. In der vierten Runde spielte Dr. Olland einen Spanier gegen mich, in dessen Verlauf ich feststellen musste, dass ich noch viel über die Praxis des Mittelspiels zu lernen hatte. Er spielte eine Variane, die nicht zur gängigen Eröffnungstheorie zählte und die auch vermutlich nicht gut war, aber ich fand nicht den richtigen strategischen Plan dagegen. Er überspielte mich strategisch derart, dass ich nur eine halbherzige Verteidigung dagegen setzte. Ich erlaubte seinen Türmen, die siebte Reihe zu besetzen und der Rest war einfach Selbst-Mord. Adolf Georg Olland – Eduard Lasker Scheveningen, 30.07.1913
1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Sxe4 6. d4 b5 7. Lb3 d5 8. dxe5 Le6 9. c3 Le7 10. Le3 0-0 11. Dd3 Sa5 12. Sbd2 Sxb3 13. axb3 Sxd2 14. Dxd2 c5 15. b4 cxb4 16. cxb4 Dd7 17. Tfc1 f6 18. Lc5 fxe5 19. Sxe5 De8 20. Sc6 Lxc5 21. Txc5 Tf6 22. Te1 Df7 23. Se5 Db7 24. Tec1 Taf8 25. f3 Db8 26. Tc7 Tf4 27. T1c6 Dd8 28. g3 T4f5 29. Dd4 Lf7 30. f4 Tf6 31. Tc5 Le6 32. Tb7 Kh8 33. Tcc7 Tg8 34. Sc6 Df8 35. Se7 De8 36. Sxg8 Lxg8 37. Te7 Dg6 38. Txg7 Db1+ 39. Kg2 Dc2+ 40. Kf3 Db3+ 41. Kg4 Le6+ 42. Kg5 1:0 Ich schwor mir, für den Rest des Turniers aggressiv zu spielen, komme, was da wolle. Und das Resultat meiner Fünft-Runden-Partie gegen Mieses ware tatsächlich ermutigend. Eduard Lasker – Jacques Mieses Scheveningen, 31.07.1913 1.e4 d5 2. exd5 Sf6 Mieses nahm mich nicht ernst, das war für mich offensichtlich. Er hoffte ohne Zweifel, dass ich den Bauern mit 3. c4 c6 4. dxc würde halten wollen, woraufhin Schwarz ein ausgezeichnetes Spiel mit Sxc6, e5 und Lf5 erhaten würde.3. d4 Dxd5 4. Sc3 Da5 5. Sf3 Lf5 6. Se5 Se4 7. Df3 Sd6 8. Ld2 e6 9. g4 Lg6 10. h4 Db6 11. 0-0-0 f6 12. Sxg6 hxg6 13. Ld3 Dxd4 14. Lxg6+ Kd7 15. Le3 Db4 16. a3 Dc4 17. Dxb7 Dc6 18. Le4 1:0 Schwarz verliert einen ganzen Turm. Nach dieser Partie bot mir Mieses gutmütig eine Wette an, dass er einen höheren Platz in dem Turnier als ich erringen würde. Wie jeder andere Schachmeister, dessen Alter sich der Marke von einem halben Jahrhunderet nähert, nahm er nicht wahr, dass es fast unmöglich ist, einem anderen Meister ein Handycap von fünfundzwanzig Jahre vorzugeben, der etwa in der gleichen Klasse spielt. Ich akzeptierte die Wette und gewann sie, obwohl es mir schlecht in den folgenden Runden erging. Der Holländer Loman, nebenbei ein feiner Musiker, remisierte die Partie gegen mich, nachdem er die Qualität gegen einen Bauern verloren hatte. Ich hatte noch nicht gelernt, dass man einen Gegner nicht auf die leiche Schulter nehmen sollte, selbst wenn man eine Gewinnposition erreicht hatte. Danach verlor ich gegen Aljechin in einer Weise, die mir klarmachte, um wieviel weiter er in den fünf Jahren fortgeschritten war, seit ich gegen ihn in Düsseldorf zum ersten Mal angetreten war. Er überspielte mich im frühen Mittelspiel so deutlich, dass ich nach etwa zwanzig Zügen meine Partie als hoffnungslos ansah. Nichtsdestotrotz hatte ich doch tatsächlich vermutlich noch eine Chance, zurückzuschlagen. Auf jeden Fall lernte ich eine ganze Menge aus diesem Spiel. Es lehrte mich u.a., dass wenn das Prinzip des schnellen Entwickelns mit dem Prinzip, einen Bauern im Zentrum zu erhalten, zusammenstößt, zeigte sich das letztere als das wichtigere von beiden. Sie lehrte mich auch, dass ich keine Gelegenheit zum Figurentausch verstreichen lassen sollte, wenn der Gegner beweglichere Figuren hatte, weil dadurch die Drohung eines Angriffs aufgrund einer plötzlichen Ansammlung von Kräften abgeschwächt würde. Eduard Lasker – Alexander Aljechin Scheveningen, 01.08.1913 1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Sc3 Lb4 4. Sd5 Le7 Ich war mit dieser Eröffnung, die Aljechin, wie ich später erfuhr, häufig gespielt hatte, nicht vertraut. 5. Lc4. Das ist wahrscheinlich nicht der beste Zug. Der Läufer hat die Wahl zwischen verschiedenen Zügen und es war besser, die Option, ihn an die von Schwarz gewählte Figurenaufstellung anzupassen, sich zu erhalten. Die offensichtliche Fortsetzung war 5. d4, womit das Ziel einer jeden Eröffungsbehandlung erreicht wird, das Zurückhalten des gegnerischen Zentrumsbauerns. 5….Sf6 6. d3. Fürchterlich harmlos. Ich war offensichtlich auf ein Remis aus – etwas gar nicht so Leichtes gegen solch einen fürchterlichen Gegner. 6…d6 7. Sxe7 Dxe7 8. c3. Wenn ich ein verspätetes Vorrücken beim schwarzen Königsbauern plante, wäre der angebrachte Zug h3 gewesen, um mir meinen Königsspringer zu erhalten. Ich erinnere mich, dass ich in jenen Tagen vom Ziehen eines Turmbauern in der Eröffnung zurückschreckte, weil ich das Prinzip einer schnellen Entwicklung zu wörtlich nahm. Ich hatte nicht klar erkannt, dass, wenn man einer feindlicher Figur ein gutes Entwicklungsfeld vorenthält, dies genauso wertvoll war wie die Entwicklung einer meiner Figuren. 8…h6. Aljechin zögert nicht, ein Tempo dafür herzugeben, um sich seinen Königsspringer zu erhalten, mit dem er im Zentrum Pläne hat. 9. Le3 0-0 10. Dd2. Wahrscheinlich mit der Idee, auf h6 zu opfern, für den Fall dass Schwarz Lg4 spielt. 10. Le6 11. Lb3 Lxb3 12. axb3 d5. Aljechin ist aus der Eröffnung ganz klar mit der Initiative hervorgegangen. Er kann als Erster den gegnerischen Zentrumsbauern attackieren. Um meinen Bauern zu erhalten, wäre ich nun gezwungen gewesen, Dc2 zu spielen, einen Zug, den ich heute ohne Zögern machen würde. Zu jener Zeit waren meine Ideen zur Eröffnungstrategie viel zu unflexibel. Ich lehnte den Damenzug ab, weil er bedeutete, dass ich die Dame zweimal zog, anstatt meine Entwicklung fortzusetzen. Ich hätte bemerken sollen, dass die Aufgabe meines Zentrumbauens einen dauernden Nachteil bedeutete, während die Verzögerung meiner Entwicklung um einen Zug weniger gefährlich war in einer Position, in der der Gegner keine unmittelbaren Angriffsmöglichkeiten besaß. 13. exd5?? Sxd5 14. 0-0 f5. Diese Partie ist wirklich ein klassisches Beispiel, um die Bedeutung eines Zentrumsbauern zu illustrieren. Sofern der Gegner seinen eigenen Zentrumsbauern zurückgehalten hat, hat er nun jeden Bewegungsspielraum, den er benötigt, um im Zentrum zu expandieren und für einen Königsangriff auf dem Königsflügel. Im vorliegenden Fall hätte ich nun alle möglichen Anstrengungen unternehmen müssen, um um im Zentrum Gegenspiel durch das Vorrücken des d-Bauern sowie das Postieren meines Springers auf e5 zu erhalten. Das hätte ich erreichen können durch 15. b4 b6..16. b5 Sd8 17. Dc2 Dd6 18. d4 e4 usw. 15. b4 b6 16. De2 Dd6 17. b5 Sce7 18. Ld2 Sg6 19. g3 Tae8. Die Drohung, die Linie mit seinen Türmen mit e4 und dann g4 zu öffnen, ist es natürlich wert, den h-Bauern zu opfern. 20. Ta4 Dd7..21. Txa7?? Es schmerzt mich, daran zu denken, dass ich auch nur im Entferntesten daran gedacht habe, meinen Turm zu solch einem unvernünftigen Botengang zu veranlassen, während mein Haus in Flammen stand. Ich sollte natürlich die Gelegenheit ergriffen haben, mich einer der angreifenden Figuren mit 21. Sh4 zu entledigen. Schwarz hätte einen Bauern gewinnen können mit Dxb5 22. Sxg6 Dxa4 23. Sxf8 Kxf8 , aber er hätte ihn nicht lange behalten. 24. Df3 Se7 25. Te1 Db5 26. b4 gefolgt von c4 hätte ihn in kurzer Zeit zurückgewonnen. 21…e4 22. Sd4 exd3 23. Dxd3 Se5 24. De2 f4 25. Dh5?? Es passt dazu, dass ich diese unwürdige Vorstellung mit einem Fehler abschloss, der eine Figur kostete. Wenn es irgendeinen Weg gab, ein schnelles Ende zu verhindern, dann war es der Abtausch auf f4. Nach 25. Lxf4 mochte Aljechin das Opfer Txf4 beabsichtigt haben. Aber 26. gxf4 Sxf4 27. De4 gefolgt von Tfa1 und Ta8 scheint alles zu halten. Und 25….Sg6 konnte begegnet werden mit 26. Dc4 Sxf4 27. gxf Txf4 28. Kh1 oder 26…Txf4 27. gxf Dg4+ 28. Kh1 Sxf4 29. Tg1 Te1 30. Dxd5+ Sxd5 31. Txe1 und die weiße Position scheint erneut zu halten. Natürlich mit weiteren sechs Zügen, die es vor der Zeitkontrolle noch zu machen galt, war es unmöglich, das allles zu überschauen. 25…Sf6 26. Df5 Sf3+ 27. Kh1 Dxf5 28. Sxf5 Sxd2 29. Td1 Sfe4 30. Sxg7 Sxf7+ 31. Kg2 f3+ 0:1 Die erste Hälfte des Turniers war vorüber und ich hatte nur vier Punkte aus sieben Partien errungen. Jedoch hatten nur drei Spieler ein besseres Ergebnis als ich, und so erlaubte ich mir nicht, entmutigt zu sein. Aljechin war wie ein Wirbelwind vorwärts gestürmt und hatte jede Partie gewonnen. Er war dicht gefolgt von Janowski mit 6,5 und Yates mit 6 Punkten. Dann folgten Dr.Olland Englund und ich, gemeinsam auf dem vierten Platz. In der achten Runde schnappte ich mir Yates mit einer Eröffnung, die ich nur wenige Monate vorher mit Teichmann analysiert hatte. Das war eine Variante des Damengambits, die allgemein als vorteilhaft für Schwarz angesehen wurde, aber in der wir ein nettes positionelles Bauernopfer ausheckten, das zu einer entgegengesetzten Bewertung der Variante zu führen schien. Die Partie ist ein Beispiel dafür, wie gefährlich es für einen Spieler ist, dem (Eröffnungs-) Buch zu vertrauen, wenn es zu komplizierten Varianten kommt, die noch nicht sorgfältig in Turnierpartien getestet wurden. Die Partie kann auch als Anschauungsmaterial für eine Situation dienen, die mehr und mehr aktuell ist und in der die Eröffnungen mehr und mehr sorgfältig analysiert werden. Ein Spieler, der heutzutage an einem Tunier teilnimmt und nicht in der Lage ist, auf dem Laufenden zu bleiben mit den vielen Analysen, die praktisch jeder Meisterpartie folgen, hat einen deutlichen Nachteil, unabhängig davon, wie gut er die Strategie des Spieles versteht. Ich möchte nur einen Fall erwähnen, der kürzlich auftrat: In dem ersten Mannschaftskampf zwischen den USA und Russland 1945 spielte Reschewski gegen den Spanier eine Verteidigung, von der man annahm, dass sie für Schwarz ein zufriedenstellendes Spiel ergeben würde. Sein Gegner Smyslow war vertraut mit einer Analyse, die in Russland im Jahr zuvor vorgenommen wurde und die bewies, dass die infragekommende Variante als für Weiß gewonnen anzusehen ist. So war Reshewski bereits von der Minute an verurteilt, als er diese Variante ansteuerte. Obwohl ich aus Überzeugung mich denen anschließe, die diesen Zustand bedauern, muss ich gestehen, dass ich sehr erfreut war, meinen Kampf gegen den englischen Meister zu gewinnen. Eduard Lasker – F.D.Yates Scheveningen, 2.8.1913 1.d4 d5 2. Sf3 c5 3. c4 e6 4. Sc3 cxd4 5. Sxd4 e5 6. Sdb5 d4 7.Sd5 Sa6 8. e4 Ld7 9. Dh5 Db8 10. c5!! Lxc5 11. Lc4 Le6 12. 0-0 Se7 13. f4 Lxd5 14. exd5 e4 15. d6 d3+ 16. Kh1 0-0 17. dxe7 Lxe7 18. Sc3 Dd8 19. Lxa6 bxa6 20. Sxe4 f5 21. Sd2 Tc8 22. Sb3 a5 23. Le3 Lf6 24. Tad1 Te8 25. Df3 Tc2 26. Ld4 Tee2 27. Lxf6 Dxf6 28. Dxd3 Txg2 29. Dd5+ Df7?? Ein Fehler, der davon herrührte, dass Yates nur noch einige Sekunden übrig hatte, um seinen 30. Zug zu vollenden. Kf8 war der einzige Zug, woraufhin ich beabsichtigte 30. Td2 usw. zu spielen.30. Dxg2 Txg2 31. Td8+ 1:0 Nach dem Sieg über Yates war ich voller Hoffnung, den dritten Preis zu gewinnen. Aljechin und Janowski hatten praktisch den ersten und zweiten Preis sicher. Aber mit Ausnahme von Janowski glaubte ich jeden Gegner schlagen zu können, mit dem ich mich noch auseinander zu setzen hatte, gemessen an deren Leistungen in den bisherigen Runden. Ich gewann gegen Speyer in der folgenden Runde und sah mich dann Janowski gegenüber. Ich hatte sicherlich eine günstige Auslosung in diesem Turnier: Ich hatte Weiß gegen Aljechin, Mieses, Yates und Breyer, und auch gegen Janowski hatte ich den ersten Zug. Als Gegner dieses berühmten Meisters, der erst zwei Jahre zuvor in dem Turnier von San Sebastian mit Capablanca Katz und Maus gespielt hatte, war ich zu beeindruckt, als mehr als ein Remis anzustreben. Das war natürlich ein Fehler. Aber auch das war nicht leicht. Ich verlor diese Partie genauso beschämend wie die gegen Aljechin, erneut wegen des überlegenen Positionsverständnisses meines Gegners. Nur dass es diesmal das Endspiel war, das ich „abschlachtete“ anstelle des Mittelspiels. Eduard Lasker – David Janowski Scheveningen, 4.8.1913 1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Sc3 Sf6 4. Lb5 Lb4 5. 0-0 0-0 6. d3 d6 7. Lg5 Lxc3 8. bxc3 h6 9. Lh4 De7 10. Dd2 Sd8 11. d4 Lg4 12. De3 Lxf3 13. Dxf3 Se6 14. Lxf6 Dxf6 15. Dxf6 gxf6 16. Lc4 exd4 17. Lxe6 fxe6 18. cxd4 Tac8 19. Tab1 b6 20. Tfd1 Tfd8 21. Tb3 d5 22. Tg3+?? Kf7 23. exd5? Txd5 24. Ta3? a5 25. f4?! c5 26. Tc3 Tcd8 27. Tb1 Txd4 28. Txb6 Txf4 29. h3 Td2 30. Tb5 Tff2 31. Tg3 f5 32. c4 f4 33. Tg4 h5 34. Tg5 Txa2 35. h4 Tfb2 36. Txb2 Txb2 37. Txh5?? Ein schlimmer Fehler, verursacht durch ein Übermaß an Zuversicht, obwohl es wenig Grund dafür gab. Ich hatte tatächlich gedacht, dass ich ein leichtes Remis hätte, da Schwarz seinen f-Bauern nicht decken kann. Es kam mir nicht in den Sinn, was eigentlich hätte geschehen sollen, dass Janowski all dies in Betracht gezogen hatte und dass es da vielleicht einen Haken gab bei dieser offensichtlichen Einfachheit. Hätte ich mich der Mühe unterzogen, die Stellung sorgfältig zu analysieren, hätte ich gesehen, dass Schwarz nicht nur drohte, mit seinem Randbauern zu marschieren, sondern auch, meinen Springerbauern mit f3 in dem Moment zu gewinnen, in dem ich Kh2 spiele. a4 38. Txc5 a3 0:1 Trotz dieses Verlustes rechnete ich damit, dass ich noch eine Chance hatte, mit ein wenig Glück den dritten Preis zu gewinnen. Aljechin und Janowski blieben allen anderen Spielern weit voraus. Aber Breyer und Yates mit jeweils 6,5 Punkten waren nur einen halben Punkt vor Dr. Olland und mir. Danach folgten Englund, Geus und té Kolsté, meine Gegner in den letzten drei Runden. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich diese drei schlagen könnte, so dass ich mit neun Punkten abschließen würde. Yates hatte noch mit Janowski zu spielen und ich schätzte, dass er maximal 8,5 Punkte erzielen könnte. Breyer und Olland hatten noch gegeneinander zu spielen und wenn sie remisierten, konnte allein Breyer noch 9 Punkte erreichen, genauso viel wie ich. Ich hatte jedoch nicht mit den unergründlichen Wegen der Götter gerechnet. Die erste Sache, die sich ereignete, war, dass Janowski gegen Yates verlor. Das gab Aljechin einen Vorsprung von 1,5 Punkten. In der Zwischenzeit litt ich als Schwarzer gegen té Kolsté in einer Vier-Springer-Eröffnung. Verzweifelt versuchte ich „etwas aus nichts heraus zu machen“, wie Teichmann diese Versuche nannte, ein Remis in einem Spiel zu vermeiden, in dem man keine Vorteile hat. Wie üblich in solchen Fällen, kam das Schlechteste dabei heraus. Ich verlor einen Bauern und hatte eine schreckliche Zeit durchzustehen, in der ich alle möglichen Arten von Gegenspiel ausprobierte. Die Partie wurde vertagt, in einer unklaren Position, in der alles Mögliche passieren konnte. Ich glaubte, zumindest ein Remis sicher zu haben, so dass meine Chancen auf den alleinigen oder geteiten dritten Platz noch nicht ganz erloschen waren. In der vorletzten Runde gwannen sowohl Aljechin als auch Janowski. Aljechin hatte sich damit den ersten Platz gesichert, auch wenn er sein Letzt-Runden-Spiel gegen Janowski verlor. Breyer war eines der Opfer dieser Runde und Yates verlor gegen Dr. Olland, der in der vorherigen Runde auch einen ganzen Punkt gewonnen hatte, so dass er sicher sein konnte, zumindest Dritter oder geteilter Dritter zu werden, wenn er in der letzten Runde Breyer schlug. Ich musste gegen Englund antreten. Er misshandelte die Eröffnung und verlor entsprechend zwei Tempi bei der Entwicklung. Die überlegene Mobilität meiner Figuren gab mir eine Gelegenheit, die jeder Schachspieler liebt: Ich war in der Lage, zweifach Matt zu drohen mittels Damenopfer. Er sah die erste Drohung, aber übersah die zweite. Die Notation dieser Partie, für die ich den ersten Schönheitspreis gewann, gebe ich im folgenden wieder. Sie illustriert sehr instruktiv, wie ein Entwicklungs-Vorteil von zwei Zügen sich selbst automatisch zu einem verheerenden Angriff aufbaut, jedenfalls in Eröffnungen, in denen es zu einerÖffnung der e-Linie kommt bei gleichzeitig unrochiertem gegenerischen König. Eduard Lasker – F. Englund Scheveningen, 06.08.1913
1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Sc3 Sf6 4. Lb5 Sd4 5. Sxe5 De7 6.Sf3 Sxe4 7. 0-0 Sxc3 8. dxc3 Sxf3+ 9. Dxf3 Dc5 10. Te1+ Le7 11. Ld3 d5 12. Le3 Dd6 13. Lf4 Df6 14. Dxd5 !! Wie ein Blitz vom Himmel. Wenn Schwarz den Läufer schlägt, verliert er durch 15. Lb5+ Kf8 16. Dd8+ Lxd8 17. Te8# oder 15…c6 16. Lxc6+ bxc6 17. Dxc6+ usw. c6 15. De4 Le6 Jetzt scheint es mir unmöglich zu sein, Schwarz am Rochieren zu hindern. Aber mit all meinen Figuren schussbereit ist es nicht überraschend, dass alle möglichen gewinnenden Opfer quasi „in der Luft“ liegen. Mein nächster Zug schaut sehr unschuldig aus, offensichtlich in der Absicht, meine Entwicklung zu vollenden. Aber er enthielt in Wirklichkeit den Tropen Gift, den, wie Emanuel Lasker mir empfohlen hatte, ich immer versuchen sollte anzubringen. Englund befürchtete kein Gift, und mit einem Atemzug der Erleichterung rochierte er – geradewegs in seinen Untergang. 16. Te3 Lc5 17. Le5 Dh6 18. Tg3 Lf8 19. Td1 0-0-0 20. Dxc6+ bxc6 21. La6# 1:0
Nach dem Gewinn dieser Partie ich sicherlich in gehobener Stimmung, und als Aljechin, der ebenfalls bester Laune war, vorschlug, jeden zu einem Nachtklub mitzunehmen, der ihm helfen wollte, seinen Turniersieg zu feiern, zögerte ich nicht, die Einladung anzunehmen, in dem sicheren Gefühl, dass ich meine Partie in der letzten Runde gewinnen würde und dass ich keine Schwierigkeiten haben würde, meine vertagte Partie mit té Kolsté zu remisieren. Dieser hielt sich weise zurück, ebenso wie Janowski, Olland und Yates, und schloss sich nicht der Party an. Aber die Götter, die Janowski gegen Yates verlieren ließen und so Aljechin von aller Sorge befreiten, hatten anderes im Sinn. Aljechin orderte Champagner für jeden, eingeschlossen eine Anzahl französicher Hostessen, die dafür sorgten, dass die Flaschen schnell geleert wurden und ohne Verzögerung durch volle ersetzt wurden. Als die Nacht voranschritt, zeigte sich Aljechin glücklich berauscht, und er weigerte sich, uns nach Hause gehen zu lassen. Als befremdlich notierte ich, dass Aljechin darauf bestand, ausschließlich mit einer Frau zu tanzen, die etwa doppelt so alt war wie er und doppelt so umfangreich, obwohl viele junge Frauen anwesend waren. Gegen vier Uhr morgens schlich Mieses, der der letzte neben Aljechin und mir war, leise davon. Es war nach sieben, als schließlich der Klub geschlossen wurde und Aljechin und ich in einem bemitleidenswerten Zustand heimwärts schwankten. Um neun Uhr geschah das Unvermeidliche. Ich setzte mich hin, um die vertagte Partie zuende zu spielen und ruinierte sie in wenigen Zügen. Adieu, dritter Preis! Das einzig Gute bei dem schnellen Verlust war, dass mir einige Stunden zum Schlafen blieben, bevor die letzte Partie am Nachmittag begann. Sonst wäre ich wohl noch weiter zurückgefallen. Ich gewann die Partie, aber Dr. Olland und Yates gewannen ebenso, so dass ich mich mit dem fünften Platz zufriedengeben musste. Selbst bei diesem Resultat fühlte ich mich in gehobener Stimmung, da ich damit die offizielle Anerkennung als Internationaler Meister gewann. Nichtsdestotrotz schwor ich, dass ich niemals wieder während eines Turniers trinken und nach Mädchen ausschauen würde. Aljechin erschien spät zu seiner Partie und sein Verstand schien noch im Nachtklub zu sein. Janowski machte kurzen Prozess mit ihm, wobei er immerhin, aber auch nicht mehr, sich bis auf einen halben Zähler an Aljechin annähern konnte. Aber das Ergebnis dieser Partie überzeugte Monsieur Nardus einmal mehr davon, dass Janowski tatsächlich jeden Miester in der Welt schlagen konnte, wenn er es nur ernsthaft versuchte. Und so konnte Janowski weiterhin auf einen angemessen hohen Scheck von Nardus jeweils zum Monatsersten zählen. Mit diesem Stipendium hätte er ziemlich komfortabel leben können, aber am dritten eines jeden Monats hatte er bereits wieder leere Taschen, was er seinem unvernünftigen Verhalten an den Roulettetischen der vielen Spielcasinos zu verdanken hatte, die von Paris leicht zu erreichen waren. Aljechin, Janowski, Nardus und ich beschlossen, eine weitere Woche in Scheveningen zu bleiben, um uns an seinem sonnigen Strand von den Anstrengungen des Turniers zu erholen. Aber einige Tage später blieben nur noch Nardus und ich übrig. Aljechin erklärte plötzlich, dass er wegen einer dringenden Mission nach Paris zu fahren habe, die wir uns nicht erklären konnten. Und Janowski schien unerklärlicherweise vergessen zu haben, dass er versprochen hatte, unmittelbar nach dem Turnier einen Freund in Ostende zu treffen. In seinem Fall war es leichter, die Ursache seiner hastigen Abfahrt sich auszudenken. Ostende besaß das nach Monte Carlo berühmteste Casino Europas. Für Janowski, dessen Taschen sich von den Preisgeldern für den zweiten Platz ausbeulten, war es ebenso unwahrscheinlich, nur einen Steinwurf entfernt von Ostende zu sein und nicht die Herausforderung seiner Roulettetische anzunehmen, wie Neapel zu sehen und dann nicht zu sterben. Ich war kaum eine Woche zurück in England, als ich ein Telegramm von Aljechin erhielt mit dem Inhalt, dass er in Paris beraubt worden sei und er sich von mir fünfzig Pfund ausleihen möchte. Zugleich informierte er mich, dass er eine Vereinbarung mit den Schachklubs des Hotels Continental und des Cafés de la Régence getroffen habe, dass sie ein kurzes Match über drei Partien gegen mich im folgenden Monat finanziell fördern. Ich sandte ihm das Geld, obwohl ich die Geschichte mit der Beraubung etwas misteriös fand. Als ich nach Paris kam, um das Match zu spielen, fragte ich Janowski, was er über diesen Vorfall wisse, und er erzählte mir, dass Aljechin in Paris mit der fülligen Dame erschienen sei, die er im Nachtklub in Scheveningen getroffen hatte, aber nach etwa einer Woche sei sie nicht länger in seiner Begleitung gesehen worden Unsere Schlussfolgerung war, dass – Beraubung oder nicht – die Dame das Geld hatte, und was später bekannt wurde über Aljechins erotische Neigungen nährte unseren Verdacht. Was man auch immer an Schwächen oder Verirrungen im sexuellen Bereich bei ihm vermuten konnte, Aljechin war im Schach ein Riese geworden. Ich verlor alle drei Partien des Wettkampfes. Kapitel 12 Meisterschaft von London Nach meiner Rückkehr nach London trug ich im gleichen Jahr noch zwei weitere Wettkämpfe aus, einen mit dem Holländer Davidson, den ich mit 4:0 gewann, und einen mit H.Cole, dem Sir George Thomas als Champion von London nachfolgte. Ich verlor dieses Match in einer blamablen Weise, und ich musste zur Kenntnis nehmen, dass mein Erfolg in Scheveningen mir keine Lizenz gab, einen Gegner zu unterschätzen. Ab dann entschloss ich mich, jeden Spieler in dem anstehenden Londoner Meisterschafts-Turnier genauso ernst zu nehmen wie Sir George Thomas, dem ich ja den Titel entreißen wollte. Es gab eine sehr große Teilnehmerliste, so dass eine Vorrunde zu spielen war. Unter den acht Spielern, die die Endrunde erreichten, fand man keinen leichten Spieler, den man sich aussuchen konnte. Jeder von ihnen war aufgrund seiner bisherigen Ergebnisse in der Lage, das Turnier zu gewinnen. Es waren E.G. Sergeant, R.H.V.Scott, H. Saunders, E.G. Wainwright, R.P. Mitchell, H. Jacobs, Sir George Thomas und ich selbst. In der ersten Runde bereitete mir bereits Sergeant Kummer, und ich erreichte mit Mühe ein Remis. Im zweiten Spiel mit den schwarzen Steinen gegen Scott erarbeitete ich mir etwas, was mir damals wie ein wunderschöner Gewinn aussah, das mich aber heutzutage nach sauberer Analyse zwingt, ein temperamentvolles Opfer von dubiosem Verdienst zu nennen. Auf jeden Fall schäme ich mich nicht, diese Partie beigetragen zu haben auf meinem Weg zum Gewinn der Meisterschaft. R. H. V. Scott – Eduard Lasker Weiß: Kg1, Dc4, Ta1, Tf1, Lc1, Sb3, a4, b4, c5, e4, g2, h2 Schwarz: Kg8, Dc8, Ta8, Td8, Le7, Sf6, b7, e5, f7, g7, h7 In der folgenden Position hätte ich mit Dg4 einen starken Angriff erhalten, aber anstatt dieses Zuges begann ich die folgende überraschende Kombination: 22…b5!? 23. Dxb5 De6 24. Sa5 Sxe4 25. Sc6 Sc3!? Der kritische Punkt. Das Qualitätsopfer sorgt dafür, dass die weiße Dame einige Zeit aus dem Spiel genommen wird, und ich sah keine klare Widerlegung meines Angriffs. Es bot sich aber Td7 an mit der Einladung 26. Sxe5 Dxe5 27. Dxd7 Dxa1 28. Dxe7 Dd4+ mit dem ersticktem Matt durch das bekannte Damenopfer. Aber Weiß hätte auch einfach 26. Sxe7+ spielen können und dann mit den Bauern vorgehen können. 26. Sxd8 Txd8 27. Db7 e4. Dieser Zug schließt erneut die Dame aus und das Zusammenspiel der schwarzen Figuren dürfte bedrohlicher sein als die weißen Freibauer- jedenfalls für eine gewisse Zeit. 28. Ta3 Se2+ 29. Kf2 (erzwungen! Kh1 würde wegen Df6 verliere). Sxc1 (stellt zumindest das Remis für Schwarz sicher.) 30. Txc1 Df6+ 31. Kg1 Dd4+ 32. Kf1 Df6+ 33. Ke1? (verliert) Dh5+ 34. Ke2 Dg5+ 35. Tf3 Dxg2+ 36. Tf2 Td2+ 37. Kxd2 e3? 38. Kxe3 Dxb7 39. Tc5 Dd5 40. Tfc2 Lg5+ 41. Kf2 Lh4+ 42. Ke3 De6+ 43. Kd2 De1+ 44. Kd3 Lg5 45. Te4? Dd1+ 46. Kc3 Lf6+ aufgegeben.
Ich gewann die nächsten beiden Partien gegen Saunders und Wainwright. Aber der richtige Test kam in der fünften und sechsten Runde, als ich sowohl Sir George Thomas gegenüber saß, der bisher die gleiche Punktzahl aufwies wie ich, als auch Michell, der mir gegenüber einen halben Punkt voraus hatte, weil er jede Partie gewonnen hatte. Es gelang mir, Thomas in einer hart gefochtenen Schlacht auf dem Brett zu besiegen, womit ich die Niederlage, die er mir im Vorjahr zugefügt hatte, rächen konnte. Sir George Thomas – Eduard Lasker 1.d4 d5 2. Lf4 e6 3. e3 Ld6 4. Lg3 Sf6 5. Ld3 c5 6. c3 Sc6 7. Sf3 Se4 8. Lxe4 de 9. Sfd2 Lxg3 10. hg cd 11.cd f5? (e5!) 12. Sc3! De7 13. a3 Ld7 14. Sc4 Td8 15. Db3 Lc8 16. Td1 0-0 17. Db5 Df6 18. Sa5 a6 19. Db6 Sxa5 20. Dxa5 Tfe8 21. 0-0 Ld7 22. Td2 Lc6 23. Tfd1 Td6! 24. Dc5 Ted8 25. b4 Le8! 26. d5 b6 27. Dc4 Lf7 28. Td4 b5 29. Dc5 e5 30. T4d2 Dg5 31. Se2 Lh5 32. Kf1 Th6 33. Tc2 f4 34. ef ef 35. d6 Le2+ 36. Kxe2 Dg4+ 37. f3 ef+ 38. gf Th2+ aufgegeben. Mit dieser Partie schied Thomas aus dem Rennen aus. Der einzige übriggebliebene Spieler, den ich zu besiegen hatte, um den angestrebten Meistertitel zu erringen, war Michell, mein Gegner in der nächsten Runde. Michell wurde das Opfer der gleichen Versuchung, die die Urteilsfähigkeit so mancher Meister in wichtigen Wettbewerben getrübt hat, der Versuchung, den b2 bzw. b7 mit der Dame im frühen Mittelspiel zu schlagen in der Erwartung, dass sie den verfolgenden Figuren entkommt. Ossip Bernstein verlor seine Partie gegen Capablanca in San Sebastian als Folge solch eines abenteuerlichen Ausflugs, um nur ein Beispiel zu nennen. Es amüsiert mich sehr, daran zu denken, dass es mit gelang, zwanzig Jahre nach diesem Spiel gegen Michell Marshalls Dame in ein gleiches Abenteuer in einer unserer Match-Partien um die US-Meisterschaft zu locken. Beim Kommentieren dieser Partie ruft sich Marshall die Geschichte von dem sterbenden Mann in Erinnerung zurück, der seine Söhne an sein Bett ruft und sagt:“ Meine Söhne, wenn ich Euch jetzt verlasse, habe ich nur einen Wunsch: Versprecht mir, niemals den Damenspringerbauern (b2 bzw. b7) mit der Dame zu schlagen, wie ich es einst versucht habe..“ Und Marshall fügte hinzu:“ Ich dachte damals, mein Gegner hätte fehlgegriffen, und ich werde das niemals wieder tun. Es ist einfach zu riskant.“ Nachdem ich meine beiden Rivalen im Kampf um den ersten Platz besiegt hatte, war mir der erste Platz sicher, auch wenn ich mein Letzt-Runden-Spiel gegen Jacobs verlor, was auch prompt eintrat. Ich beendete mit einem Ergebnis von 5,5 Punkten, gefolgt von Michell mit 5 und Sergeant und Thomas mit jeweils 4,5. Mit dem titel einher ging eine wunderschöne Medaille in Goldbronze, die das Wappen der Stadt London darstellte. Es ist noch heute eines meiner geschätzten Andenken. Die in Europa in Clubturnieren verliehenen Preise bestanden jeweils in Medaillen oder Pokalen, niemals in Geld. Ich denke, die Praxis von Geldpreisen sollte bevorzugt bei Turnieren oder Zweikämpfen unter Berufs- oder Halb-Berufsspielern stattfinden. Wenn ich sehe, dass das Spielen um Geld eine wichtige Rolle in rein örtlichen Schachveranstaltungen, selbst in Schnellschachturnieren für einen Abend, spielt, scheint mir das so, als sei das Spielen um des Spielens willen mit einem Makel behaftet. Andererseits steht nicht genügend Geld zur Verfügung für Wettbewerbe, in denen sich die Spieler aus den verschiedenen Landesteilen engagieren möchten, um das Schachinteresse in weiteren Kreisen zu stimulieren. Anstatt den Großteil der Mittel als Preise anzubieten, wäre es vernünftiger, für die Reisekosten der Spieler aufzukommen. Wenn Spieler aus dem Profilager teilnehmen, sollten ihnen Antrittsgelder gezahlt werden. Sie sind es, die die Hauptattraktion darstellen, nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für die schwächeren Spieler, die begierig sind, ihre Spielstärke im Wettbewerb mit Meistern zu erproben. Daher sind solche Antrittsgelder vollauf gerechtfertigt. Kapitel 13 Abenteuer in der Neuen Welt: Ich verdiene meine ersten amerikanischen Sporen In der Einführung habe ich bereits erwähnt, dass der Gewinn der Londoner Meisterschaft meinen weiteren Lebenslauf bestimmt hat. Als der Erste Weltkrieg im August 1914 ausbrach, fand ich mich plötzlich als feindlicher Ausländer in England wieder und unterlag strengen Gesetzen, die Fingerabdrücke erforderlich machten, häufiges Melden auf der Polizeistation, Bewegungs-Beschränkung auf fünf Meilen um die eigene Wohnung, Einfrieren des Bankkontos usw. Ich hatte bei der Firma, bei der ich arbeitete, zu kündigen, und wenn die Dame, bei der ich ein Appartement bewohnte, nicht so warmherzig gewesen wäre, hätte ich wortwörtlich auf der Straße gestanden. Die Panik, die in England in den ersten Kriegswochen herrschte, ist für jeden schwer nachzuvollziehen, der das nicht selbst miterlebt hat. Ich besaß zufällig einige Fünf-Pfund-Noten, aber ich konnte sie nicht wechseln, da aus irgend einem seltsamen Grund niemand seine Silber- oder Goldmünzen für reines „Papiergeld“ hergeben wollte. Auch die Kaufleute waren von Panik erfasst, so dass ich einfach nichts kaufen konnte. Ich war auf die Gnade meiner Vermieterin angewiesen, die mir Lebensmittel zukommen ließ. Die Folge dieser Geldsituation war, dass Tausende von Deutschen, die in England lebten, sich an die Regierung wenden mussten, um einen Platz zum Leben zu erhalten. Infolgedessen wurden eilig Internierungskamps aufgebaut. Aus dieser Entwicklung war offensichtlich, dass nach kurzer Zeit jeder Deutsche in einem dieser Lager landen würde, und ich entwickelte alle möglichen Pläne, um diesem Schicksal zu entgehen. Die meisten meiner Freunde in den Londoner Schachklubs, die ich um Hilfe bat, waren sehr nett und hatten Mitleid mit mir, aber sie waren wirklich machtlos bei dem Versuch, mir zu helfen. Schließlich versuchte ich mein Glück beim Innenministerium. Ich bat um die Erlaubnis, nach Amerika zu gehen, wobei ich ein geplantes Schachturnier als Grund vorgab. Der unglaubliche Zufall, dass der Minister des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten ein glühender Schachfan war, sicherte mir die Erlaubnis, England in Richtung Amerika verlassen zu dürfen. R.H.S. Stevenson, der bekannte englische Spieler, der später Vera Menchik heiratete, die damals die stärkste Spielerin der Welt war, erwies sich als echter Freund in Nöten. Er bot freiwillig an, meine ziemlich große Bücherei in seinem Haus zu lagern bis zum Ende des Krieges, wenn ich zurück käme, um natürlich in England zu leben. Meinen Trip nach New York betrachtete ich niemals als etwas anderes als einen Besuch der Geburtsstadt meiner Mutter. Keiner dachte, dass der Krieg länger als sechs oder acht Monate dauern würde. Es wurde allgemein davon ausgegangen, dass dann alle Kriegsmächte die Nutzlosigkeit des Kampfes bemerkt haben und ihn beendet haben würden. Nach vielen Abenteuern, zu denen auch gehörte, Geld von einem Verwandten in der Schweiz zu erhalten, und dies über einen seiner Freunde in Australien, sicherte ich mir einen Platz auf einem der wenigen unersätzlichen Kreuzer, der mir aufgrund meiner Ausreiseerlaubnis zugewiesen wurde, und schließlich fand ich mich draußen auf dem Atlantik. Die meisten anderen Passagiere waren Flüchtlinge aus Belgien, nur eine Handvoll Amerikaner waren an Bord. Die Reise war alles andere als gemütlich. Deutsche U-Boote durchkreuzten den Ozean, und wir hatten alle Bullaugen abgedichtet, so dass kein Lichtstrahl nach draußen drang. Als Folge wurde die Luft in den Kabinen unerträglich und ich verbrachte jede Nacht auf dem Deck in einem Liegestuhl. Ich atmete auf, nachdem unser Schiff in New York angedockt hatte. Für die erfreulich niedrige Wochen-Miete von nur 2,50 $ fand ich ein Zimmer in der 59sten Straße, nicht weit entfernt von dem Quartier des Manhattan Chess Clubs bei der Carnegie Hall. Auf der Seventh Avenue, nur einen Block vom Klub entfernt, servierte ein Restaurant exzellente Mahlzeiten für 35 Cents. Ich fand zudem im Klub einen Schachschüler, der mir 10 Dollar für Schachunterricht zahlte. Auf diese Weise gelang es mir, mich über Wasser zu halten, bis ich den Job bei Sears, Roebuck and Co. in Chicago erhielt, worauf ich bereits zuvor hingewiesen habe. Was die Spielstärke der führenden amerikanischen Spieler anbelangt, fand ich, einmal abgesehen von Marshall, der ja als Großmeister anerkannt war, die der übrigen etwa auf dem gleichen Niveau wie die besten britischen Spieler, vielleicht einen Schatten besser, in anbetracht der Möglichkeit, die diese Spieler hatten, dann und wann mit Meistern wie Capablanca und Marshall zu spielen. Das einzige Mal, dass andere amerikanische Spieler als Marshall an einem europäischen Turnier teilgenommen hatten, war in Karlsbad 1911, als Chajes und Jaffe mitwirkten und sich unter 26 Teilnehmern den letzten Platz teilten – wahrlich kein gutes Aushängeschild für das amerkanische Schach. Aber nachdem Capablanca New York als Wohnort gewählt hatte, hatte dies die Schachaktivitäten im Land beträchtlich stimuliert. Als ich mich in einem Turnier um die Meisterschaft der Metropole New York im Jahr 1915 Spielern gegenübersah wie Roy T. Black, A. Kupchik, A. Schroeder, dem früheren US-Meister Hodges wie auch Chajes und Jaffe, konnte sich jeder aussuchen, wer als Gewinner daraus hervorgehen würde. Als wir die letzte Runde erreichten, lagen Chajes und Black einen halben Punkt vor mir. Ich musste noch gegen Chajes antreten, aber selbst wenn ich ihn besiegte, konnte ich die Meisterschaft nur gewinnen, wenn Black seinen Kampf gegen Jaffe verlor. Jaffe gewann tatsächlich, angespornt durch einen Spezialpreis, von dem er zu meiner Belustigung annahm, dass ich ihn ihm anbieten würde, nachdem er Black besiegt hatte. Nachdem ich Zustimmung des Turnierdirektors eingeholt hatte, bot ich ihm diesen Preis tatsächlich an. Nun hing alles von meinem Spiel gegen Chajes ab und ich kann erfreulicherweise sagen, dass ich die Partie ganz ansehnlich gewann. Somit teilten Black und Chajes den zweiten und dritten Platz. Jaffe und Kupchik folgten in einigem Abstand. Die Partie verlief wie folgt. Eduard Lasker – Oscar Chajes NY City Championship 1915
1.e4 c6 2. d4 d5 3. e5 Lf5 4. Ld3 LxL 5. Dd3 e6 6. Se2 Sd7 7. 0-0 Se7 8. c3 Db6 9. f4 g6 10. Sd2 h5 11. b3 Sf5 12. Sg3 Le7 13. Sxf5 gf 14. Sf3 0-0-0 15. h4! Thg8 16. Sg5 Tg7 17. De2 Th8 18. Le3 Kb8 19. Lf2 Da5 20. c4 b6 21. Tfc1 Kb7 22. Tc2 Sb8 23. a3 Sa6 24. Le1 Lb4 25. cd! LxL 26. dc+ Kc7 27. Txe1 Sb8 28. d5! Dxd5 29. Td1 Db3 30. Td3 Da4 31. Dd2 Kc8 32. Td7 Dxa3 33. Sxe6 Txg2+ 34. Dxg2 35. Kf1 Sxd7 36. cd++ Kb8 37. Tc8+ Txt 38. Da8+ Kxa8 39. dcD Matt Zeitgleich mit der zweiten Hälfte dieses Turniers, das nur eine Partie pro Woche erforderte, wurde ein doppelrundiges Meisterturnier in New York organisiert anlässlich der Rückkehr Capablancas in die Vereinigten Staaten.Es war ihm gelungen, den Kriegswirren in Europa zu entkommen und ein Schiff zu bekommen, das ihn nach Buenos Aires brachte. Er war begierig, in einem Turnier mit Marshall zu spielen, der im Jahr zuvor in Havanna vor ihm gelegen hatte. Acht Spieler waren ausgewählt worden, unter ihnen neben mir Chajes und Kupchik von den Teinehmern an der Metropolitan Meisterschaft. Ich war ungeheuer aufgeregt aufgrund der Gelegenheit, mit zwei der besten Spielern der Welt in einem Turnier zusammenzutreffen. Ich machte leider nur sehr wenig aus dieser Gelegenheit und spielte ungleichmäßig und beendete das Turnier als fünfter. Von einigen freien Partien, die ich im Manhattan Schach-Klub mit Capablanca gespielt hatte, wie auch von den beiden Partien, die wir in diesem Turnier bestritten hatten, entwickelte sich bei mir das starke Gefühl, dass er unschlagbar war. Dieses Gefühl packte ebenso praktisch jeden Meister, der Capablanca gegenüber saß bis zu dem Zeitpunkt, als er den Wettkampf gegen Aljechin 1927 verlor. Capablanca erhielt seine Revanche gegenüber Marshall, in dem er das New Yorker Turnier einen Punkt vor dem US-Meister gewann, wobei er gegen diesen beide Paertien remisierte. In gewisser Weise trug ich zu „Capas“ Sieg bei, indem ich mich weigerte, eine meiner Partien gegen ihn aufgrund einer schachtechnischen Eigentümlicheit zu gewinnen. Die Zeitvorgaben in diesem Turnier lagen bei 15 Zügen pro Stunde, nicht 30 Züge für die ersten beiden Stunden und danach 15 Züge pro Stunde, wie es üblich war. Ein Spieler, der zu seiner Partie eine Stunde zu spät kam, verlor sie damit automatisch. Als Capablanca gegen mich in der zweiten Runde anzutreten hatte, erschien er nicht zu der Zeit, als die Partie beginnen sollte. Natürlich setzte der Turnierdirektor seine Uhr in Gang. Nachdem eine halbe Stunde verstrichen war, sagte ich dem Turnierdirektor, dass ich die Partie nicht durch Nichterscheinen gewinnen möchte und dass ich versuchen würde, Capablanca in seinem Hotel zu erreichen. Ich dachte, dass er vielleicht noch schlafen würde, da er immer sehr spät zu Bett ging. Der Direktor meinte, dass ich mir keine Sorgen machen sollte, da Capablanca ein äußerst schneller Spieler sei und er häufig spät im Spielsaal erscheine. Aber als seine Schachuhr einen Zeitverbrauch von 50 Minuten aufwies, hielt ich es nicht länger aus und eilte zum Telefon. Capablanca antwortete unmittelbar. Ich sagte: „Um Himmels Willen, wo bleiben Sie? Sie sind gerade dabei, Ihre Partie in neun Minuten zu verlieren. Haben Sie verschlafen?“. Er antwortete:“Ich war gerade dabei, los zu gehen. Ich werde noch rechtzeitig drüben sein. Sie hätten mich nicht anrufen sollen. Damit verliere ich eine weitere Minute!“. Ich kannte Capablanca zu dieser Zeit noch nicht gut genug, um zu wissen, dass er seine Bemerkungen ohne jeglichen Hintergedanken von sich gab. Er machte einfach ein Statement, von dem er wusste, dass es korrekt war, und es kam ihm nie in den Sinn, dass ich oder irgendjemand anderes seine Eigenart fehlinterpretieren könnte Ich war ziemlich verblüfft, und als er schließlich erschien mit nur noch einer Minute Bedenkzeit und zudem 1. e4 spielte, hatte ich nicht die Gelassenheit, eine wohlüberlegte Verteidigungslinie zu wählen, die geeignet war, bereits im frühen Stadium der Partie zu Komplikationen zu führen, so dass er seine Probleme gehabt hätte, seine 15 Züge zu erreichen, bevor die Minute verstrichen war. Närrischerweise erlaubte ich ihm nicht nur, seine favorisierte Eröffnung, die Spanische, zu spielen, die er extrem gut beherrschte, sondern ich wählte auch noch die „Riga -Variante“, eine Fortsetzung, bei der die ersten 14 Züge Theorie waren, und von der ich nicht ausgehen konnte, dass sie ihm unbekannt waren. Es stellte sich heraus, dass er diese Variante von A bis Z kannte und er eine Linie herausgarbeitet hatte, die möglicherweise die Eröffnung des Schwarzen insgesamt widerlegte. Jose Raul Capablanca – Eduard Lasker
1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Sxe4 6. d4 exd4 7. Te1 d5 8. Sxd4 Ld6 9. Sxc6 Lxh2+ 10. Kh1 Dh4 11. Txe4+ dxe4 12. Dd8+ Dxd8 13. Sxd8+ Kxd8 14. Kxh2 Le6 15. Le3 f5 16. Sc3 Ke7 17. g4 g6 18. Kg3 h5 19. gxf5 h4+ 20. Kh2 gxf5 21. Se2 b5 22. Lb3 Lxb3 23. axb3 Thg8 24. Td1 Tad8 25. Txd8 Kxd8 26. Sd4 Kd7 27. Sxf5 a5 28. Sxh4 a4 29. bxa4 bxa4 30. Sg2 Tb8 31. Ld4 Tb4 32. Lg7 Tc4 33. Se3 Tc6 34. c4 Tg6 35. Lc3 Kd6 36. Ld4 Kd7 37. Sd5 Tc6 38. c5 Tg6 39. Le3 c6 40. Sc3 Ke6 41. Sxa4 Tg8 42. b4 Ke5 43. Sb6 Tg7 44. Sc4+ Kd5 45. Sd6 Tg8 46. b5 cxb5 47. Sxb5 Tg6 48. Sc3+ Ke5 49. Se2 Ta6 50. Sd4 Kd5 51. c6 Ta7 52. Kg3 Tg7+ 53. Kf4 Tf7+ 54. Kg5 Tg7+ 55. Kf6 Th7 56. Kg6 Tc7 57. Lf4 Tc8 58. Le3 Tc7 59. Kf5 Tf7+ 60. Kg4 Tg7+ 61. Kh3 Th7+ 62. Kg2 Tg7+ 63. Kf1 Ta7 64. Ke2 Taq2+ 65. Kd1 Kc4 66. c7 Ta8 67. Sf5 Kd3 68. Sd6 Th8 69. Kc1 1:0 Kurze Zeit nach diesen beiden Turnieren zog ich nach Chicago, um dort für Sears, Roebuck und Co. zu arbeiten. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal, was unter einem Versandhaus zu verstehen ist. Nach einer von mir nicht nachvollziehbaren amerikanischen Übung wurde ich nicht geprüft, für welche Art von Arbeit ich geeignet sei, sondern ich hatte in verschiedenen Abteilungen zu arbeiten, beginnend mit der Versandabteilung mit dem alleinigen Zeck, Erfahrungen von grundauf zu machen. Für die meiste Arbeit, die dieser „Fahrplan“ vorsah, war ich überhaupt nicht vorbereitet. Meine wöchentliche Entlohnung wurde bestimmt vom Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter in der Versandabteilung, deren tägliche Arbeit wie auch die meine darin bestand, Pakete zu sammeln, die über Rutschbahnen von den verschiedenen Abteilungen herunter kamen. Wir sortierten sie in Körbe, die für die einzelnen Kunden vorgesehen waren, für 18 $ die Woche. Das reichte nicht sehr lange, selbst im Jahr 1915. Jedoch arrangierte die Firmenspitze in Verein mit einer Anzahl Freunde entgegenkommenderweise, dass ihre Söhne wöchentliche Schachstunden durch mich erhielten. Durch diese Unterrichtsstunden verdiente ich in einigen Stunden dreimal soviel, wie man mir in einer ganzen Woche für die Fabrikarbeit bezahlt hatte. Die Anspruchslosigkeit der Arbeit war tödlich, jedenfalls für jemandem, der so schnell durch Routinearbeit gelangweilt ist, wie ich es immer war. Ich hatte in jeder für mich vorgesehenen Abteilung mehrere Wochen, manchmal Monate zu verbringen, wenn zwei oder drei Tage intensiver Einführung mir einen ausreichend klaren Einblick in das Arbeitsgebiet der Abteilung gegeben hätte. Nach neun Monaten wurde ich, dicht vor der völligen Verzweiflung, schließlich an eine Abteilung weitergeleitet, wo man eher mit dem Kopf als mit den Händen arbeiten musste. Das war die Beschwerdeabteilung. Ich muss sagen, dass die fünf oder sechs Monate, die ich dort arbeitete, höchst interessant waren. Sie gaben mir einen Einblick in die Lebensumstände der Farmer und der Bevölkerung in den kleinen Ortschaften, den nur sehr wenige amerkanische Stadtbewohner erreichen können. Der Inspektor dieser Korrespondenzabteilung war ein gut erzogener junger Mann, mit dem ich mich anfreundete. Er schlug vor, dass ich mich mit der Buchabteilung der Firma befassen sollte, wobei er sich vorstellte, dass ich ein Schachbuch schreiben würde, das man über ihren Katalog verkaufen könnte. Der Leiter der Buchabteilung unterstützte diesen Plan und erzählte mir, dass er ein Unternehmen finden würde, welches das Buch drucken und veröffentlichen würde. Ich brauchte ungefähr ein Jahr, um das Buch zu schreiben. Mein Freund aus der Korrespondenz-Abteilung machte den ausgezeichneten Vorschlag, dass ich ihn und seine Verlobte als Testleser benutzen sollte, um zu sehen, ob Personen, die nichts vom Schach verstanden, das Spiel durch meinen Text erlernen konnten. Diese beiden jungen Leute studierten danach jede Seite, die ich geschrieben hatte, sorgfältig. Wann immer sie zu einem Satz kamen, der ihnen nicht eindeutig klar schien, änderte ich den Text solange, bis sie mir versicherten, dass sie ihn leicht nachvollziehen konnten. Auf diese Weise entstand ein Buch, mit dem selbst ein blutiger Anfänger lernen konnte, Schach zu spielen. Da ich mir nicht sicher war, ob Schach genügend Interesse bei den Farmern finden würde, um eine Anzeige im Sears-Katalog zu rechtfertigen, kam mir die Idee, eine Beschreibung des Damespiels beizufügen. Man hatte mir gesagt, dass dieses in den kleinen Städten des Landes das favorisierte Brettspiel sei. Da ich nicht viel mehr wusste als die Züge der Damesteine, schrieb ich an den Dame-Weltmeister, Alfred Jordan, und fragte ihn, ob er den technischen Teil einer kurzen Einführung zum Damespiel für mein Buch übernehmen würde. Wir kamen zusammen, und ich weiß bis heute nicht, ob das Buch sich über dreißigtausend Mal hat verkaufen lassen, weil mein Schach-Teil oder Jordans Dame-Teil so gut waren. Jedoch berichtete mir viele Jahre später Capablanca, dass er dieses Buch, das ich „Chess and Checkers, the Way to Mastership“ (Schach und Damespiel, der Weg zur Meisterschaft) genannte hatte, als beste Einführung für Anfänger betrachte. Zwischenzeitlich hatte dieses Land (die USA) Deutschland den Krieg berklärt und einmal mehr befand ich mich in der wenig beneidendswerten Position, ein feindlicher Ausländer zu sein. Während meines zweijährigen Aufenthalts in Chicago hatte ich viele angenehme Verbindungen geknüpft, die mein Leben in diesem Land sehr attraktiv erscheinen ließen, im Gegensatz zur Anfangszeit, in der ich keine Freunde gefunden hatte. Daher beschloss ich, hier zu bleiben.Und als Fragebögen an alle Ausländer verschickt wurden, in denen man eine Befreiung vom Militärdienst fordern konnte oder auf diese Befreiung verzichten konnte, verzichtete ich auf diese Befreiung. Der Effekt war höchst unerwartet. Eines Tages, etwa ein Jahr nachdem ich den Fragebogen ausgefüllt hatte, wurde ich vor eine Untersuchungskommission gerufen und lange ausgefragt, wobei die Prüfer sich offensichtlich dagegen absichern wollten, dass es keine ernsthaften Gründe gab, wie z.B. die Hoffnung auf Spionagemöglichkeiten, die mich veranlasst hatten, freiwillig zum Militär zu gehen. Wiederum erwies sich das Schach als hilfreicher als jede Referenz, die ich hätte anbieten können. Den Prüfern lag natürlich meine detaillierte Lebensgeschichte vor. Sie wussten tatsächlich viel mehr als ich mich erinnern konnte. Einer von ihnen verwies schließlich auf den internationalen Charakter des Schachs und auf die Tatsache, dass die britische Regierung mich ebenso überprüft und für harmlos gefunden hätte. Ich wurde in einer freundlichen Atmosphäre entlassen, und soweit ich weiß, wurde meinem Antrag entsprochen. Jedoch bevor der nötige Papierkram erledigt war, wurde weniger als sechs Monate später der Waffenstillstand erklärt, der das Problem ein für alle Mal löste. Da Amerika weiter von Deutschland entfernt ist als England, wurden die Deutschen nicht in Lager gesteckt und Spezial-Agenten waren hinter mir nur jene seltenen Male her, wenn irgendein Kauz mich wegen des einen oder anderen fantastischen Grundes denunziert hatte. In einem Fall hatte ein „Ankläger“ auf die Tatsache verwiesen, dass ich in „Chess und Checkers“ die „Hunnen“-Notation, das war sein Name für die algebraische Notation der Züge, die in den meisten anderen Ländern gebräuchlich war, benutzt hatte und dass ich daher zweifellos Ränke gegen Amerikanische Institutionen schmiedete. Dass ich es abgelehnt hatte, mich vom Militärdienst befreien zu lassen, beinhaltete eine andere Befreiung für mich, die mir höchst willkommen war. Als der Krieg zuende war, hatte ich nicht mehr als zwei Jahre zu warten, bis ich die Staatsbürgerschaft erhielt, während alle Deutsche, die sich vom Wehrdienst befreien ließen, entweder fünf Jahre zu warten hatten oder von der Staatsbürgerschaft ausgeschlosen wurde. In Chicago gab es natürlich viel weniger Schachaktivitäten als in New York. Es gab nur drei oder vier Spieler, deren Stärke an die der führenden New Yorker Spieler heranreichte. Das waren G. Gessner, H. Hahlbohm, L. J. Isaacs und P.G.Mow. Ungefähr ein Jahr, nachdem ich nach Chicago gekommen war, wurde eine Chicago-Schach-Liga gebildet, die acht oder zehn Schachklubs umfasste und jährliche Mannschaftsmeisterschaften abhielt. 1916 gab es auch ein Einzelturnier um die Chicagoer Meisterschaft, die ich einen halben Punkt vor Mow gewann. Die stärksten Schach-Events im Mittelwesten waren die jährlichen Turniere des Westlichen Schach-Verbands (Western Chess Association), um die Meisterschaften der westlichen Staaten zu ermitteln. Der frühere US-Champion Jackson W. Showalter war ein häufiger Teilnehmer an diesen Turnieren. Das war ebenso bei Jefferson, den Süd-Meister der Fall. 1916 fand dieses Turnier in Chicago statt und ich schaute ungeduldig dem Treffen mit dem „Schach-Löwen aus Kentucky“ entgegen, wie Showalters Spitzname lautete wegen seiner wundervollen lange Mähne aus weißem Haar, die seinen großen Kopf beeindruckend bedeckte. Ein enormes Spielerfeld hatte den Kampfplatz betreten- zwanzig Spieler vom Mittleren Westen und Süden sowie N.T. Whitaker aus dem Osten. J.T.Beckner von Winchester, Kentucky, ein Freund und Sparringspartner von Showalter, demonstrierte den Wert von Übungspartien mit einem Meister. Er führte das Rennen für eine lange Zeit an und sammelte mehr Punkte gegen die Teilnehmer aus der zweiten Hälfte des Feldes als jeder andere, wobei er schließlich auf dem vierten Platz landete. Ich verlor gegen einen der starken Chicago-Spieler, der Showalter geschlagen hatte. Andererseits besiegte ich Beckner, bei dem Showalter sich mit einem Remis zufrieden geben musste. So lag Showalter einen halben Punkt vor mir, als wir unsere Partie auszutragen hatten. Ich hatte die weißen Steine, aber konnte keine Vorteile daraus ziehen, und die Partie endete in einem Remis. Showalter nahm seinen Vorsprung von einem halben Punkt mit in die letzte Runde, und ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Sein Gegenüber war Hahlbohm, der obwohl Dritter in dem Rennen nicht ganz das gleiche Kaliber aufwies. Volle 2,5 Punkte trennten ihn von dem alten Meister. Ihre Partie war noch im Stadium des frühen Mittelspiels, als mein Gegner aufgab. Und ich verließ den Turniersaal, um etwas zu erledigen. Als ich ungefähr eine Stunde später zurückkam, sah ich zu meinem Vergnügen, dass Showalter auf dem Brett eine verlorene Partie hatte. Einige Züge später gab er auf, und der Titel des Western Champions ging auf mich über, völlig entgegen meinen Erwartungen, da ich im Geiste bereits den ersten Platz Showalter zugestanden hatte. Wie bereits in der New Yorker Meisterschaft sorgte auch hier ein anderer Mitstreiter dafür, dass mein Hauptrivale in der letzten Runde zurückgeworfen wurde. Ich fühlte mich nicht besonders glücklich, den Titel auf diese Weise gewonnen zu haben, und begrüßte die Gelegenheit, mit Showalter erneut aufeinander zu treffen, als im folgenden Jahr das Western-Turnier in Lexington, Kentucky, stattfand. Ich gewann das Turnier erneut, diesmal verdient, denn ich beendete das Turnier volle zwei Punkte vor Showalter, obwohl er mich in einem der beiden Partien des doppelrundigen Turniers schlug. Als wir in der Rückrunde aufeinander trafen, hatten wir noch die gleiche Punktzahl, und ich fühlte, dass meine Reputation bei dieser Partie auf dem Spiele stand. Mit Schwarz in der Spanischen Eröffnung bot ich ein Bauernopfer an als Gegenwert für die Initiative im frühen Mittelspiel, und ein unermüdlich wachsender Druck sorgten schließlich dafür, dass die Farben Kentuckys in den Staub sanken. Jackson W. Showalter – Eduard Lasker
1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. d3 b5 6. Lb3 d6 7. Sg5 d5 8. ed Sd 9. d6 Sb3 10. dc Dxc7 11. ab Lb7 12. 0-0 h6! 13. Sf3 Ld6 14. Te1 0-0 15. Sbd2 Tad8 16. c3 e5! 17. de Sxe5 18. Dc2 Sxd2 19. Lxd2 Lxf3 20. gf Lh2+ 21. Kg2 Td6 22. Te4 f5 23. Th4 Dd8 24. Txh2 Txd2 25. Dc1 Dg5+ 26. Kh1 Tfd8 27. De1 Kh7 28. Dc1 T8d6 29. c4 Dd8 30. Dc3 und Weiß verliert die Dame ..Td1+ 31. Kg2 Dg5+ 32. Kh3 Tg1 33. Dd4 Dh5+ 34. Dh4 Df3+ usw. Während der folgenden fünf Jahre waren die Turniere zur Meisterschaft des Westens fast die einzigen ernsten Schachereignisse, an denen ich teilnahm. Ich hatte einige sehr interessante Schachamateure in Chicago kennengelernt, die zwar Schachklubs nicht besonders häufig aufsuchten, aber Freude hatten an einem gelegentlichen Spiel zuhause. Besonders hervorzuheben unter ihnen waren Dr. Joseph Zeisler, einer der führenden amerikanischen Dermatologen, sowie Ernest T. Gundlach, Präsident des Chicago City Klubs. Beide teilten meine intensive Liebe zur Musik, und wir wurden enge Freunde. In ihren Häusern traf ich eine Anzahl berümter Musiker, unter ihnen Mischa Elman, der seinerseits ein glühender Schachenthusiast war, und der immer es zustandebrachte, Zeit für einige Schachpartien zu erübrigen, wenn ihn seine Touren durch Chicago führten. Diese Bekanntschaft entwickelte sich zu einer dauerhaften Freundschaft. Durch Elman traf ich eine ganze Reihe anderer führender Virtuosen. Und die seltenen musikalischen Erfahrungen, die ich auf diesem Wege machte, zähle ich zu den glücklichsten Momenten, die ich indirekt dem Schach zu verdanken habe. Mischa Elman spielte ein ziemlich starkes Schach, und jahrelang engagierte er sich in königlichen Schlachten mit Dr. Zeisler an sonntäglichen Morgen, nachdem er sein Konzert absolviert hatte. Zwischen den Partien machten sie etwas Musik, wobei Dr. Zeisler, ein perfekter Pianist, Elman begleitete. Ich werde niemals den Sonntag Morgen vergessen, als Dr. Zeisler mich bei Elman einführte. Sie spielten Chaussons Poeme, und ihr musikalischer Vortrag war so perfekt, so innig, dass ich völlig verzaubert war. Chaussons Komposition hatte niemals danach einen vergleichbaren Effekt auf mich gehabt, auch nicht als ich es auf der Bühne hörte, obwohl es mir scheint, dass es ein ausgesprochenes Konzertstück ist. Ein anderer Virtuose, bei dem mich Dr. Zeisler einführte und bei dem das Schach zur Sucht ausgeartet war, war der berühmte Pianist Moritz Rosenthal. Wann immer er zu einer Aufführung nach Chicago kam, informierte er mich davon lange im voraus, um sicherzustellen, dass ich mich von sonstigen Verabredungen freihielt, damit wir Schach spielen konnten. Unter allen Künsten scheint Musik die dichteste Affinität zum Schach zu haben. Ein hoher Prozentsatz der vielen mir bekannten Musiker sind Schachfans. Umgekehrt sind viele starke Schachamateure unter meinen Bekannten Musikliebhaber, womit ich ernsthafte Musikamateure meine, die ein oder mehrere Musikinstrumente zemlich gut beherrschen. Ernest Gundlach verbrachte jeden Tag einige Zeit an seinem Klavier, obwohl er der Präsident einer Werbeagentur war, die ihn zwang, viele Stunden in seinem Büro zu verbringen. Er hatte in seinem Haus drei Klaviere, und es musste schon eine sehr wichtige Angelegenheit sein, wenn er es erlaubte, dass sie ihn davon abhielt, zwölfhändige Symphonie-Arrangements am Sonntag mit fünf Musikfreunden zu spielen, die wiederum eine ständige Einladung hatten, „ihr Sonntag-Essen abzuarbeiten.“ Während der Unterbrechungen pflegte Gundlach, mit mir Schach zu spielen, und die Vereinbarung, die er immer wieder neckend vorschlug, um meinen stimmlichen Ehrgeiz zu beschwichtigen, bestand darin, dass er mir gestattete, für jede gewonnene Partie ein Lied zu singen, zu dem er mich am Klavier begleitete. Letzteres war manchmal ein ziemlich dubioses Vergnügen, denn Gundlach, ein massiger Mann mit einer kraftvollen Persönlichkeit und ebenfalls kräftigen Händen, hatte keine besondere Gabe für pianissimo. Ein beidseitiger Freund formulierte es einmal graphisch:“Wenn er die Elfenbeintasten bearbeitet, dann bleiben sie am Ort.“ Im Jahr 1919 überzeugte mich Gundlach davon, dass ich Sears verlassen müsste und in einer ihm gehörenden Fabrik eine leitende Position übernehmen sollte. Ich nahm den Vorschlag an, da das zugleich bedeutete, dass ich zurück in meinen Ingenieurs-Beruf gehen konnte. Dennoch hatte ich bei Sears auch einen ziemlich interessanten Job gehabt als Sicherheits-Ingenieur. Dieser Job war mir angeboten worden, nachdem ich einige praktische Erfahrungen in allen Betriebsabteilungen gesammelt hatte. Die Arbeit beinhaltete regelmäßiges Reisen zu den dreißig und mehr Fabriken, die Sears zu dieser Zeit besaß, um sicherzustellen, dass alles Menschenmögliche für die Sicherheit und die Gesundheit der Angestellten getan war. Darunter waren Schuhfabriken, Ofenfabriken, Holzverarbeitungsfirmen und was sonst nicht alles. Die Erfahrung, die ich dabei machte, war vielfältig und wertvoll. Aber die Aussicht, eng mit so einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, wie es Gundlach war, zusammenarbeiten zu können, war zu verführerisch. Der Geschäftsbereich, in den er mich brachte, bestand in der schwierigen Aufgabe, elektrisch angetriebene Kuhmilch-Maschinen auf amerikanischen Farmen einzuführen, zu einer Zeit, als diese Idee noch neu war. Meine spezielle Aufgabe bestand darin, die Maschine zu verbessern, wo immer eine Verbesserung nötig war. Diese Arbeit, in deren Verlauf ich viele Monate auf Milchfarmen in Michigan, Minnesota und Iowa verbrachte, machte mich sehr vertraut mit dem amerikanischen Farmleben, eine höchst interessante Erfahrung, obwohl die Stunden, die ich hier zubringen musste, aus der Sicht eines Stadtbewohners äußerst fantastisch waren. Ich musste jeden Morgen um 4.30 Uhr aufstehen, um meine Experimentier-Melk-Maschine für das morgendliche Melken fertig zu machen. Das Frühstück wurde um 6 Uhr serviert, und danach hatte ich nichts zu tun bis zum Abend-Melken, eine Aussicht zum Verrücktwerden, dem ich allerdings nach und nach lernte zu entgehen, indem ich dem Farmer half, das Heu einzubringen oder eine andere Arbeit zu machen, von der ich während meines Ingenieurs-Studiums nicht einmal geträumt habe. Eine höchst willkommene Entdeckung, die ich in vielen Farmhäusern machte, bestand in einer Blasorgel, auf der ich nach Herzenslust improvisieren konnte. Es war mir schleierhaft, wie diese Musikinstrument-Verkäufer die Farmer vom Kauf dieses Geräts überzeugen konnte. Aber nun waren sie da, obwohl ich niemals einen Farmer traf, der entweder die Zeit oder das Wissen hatte, es zu spielen. Während der beiden Wochen meiner Sommerferien spielte ich regelmäßig bei dem Meisterturnier der Weststaaten mit. Dass ich während des restlichen Jahres „weg vom Schach“ war, beeinflusste meine Spielstärke nicht. Und das geschieht auch nicht bei irgend jemand anderem, im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung, dass ein Schachmeister in Übung bleiben muss, um seine Spielstärke aufrecht zu erhalten. Ein Spieler, der einmal die generellen Prinzipien der Schachstrategie verstanden hat, verliert dieses Verständnis niemals und bleibt insofern allen Spielern überlegen, die das nicht haben. Das einzige Handicap ist das mangelnde Vertrautsein mit den neuesten Eröffnungskenntnissen, aber solch ein Handicap ist nur in echten Meisterturnieren relevant, wo der andere Teilnehmer mehr oder weniger auf dem neuesten Stand ist bei dem aktuellen Eröffnungswissen. Kapitel 14 Sammy, das Schachwunderkind 1920 wurden die amerikanischen Schachspieler von dem Erscheinen eines Wunderkinds, Sammy Reshewsky, aufgeschreckt, der im ganzen Land Simultanvorstellungen im Schach gab. Trotz der glänzenden Berichte, die die Zeitungen über die Heldentaten des Kindes in Europa abdruckten, blieben die Schachspieler hier skeptisch, bis Sammy nach New York kam und tatsächlich zwanzig Partien simultan spielte, gegen Gegner, von denen einige zur A-Klasse der Klubs gehörten. Als wir in Chicago von dieser Leistung lasen, schlossen wir daraus, dass Sammy vielleicht ein bisschen älter war als angekündigt. Einige Tage später erhielt ich einen Brief von Sammys „Manager“, in dem er nachfragte, ob ich nicht für das Wunderkind einige Schachveranstaltungen in Chicago und in dem nahegelegenen Milwaukee arrangieren könnte, und ich sagte erfreut zu. Ich sammelte um die 1.600 $ für eine Besuchs-Woche, während der Sammy vier Vorstellungen geben sollte, eine in Milwaukee und drei in Chcago. Außerdem war eine Partie mit Uhren gegen mich vorgesehen, im Haus von Julius Rosenwald, dem sehr daran gelegen war, den kleinen Jungen zu treffen, und der in seiner bekannten Großzügigkeit zu verstehen gab, dass es ihm ein Vergnügen bereiten würde, für Sammys Erziehung Mittel zur Verfügung zu stellen. Mein erstes Zusammentreffen mit ihm hat sich unvergesslich in meine Erinnerung eingebrannt. Ich erwartete seine Ankunft auf dem Bahnsteig der La Salle Street Station. Während der Zug seine Passagiere ausspuckte, erfasste ich sorgfältig die jungen Burschen unter ihnen, und bald bemerkte ich einen in Begleitung eines fremdartig aussehenden Mannes, der zögerlich um sich schaute und von dem ich dachte, dass dies sehr wohl Sammys Manager sein konnte. Aber igendwie konnte ich nicht glauben, dass der Junge Sammy war. Es stimmte natürlich, dass die Zeitungen betont hatten, dass er nur acht Jahre alt war, während ich völlig darauf vorbereitet war, einen Jungen von zehn oder zwölf anzutreffen. Das Kind, das der Mann an der Hand hielt, konnte jedoch keinen Tag älter als sechs Jahre sein. Nichtsdestotrotz erwies er sich als Sammy. Ich war völlig überrascht und weigerte mich zu glauben, dass dieses Baby Schach spielen konnte, geschweige denn, es meisterlich zu spielen. Zudem schaute er gar nicht aus wie ein Kind, das es liebt zu studieren oder über ein Schachbrett zu brüten. Mit seinen rosigen Wangen, seinem blonden Haar und seinen glänzenden blauen Augen, einem Bild von Gesundheit, hätte man eher erwartet, dass er geistige Aktivitäten zugunsten körperlicher Übungen vernachlässigt. Um mein sprachloses Erstaunen zu komplettieren, fragte mich der Junge, als wir gerade ein Taxi bestiegen, ob ich Blindschach spielen könne. Als ich vorschlug, wir könnten eine Partie nach der Ankunft im Hotel spielen, und ich würde ihm unterwegs einige Sehenswürdigkeiten von Chicago zeigen, lehnte er dies ab. Wir mussten die Partie sofort vor Ort spielen. Er bekundete nicht das geringste Interesse an dem großen Hotel, in dem ich für ihn ein Zimmer reserviert hatte. Er schritt durch die Empfangshalle wie in Trance, über seinen nächsten Zug nachdenkend. Nach Betreten seines Zimmers warf er sich auf das Bett und sagte seinem Manager, er möge uns nicht stören, solange wir bei unserer Partie waren. Geradezu unglaublich schien mir, dass er tatsächlich eine starke Blindpartie spielte, wobei er nicht den geringsten Fehler hinsichtlich der Position der Figuren machte. Erst bei Erreichen des Endspiels gelang es mir, die Oberhand zu gewinnen. Dann passierte eine amüsante Sache. Während Sammy bis dahin nicht zugelassen hatte, dass ihn auch nur das geringste vom Spiel ablenkte, sprang er nun vom Bett auf mit den Worten:“Ich bin jetzt hungrig. Gehen wir hinaus und suchen wir ein Restaurant, wo ich etwas essen kann!“ Es stellte sich heraus, dass er beträchtlich belastet war durch eine strenge orthodoxe jüdische Erziehung. Er pflegte, allein koschere Kost zu sich zu nehmen und während des Essens seinen Hut aufzubehalten. Da ich befürchtete, er würde Schwierigkeiten erleiden, sollte er sich zu sehr an orthodoxe Gewohnheiten klammern, die ja fremdartig in diesem Land scheinen mussten, erklärte ich ihm: „ Schau Sammy, Du weißt, dass Gott überall Menschen mit unterschiedlichem Verhalten geschaffen hat. Es wäre nicht richtig von Dir, wenn Du denkst, dass die Gewohnheiten von dem Land, woher Du kommst, besser sind als die in anderen Länder. Wenn Gott die Art, wie man hier isst, nicht mag, hätte er die Menschen hier nicht gedeihen lassen oder? Also warum übenimmst Du nicht die Amerikanischen Gewohnheiten?“ Er hörte mir aufmerksam zu und dachte angestrengt über das nach, was ich gesagt hatte. Aber dann schaute er zu mir hoch und mit einem wundervollen Lächeln, das sowohl die Würdigung eines Scherzes auszudrücken schien wie auch die Missbilligung von etwas sehr Närrischem , antwortete er mit einem von ihm aufgeschnappten favorisierten englischen Satz: „Wovon sprechen Sie?“ Das beendete die Argumentation. Vielleicht war er ausreichend daran gewöhnt, wie ihn die Leute überrascht anschauten, wenn er seinen Hut in einem Restaurant aufbehielt, so dass er dadurch in keiner Weise mehr beunruhigt war. Am Tag nach seiner Ankunft nahm ich ihn mit zu Sears, um Julius Rosenwald zu treffen. Wir wurden eingeladen, zum Mittagsessen zu bleiben. Eine Anzahl der führenden Mitarbeiter der Firma aßen am gleichen Tisch zusammen mit Herrn Rosenwald, und Sammy lieferte sicherlich Gesprächsstoff für sie, ganz unabhängig von dem amüsanten Bild, das er abgab, mit seinem Hut auf und das Essen verächtlich zurückweisend, was die anderen zu sich nahmen. Er flüsterte mir ins Ohr, dass er nur ein paar gekochte Eier essen würde. Dann ließ er eine Attacke in Richtung Herrn Rosenwald vom Stapel, die er sich offensichtlich ausgedacht hatte, sobald er festgestellt hatte, dass er sich in der Gegenwart wichtiger Personen befand. Er fragte:“Was für ein Auto besitzen Sie?“ Herr Rosenwald, irgendwie überrascht von dieser Frage, sagte:“Ein Pierce Arrow.“ Darauf Sammy:“Mit dem möchte ich einmal fahren!“ Herr Rosenwald:“ Tut mir leid, Sammy, mein Chauffeur ist im Augenblick nicht hier. Aber wenn Du warten willst, wird es mir ein Vergnügen sein, ihn anzurufen. Er wird dann mit Dir eine Fahrt machen.“ Sammy: „Ich benötige nicht Ihren Chauffeur, ich will den Wagen selbst fahren.“ Herr Rosenwald: “Nein Sammy, mein Auto ist viel zu groß. Du kannst ihn unmöglich fahren.“ Sammy: „Wovon sprechen Sie überhaupt! Ihr Auto ist nicht größer als eine Lokomotive, und in New York habe ich nur Lokomotiven gefahren.“ Ein lautes Gelächter von den übrigen Männern am Tisch begleitete diese Information, und Sammy schien verletzt zu sei. Um ihn zu trösten, sagte ich zu ihm:“Mach Dir nichts daraus, Sammy, ich werde Dich mein Auto fahren lassen.“ Sein Gesicht hellte sich auf, und er stand vom Tisch auf und sagte:“ Auf Wiedersehen Herr Rosenwald, Ich werde jetzt mit dem Auto von Herrn Lasker fahren.“ Das beendete die „Mittags-Party“. Danach begann der Spass. Ich musste ihn unmittelbar zu mir nach Haus nehmen, um das Auto herauszubekommen. Er bestand darauf, das Lenkrad zu übernehmen, obwohl er seinen Nacken strecken musste, um seine Augen etwa auf Höhe der Windschutzscheibe zu bekommen und zu sehen, wo er hinfuhr. Es war alles in Ordnung, solange wir in einem Wohnbereich waren, weil dort kaum Verkehr war. Aber ich musste mir ein kraftvolles Argument einfallen lassen, um sicherzustellen, dass er das Lenkrad abgab, wenn wir uns den Geschäftsstraßen näherten. Ich erzählte ihm, dass es ein strenges Polizei-Gesetz gäbe, das es Jungen unter fünfzehn verbietet, Autos zu fahren, und wenn ein Polizist ihn sähe, würde er festgenommen. Diese Strategie funktionierte. Er schien einen heiligen Respekt vor der Polizei zu haben und sagte: „Geht in Ordnung. Sobald Sie einen Polizist erblicken, fahren Sie.“ Für eine Weile ging alles gut, bis er sich plötzlich zum Boden hin duckte und das Steuer los ließ. Erschrocken packte ich es und fragte:“ Um Himmels Willen, Sammy, was machst Du da? Willst Du haben, dass wir beide getötet werden?“ Er antwortete: „Ich musste es tun, haben Sie nicht den Polizisten gesehen?.“ Er war so ängstlich, dass er mich die ganze Strecke in die Stadt zum Hotel fahren ließ. Er musste diesen Nachmittag nach Milwaukee abfahren, wo sein Manager ihm eine gute Nachtruhe verschaffen wollte vor seinem ersten Auftritt im Mittleren Westen. Sammy hatte mich zusehends lieb gewonnen und forderte mich auf, mit ihnen nach Milwaukee zu kommen. Ich erklärte ihm, dass ich noch einige Arbeit zu erledigen hätte, aber dass ich am nächsten Tag dort sein würde, rechtzeitig, um ihn spielen zu sehen. Als ich zu dem Hotel kam, wo die Vorstellung stattfinden sollte, fand ich den Spielsaal bis zum letzten Zentimeter gefüllt mit Hunderten von Zuschauern um die zwanzig Tische herum, die für die Spieler abgesperrt waren. Ich wartete in der Halle auf das Erscheinen von Sammy. Nach ein paar Minuten erschien er, geführt von seinem Manager. Über seine Brust trug Sammy eine große weiße Schärpe, auf der Medaillen befestigt waren, wie Orden auf der Brust eines auswärtigen Diplomaten. Sammy schien ein bisschen nervös zu sein, da er nicht wusste, ob er gegen sehr starke Spieler anzutreten hatte. Als er mich sah, rannte er von seinem Manager weg, griff nach meiner Hand und flüsterte mir ins Ohr: „Bleiben Sie bei mir. Sie müssen mit mir innerhalb des Ringes gehen. Verlassen Sie mich nicht!.“ Die Wirkung, die er auf die Menge hatte, war unbeschreiblich. Sie konnten nicht ihren Augen trauen, als sie Sammys Größe sahen. Zum einen hatten die Zeitungen nicht übertrieben, Sammys Augen waren nur 10 bis 15 cm über den Tischen. Der donnernde Applaus, der ihn begrüßt hatte, wechselte in ein absolutes Schweigen, sobald er zu spielen begann. Ich ging in seinem Rücken von Tisch zu Tisch mit ihm, und nach wenigen Schritten schaute er jeweils um sich herum, um sich zu vergewissern, dass ich immer noch zu seiner Ermutigung da war. Er spielte die ersten vier oder fünf Runden sehr vorsichtig. Da machte einer der Spieler einen sehr schlechten Zug. Sammy drehte sich mir zu, mit lachendem Gesicht und offensichtlich erleichtert und flüsterte etwa: „Schauen Sie, wer da denkt, er kann Schach spielen.“ Von da an war er sichtlich entspannt. Wenn ich mich richtig erinnere, gewann er 19 Partien und remisierte eine. Der Auftritt im dem Illinois Athletik Klub in Chicago, der zwei Tage später stattfand, war das beeindruckendste Ereignis dieser Art, dessen Zeuge ich jemals geworden bin. Eine Menge von fünfzehnhundert Leuten waren unterzubringen. Der Klub zeigte sich der Lage gewachsen, indem er sein riesiges Schwimmbecken leerte, die Tische der zwanzig Spieler darin platzierte und den Zuschauern die fünf Stockwerke umfassenden Gallerien um das Becken herum freigab. In dieser Vorstellung besiegte Sammy tatsächlich einen der stärksten Spieler Chicagos, der es nicht unter seiner Würde gefunden hatte, einer der zwanzig Gegner zu sein, die gegen das Wunderkind antraten. Dieses Kunststück ließ mich wahrhaben, dass ich diesen Jungen sehr ernst zu nehmen hatte. Aber als ich mich hinsetzte, um gegen ihn anzutreten, erwies es sich für mich als eine schwierige Sache, mich auf die Partie zu konzentrieren. Herr Rosenwald hatte für diese Gelegenenheit zwei Haupttribünen in seinem Ballsaal errichten lassen, wobei jede um die hundert Gäste fasste. Sie waren vollständig gebannt von dem unglaublichen Spektakel, das sich vor ihren Augen entfaltete, und obwohl sicherlich eine erhebliche Anzahl unter ihnen das Spiel überhaupt nicht kannte und allein gekommen war, um einen Blick auf den Jungen zu werfen, saßen sie ruhig, wie hypnotisiert, die ganzen zwei Stunden, die die Partie dauerte. Ich selbst fühlte mich hypnotisiert. Ich konnte meine Augen nicht von dem Buben abwenden, der seine Züge abwägte mit der Ernsthaftigkeit eines erfahrenen Turnier-Spielers. Hand in Hand mit dieser Ernsthaftigkeit ging ein kindlicher Stolz einher, stolz darauf, einer der Hauptfiguren in solch einem ernsten Ereignis zu sein. Er notierte seine Züge feierlich und prüfte die verbrauchte Zeit auf seiner Uhr gegenüber den bisher gemachten Zügen. Ich hatte ihm das Anzugrecht zugestanden, und er spielte die Spanische Eröffnung. Trotz der schlechten Erfahrung, die ich mit der Riga-Variante gegen Capablanca im New Yorker Meister-Turnier 1915 gemacht hatte, spielte ich diese Variante erneut, obwohl ich wusste, dass Weiß ein Remis durch ewiges Schach erzielen konnte, wenn er die eine Fortsetzung nicht kannte, mit der er das bessere Spiel erhalten würde. Ich glaubte einfach nicht, dass Sammy möglicherweise die Fortsetzung am Brett finden würde, und ich dachte auch nicht, dass er auf diese selten gespielte Variante, die vor der Geburt von Sammy entstand, jemals seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Ich lag falsch. Irgendwer hatte ihn in den letzten Monaten bei einer Vorstellung in Cleveland damit in Schwierigkeiten gebracht. Vielleicht hatte Sammy diese Variante nach der Partie analysiert oder man hatte ihm die richtige Behandlung der Variante gezeigt. Sammy Reshewsky – Eduard Lasker
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 h6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Sxe4 6. d4 ed 7. Te1 d5 8. Sxd4 Ld6 9. Sxc6 Lxh2+ 10. Ka1 Dh4 11. Txe4+ de 12. De8+ Dxd 13. Sxd8 Kxd8 14. Kxh2 Le6 15. Sc3 c5 16. Lg5+ f6 17. d1+ Ke7 18. Le3 c4 19. Lb6 Tad8 20. Lxd8 Txd8 21. TxT KxT 22. Sxe4 b5 23. Sc5 Lc8 24. c3 ba 25. Sxa4 Kc7 26. b4 cb e.p. 27. ab Kc6 28. Kg3 Nachdem ich bemerkte, dass Sammy sich der Kompliziertheit dieses Endspiels nicht bewusst war, bot ich Remis an, zumal ich sah, dass er ziemlich zuversichtlich war und ich nicht diesen Abend verderben wollte. Aber er sagte:“ Ich habe noch Zeit für ein Remis, nicht wahr?“ Das brachte ihm ein großes Gelächter von der Galerie, und vielleicht hat das Resultat der Partie Sammy eine gute Lektion erteilt. a5 29. b4 Kb5 Erst jetzt bemerkte Sammy, dass er verloren war, da er den Vormarsch meines Bauern nicht stoppen konnte. Er studierte die Position längere Zeit, wobei er mir gelentglich einen ärgerlichen Blick zuwarf. Da er kein Anzeichen machte, einen weiteren Zug zu machen, dachte ich mir, dass wir die Partie beendet haben und erhob mich vom Stuhl. Sammy ließ zu, dass Herr Rosenwald ihn auf den Schoß nahm, wo er blieb, ohne ein Wort zu sagen. Er war richtig wütend auf mich und nicht bereit, mir zum Abschied die Hand zu reichen. Kapitel 15 Das New Yorker Meister-Turnier 1922 Ich spielte nur eine andere ernsthafte Partie mit Sammy. Das war zwei Jahre später in einem kleinen Meisterturnier in New York. Es war Sammys erste Erfahrung mit der fürchterlichen Schinderei des ernsten Schachs unter den üblichen Turnierbedingungen, die jeden Tag sechs bis acht Stunden Spielzeit für die Dauer von fünf Tagen pro Woche vorsehen. Die anderen Teilnehmer waren Janowski, Jaffe, Bernstein und Horace Bigelow, der bekannte Schach-Kolumnist. Es war eine wirkliche Schande, einem Jungen von zehn Jahren zu erlauben, gegen solche Konkurrenz anzutreten. Den Männern, die dieses Turnier arrangiert hatten, war nicht die geistige und körperliche Anstrengung bewusst, die der Ablauf eines solchen Meisterturniers mit sich bringt und dass sie damit die Gesundheit des Jungen gefährdeten. Als er in New York ankam, hatte er die gleichen rosigen Wangen, die ich bei unserem ersten Treffen bewundert hatte. Nach zwei Spieltagen erschien er bleich und seine Augen blickten leblos vor sich hin. Ich war ihm bereits in der ersten Runde zugelost worden. Er hatte die weißen Steine und spielte das Damengambit. Er war noch weit davon entfernt zu wissen, dass im Meisterschach die Eröffnung vielleicht die wichtigste Phase des Spiels ist und dass es gefährlich ist, klischeehafte Entwicklungszüge zu machen in der Hoffnung, dass sich während des Mittelspiels Gelegenheiten für brilliante Kombinationen zur Überwältigung des Gegners einstellen werden. Der Spieler, der in der Eröffnung die bessere Position erhält, bekommt zwangsläufig die erste Chance auf brilliante Kombinationen. Die Partie verlief wie folgt:
Sammy Reshewski – Eduard Lasker New Yorker CC! 1922
1.d4 Sf6 2. Sf3 e6 3. c4 d5 4. Sc3 Sbdt 5. Lg5 Lb4 6. Db3 c5 7. e3 Da5 8. Lxf6 Sxf6 9. Ld3? b5! 10. Dc2 bxc4 11. Le2 cxd4 12. exd4 0-0? (Se4!) 13. 0-0 Ld7 14. Tac1 Lxc3 15. bxc3 Tab8 16. Se5 Da3! 17. Sxd7 Sxd7 18. Tb1 Tb6 19. Txb6 axb6 20. Tb1 Ta8 21. Tb2 g6 22. g3 Kg7 22. Dd2 Sf6 24. f3 b5 25. Txb5 Dxa2 26. Tb2 Da7 27. Kg2 Dc7 28. De3 Ta3 29. Ld1 Sd7 30. f4 Da5 31. Tb7 Ta2+! 32. Kh3 Dd8 33. g4 Dc8 34. Tb1 Dc7 35. g5 h6 36. Le2 hxg5 37. fxg5 Ta8 38. Kg2 e5! 39. Tf1 e4! 40. Tf2 f5 41. gxf6+ Sxf6 42. Dg5 Dd6 43. Tf5 Ta2 44. Kf1 Ta1+ 45. Kg2 Ta2 46. Tf2 e3!! 47. Dxe3 Se4 48. h3 (wenn Tf3, dann gewinnt Schwarz mit …Tc2) Sxf2 49. Kxf2 Ta7 50. Kg2 Te7 51. Dd2 De6 52. Lf3 De3 53. Db2 Dg5+ 54. Kf2 Df4 55. Kg2 Dg5 56. Kf2 Df4 57. Kg2 Kh6 58. Df2 Te3 59. Lxd5 Dxf2+ 60. Kxf2 Txc3 61. Le6 Kg5 62. Lf7 Kf6 63. Ld5 g5 64. Lg8 Kf5 65. d5 Kf4 66. d6 Tc2+ 67. Kf1 c3 68. Lh7 Td2 69. Ke1 Txd6 70. Lg8 Th6 1:0 Ich konnte kaum erwarten, dass Sammy mit der Würde eines zivilisierten Heranwachsenden verlieren würde. Als er das Spiel aufgab, blickte er mich zornig an und sagte: „Das ist die letzte Partie, die Sie jemals gegen mich gewonnen haben!“. Ich habe ihn keinmal seit dieser Zeit in einer Turnierpartie getroffen, und wenn es der Fall gewesen wäre, hätte er sicherlich eine exzellente Chance gehabt, seine Vohersage wahr werden zu lassen. Sein Ärger verflüchtete sich schnell, denn er wusste, dass ich wahrhaftig an seiner Zukunft interessiert war. Durch das Beobachten seiner Simultanpartien gegen starke Gegner in Chicago hatte ich klar vorhergesehen, dass er auf dem Wege zu einem hervorragenden Schachmeister war. Die Wichtigtuer unter den starken Mitgliedern der Schachklubs taten meine Vorhersagen ab mit abwertendem Achselzucken. Aber Sammys Abschneiden bei US-Meisterschaften und in internationalen Turnieren hat seitdem dramatisch sein Kaliber bewiesen. Er schloss in unserem kleinen Turnier nicht besonders gut ab, aber er hatte einen Triumph, den er höher schätzte als alle die Ehren, die während seiner Simultantour über ihn ausgeschüttet wurden. Er besiegte Großmeister Janowski, der mir nicht glauben wollte, dass das Kind tatsächlich gut genug spielte, um jedem der Teilnehmer gefährlich zu werden. In diesem Spiel behandelte er noch die Eröffnung schlecht. Nach zwölf Zügen sagte Janowski, der die weißen Steine in einem Damengambit führte, zu mir: „Was für einen Unsinn haben Sie mir erzählt? Dieser Junge versteht so viel von Schach wie ich vom Seiltanzen! Sehen Sie sich seine Stellung an! Bald wird er nicht mehr in der Lage sein, irgend eine Figur zu ziehen. Er ist komplett paralisiert!“. Als ich auf die Stellung schaute, sah ich, dass Sammys Position tatsächlich fast hoffnungslos war. Aber ich warnte Janowski, nicht zu entspannt zu sein. Er spielte unverändert ziemlich lässig, aber sein Angriff gewann mehr und mehr an Schwung, bis Sammy ohne Verteidigung war. Bei seinem 38. Zug erwägte Janowski ein sich längerfristig auswirkendes Springeropfer, aber nach fast vier Stunden Spielzeit irgendwie ermüdet sah er den Weg nicht mehr klar genug durch den Schleier der involvierten Kombinationen, und er wählte einen anderen Zug. Das Opfer hätte die Dame gewonnen oder Sammy forciert Schachmatt gesetzt. David M. Janowski – Samuel H. Reshevsky
1. d4 Sf6 2. Sf3 d5 3. c4 e6 4. Sc3 Sbd7 5. Lg5 Le7 6. e3 c6 7. Ld3 a6 8. 0-0 dxc4 9. Lxc4 Sb6 10. Ld3 Sfd5 11. Lxe7 Dxe7 12. Dd2 Sxc3 13. bxc3 c5 14. Tab1 Sd7 15. a4 0-0 16. Dc2 h6 17. Tfe1 b6 18. Tb2 Tb8 19. Teb1 Dd6 20. De2 a5 21. Lb5 Td8 22. h3 Dc7 23. e4 Sf8 24. De3 Ld7 25. Se5 Le8 26. Lxe8 Txe8 27. f4 f6 28. Sf3 Sd7 29. e5 f5 30. g4 g6 31. gxf5 gxf5 32. d5 Sf8 33. Tg2+ Kh7 34. c4 Df7 35. Kh2 Sg6 36. Tbg1 Tg8 37. d6 Db7 38. h4 (Sg5+!) Dc6 39. h5 Sh8 40. Sxg5+ hxg5 41. fxg5 Sg6 42. Tg3 Kg7 43. Th3 Th8 44. hxg6 Txh3+ 45. Kxh3 Das war Janowskis versiegelter Zug. Er nahm mit mir das Mittagessen ein, offensichtlich ziemlich beunruhigt über den Verlauf, den die Partie genommen hatte. Ihm wurde bewusst, dass er den Gewinnzug übersehen hatte, und er sagte: „Lasker, Sie wissen, dass Sie recht hatten. Der Junge ist ein Wunder. Ich habe das Gefühl, dass ich diese Patie verlieren werde.“ Obwohl ich den Eindruck hatte, dass Janowski wirklich viele Chancen hatte, fehlzugreifen, versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass er noch keinen Grund hätte, den Mut zu verlieren. Nicht dass ich ein persönliches Interesse an dieser Sache hatte, aber ich hatte Mitleid mit dem alten Meister, der erneut eine gute Partie ruiniert hatte und der natürlich Angst davor hatte, in einer ernsten Partie eines Turnieres gegen ein Kind zu verlieren. Hätte er sich wirklich mit einem Remis zufrieden gegeben, hätte er wiederholt ein Unentschieden erzielen können. Th8+ 46.Kg3 Dxa4 47. Df3 f4+ 48. Kg4 Dc2 49. Dxf4 De2+ 50. Kg3 Dd3+ 51. Kg2 De2+ 52. Kg3 Dh2+ 53. Kf3 Tf8 54. Df6+ Kg8 55. d7 Txf6+ 56. gxf6 (exf6!) Dd2 57. Th1 Dd3+ 58. Kg2 Dxg6+ 59. Kf2 Df5+ 60. Kg2 Dg4+ 61. Kh2 De2+ 62. Kh3 Dd3+ 63. Kh4 Dxd7 64. Tg1+ Kf8 65. Kg5 Dd4 0:1 Sammy war außer sich vor Freude. Im Taxi, das ihn zum Hotel brachte, umschlang er den Hals seines Vaters und schrie:“Ich schlug einen großen Meister, ich schlug einen großen Meister!“ Zwischenzeitlich saß der arme Janowski am Brett und zeigte ganz verzweifelt den Zuschauern die wunderbare Kombination, mit der er Sammy beim 38. Zug hätte demolieren können. Ich gewann das Turnier mit 4 Punkten, gefolgt von Jaffe mit 3, Sammy, Janowsi, Bernstein und Bigelow landeten alle auf dem geteilten dritten Platz mit jeweils 2 Punkten. So hatte Sammy die Genugtuung, seinen Platz am hinteren Ende mit einem international anerkannten Meister zu teilen. Kapitel 16 Match um die US-Meisterschaft Das einzige ernsthafte Schach,das ich während der sechs Jahre vor dem New Yorker Tunier (1923) spielte, waren die jährlichen Wettbewerbe um die Meisterschaft der Weststaaten. Abgesehen von Showalter und Whitaker waren nur zwei oder drei andere Spieler in diesen Turnieren auf dem Niveau der besten New Yorker Spieler gewesen. Da ich jedoch den Titel fünfmal gewonnen hatte und aus dem New Yorker Turnier als Erster vor Janowski hervorgegangen war, fühlte ich mich berechtigt, Frank Marshall um die US-Meisterschaft herauszufordern. Ich war mir klar darüber, dass ich mich im Turnierschach nicht als gleichwertig ansehen konnte, schließlich war er als einer der vier oder fünf führenden Großmeister in der Welt anerkannt. Aber ich fühlte, dass ich in einem Match eine Chance haben würde, wo es weniger wahrscheinlich war, dass Marshalls risikoreicher Stil erfolgreich war. Die Vorteile und Nachteile von Marshalls Stil spiegelten sich deutlich in seinen Turnier- und Wettkampfergebnissen nieder. Zum Beispiel hatte er Emanuel Lasker zu einem Weltmeisterschaftskampf herausgefordert, nachdem er zuvor das Cambridge Springs Turnier 1904 vor Lasker gewonnen hatte. Aber Lasker hatte ihn im Match mit dem Ergebnis von 8 : 0 besiegt. Auch Tarrasch und Capablanca hatten ihn entscheidend in Zweikämpfen besiegt, während er in Turnieren ihnen jeweils dichtauf war, in der Nähe der Spitze. Meine berufliche Arbeit sollte 1922 eine Wende erfahren, die mir erlaubte, in Erwägung zu ziehen, drei oder vier Wochen fern von meinem Büro zu verbringen, die ich zweifellos einem Match mit Marshall widmen würde. 1921 hatte ich Mr. Grundlachs Firma mit der Melkmaschine verlassen, um mich als Selbständiger in Forschungsarbeit zu engagieren. Ich traf diese Entscheidung als Folge einer Herausforderung, dieses Mal nicht um einen Schachwetttkampf zu absolvieren, sondern um ein Ingenieursproblem zu lösen, das der führende amerikanische Kinderarzt Dr. I. A. Abt von Chicago angesprochern hatte. Er war der Vater zweier Söhne, die unter den Jungen waren, denen ich in meinen frühen Chicago-Tagen Schach beigebracht hatte. Als er mich eines Tages zufällig in einem Restaurant traf, meinte er:“Ich freue mich, diese Gelegenheit zu haben, um mit Ihnen zu sprechen. Ich habe mir gedacht, dass Sie als Schachmeister und Ingenieur vielleicht gerade der Mann sind, den ich brauche, ein Mann mit einem erfinderischen Geist, um eine Maschine zu entwickeln, die mir bereits seit 25 Jahren vorschwebt. Verschiedene Personen haben versucht, sie für mich herzustellen, aber alle erlitten Schiffbruch. Ich hoffe, dass Sie daran interessiert sind.“ Dann erklärte er, dass es sich um eine Maschine handelte, die er für sein Neugeborenen-Hospital benötigte, um Muttermilch für Frühgeborene zu erhalten, die zu schwach zum Säugen waren. Die gewöhnlichen handunterstützten Brustpumpen oder das Ausdrücken mit der Hand waren unbefriedigend, weil Teile der Milch in der Brust zurückblieben. Seine Idee war, dass das Problem vielleicht durch eine Maschine gelöst werden könnte, die weitgehend die Saugaktion des Kindes imitieren kann. Er fügte hinzu, dass ich beim erfolgreichen Herstellen eines praktikablen Apparates die Befriedigung hätte, das Leben einer Vielzahl von Kindern zu retten, die anderenfalls sterben würden. Ich benötigte 18 Monate, bis ich das erste zufriedenstellende Modell fertig hatte. Und ein weiteres Jahr ging vorbei, bevor ich aus der Experimentierphase zu einem praktischen Gerät kam, das zu einem vernünftigen Preis fabrikmäßig hergestellt werden konnte. Der Apparat hatte kaum zwei Wochen im Hospital von Dr. Abt gestanden, als ich einen Anruf von einem anderen berühmten Spezialisten, Dr. Joseph B. DeLee bekam, dessen Bücher über Geburtshilfe praktisch für jeden Medizinstudenten ein Muss waren. Er gab zu verstehen, dass die Maschine möglicherweise ein viel weiteres Anwendungsfeld hätte, als ich mir vorstellte. Nachdem er mit dem Apparat ungefähr einen Monat lang gearbeitet hatte, informierte er mich, dass er die Maschine für unverzichtbar hielt in jedem Hospital, in dem Entbindungen vorgenommen wurden und dass er hoffte, dass ich sie auf den Markt brachte. Ich tat es und verdiente fünfmal soviel Geld wie in meiner vorherigen Stellung. Ich wusste, ich war der einzige Mensch auf der Welt, der diese seltsame Arbeit machte und ich leitete einen Großteil an Zufriedenheit daraus ab, obwohl es mich vielen spitzen Bemerkungen von Seiten meiner Freunde aussetzte, die mich nicht mehr „chess player“ (Schachspieler) sondern „chest player“ (Brustkastenspieler) riefen. Marshall akzeptierte meine Herausforderung, und der Matchbeginn war für den März 1923 geplant. Die Börse, die sich Marshall ausbedungen hatte, wurde garantiert durch eine Anzahl individueller Sponsoren und durch Klubs in New York, Chicago, Milwaukee, Detroit, Cleveland, Cincinatti, Baltimore und Washington. Die erste Partie wurde im Marshall Schachklub gespielt, und eine Vielzahl von Schachfans bevölkerte den großen Spielsaal, während Marshall und ich in der Bücherei zusammen mit Herman Helms, dem Herausgeber des American Chess Bulletins „eingesperrt“ waren, der als Schiedsrichter agierte und jeden Zug dem Publikum in dem angeschlossenen Raum übermittelte, wo die Position auf einem großen Wandbrett aktualisiert wurde. Ich gewann das Anrecht auf den ersten Zug und in Einklang mit dem von Psychologen empfohlenen Rezept versuchte ich, Marshall mit den von ihm favorisierten eigenen Waffen zu schlagen. Ich eröffnete mit dem Damengambit, womit er selbst sehr häufig begann, und suchte die Position in einem frühen Stadium zu komplizieren, indem ich mich um einen scharfen Angriff bemühte, da Marshall dafür bekannt war, dass er ein defensives Spiel nicht gerade schätzte. Lasker, Eduard vs. Marshall, Frank James 1.Wettkampfpartie
1.d4 d5 2. Sf3 Sf6 3. c4 e6 4. Sc3 c5 5. cxd5 exd5 6. Lg5 Le6 7. e4 dxe4 8. Lb5+ Ld7 9. Lxf6 Dxf6 10. Sxe4 Db6 11. De2 Le7 12. dxc5 Da5+ 13. Sfd2 0-0 14. Ld3 f5 15. 0-0 !! Te8 16. Sb3 Dc7 17. Sg3 Lf6 18. Dc2 g6 19. Se2 Sc6 20. Sc3 Sb4 21. Lc4+ Kh8 22. Dd2 Lc6 23. Sb5 Lxb5 24. Lxb5 Te4 25. Dg6 Dd7 26. Tad1 a6 27. c6 bxc6 28. Lxc6 Sxc6 29. Dxc6 Df8 30. Td2 a5 31. Tc2 a4 32. Sd2 Te2 33. Sf3 Tee8 34. Dc4 Te4 35. Dc6 Tee8 36. Db5 Teb8 37. De2 Te8 38. Dd2 Df7 39. a3 Tad8 40. Dc1 Dg7 41. h4 Tb8 42. Tc7 Te7 43. Tc8+ Te8 44. Txe8+ Txe8 45. Dc6 Df8 46. Tb1 Te2 47. b4 axb3 48. Txb3 Dd8 49. Tb1 Lxh4 50. Sxh4 Dxh4 51. Dc3+ Kg8 52. Tb8+ Kf7 53. Tb7+ Te7 54. Db3+ Kg7 55. Dc3+ Kf7 56. Db3+ Kg7 57. Dc3+ Kf7 58. Txe7+ Dxe7 59. a4 De2 60. Dc7+ Kf6 61. Db6+ Ke5 62. Dc5+ Ke6 63. Dc6+ Kf7 64. Dc1 g5 65. a5 f4 66. Df1 Da2 67. Db5 Kg6 68. Db6+ Kh5 69. a6 g4 70. Dc5+ Kg6 71. a7 g3 72. fxg3 fxg3 73. Dd6+ Kf7 74. Df4+ Ke7 75. De3+ Kd7 76. Kf1 Da6+ 77. Ke1 Kc7 78. Dxg3+ Kd7 79. Dg7+ Kc8 80. Dg8+ Kb7 81. Db8+ 1:0 Ich war durch meinen Sieg freudig erregt, gab er mir doch einen gewissen psychologischen Vorteil von Beginn an. Aus dem Verlauf der ersten Partie schloss ich, dass mein Plan, bedingungslos aggressiv zu spielen, doch die beste zu befolgende Strategie sei. Natürlich war dies eine viel härtere Aufgabe, wenn ich mit den schwarzen Steinen zu spielen hatte, aber ich stand zu meinem Plan in gleicher Weise auch bei meiner zweiten Partie. Diese Partie wurde im Universitätsklub in New York gespielt. Wir waren abgesperrt in der Mitte eines riesigen Raumes, in dem eine großé Anzahl von Mitgliedern und Gästen den Wettbewerb mit höchstem Interesse verfolgten. Zu meinem Erstaunen eröffnete Marshall mit dem Königsbauern und steuerte in die Wiener Variante. Frank J. Marshall vs. Eduard Lasker 2.Wettkampfpartie
1.e4 e5 2. Sc3 Sf6 3. Lc4 Sc6 4. d3 Lc5 5. f4 d6 6. Sf3 Lg4 7. h3 Lxf3 8. Dxf3 Sd4 9. Dg3 De7 10. Lb3 0-0-0 11. Tf1 Sf5 12. Dg5 g6 13. fxe5 Dxe5 14. Df4 De7 15. g4 d5 16. gxf5 g5 17. Df3 dxe4 18. dxe4 Lb4 19. Lxg5 Thg8 20. Lh4 Td4 21. Ld5 Te8 22. Lxf6 Dxf6 23. Td1 c6 24. Txd4 Dxd4 25. a3 Lxc3 26. bxc3 Dxd5 27. Dd3 Dxe4+ 28. Dxe4 Txe4+ 29. Kd2 Th4 30. Tf3 Kd7 31. Tg3 Th5 32. Tg7 Ke7 33. Tg8 Txf5 34. Tb8 Td5+ 35. Kc1 b6 36. Tc8 c5 37. Tc7+ Td7 38. Tc6 f5 39. Th6 Kf8 40. Th5 f4 41. Th4 f3 42. Tf4+ Tf7 43. Txf7+ Kxf7 44. Kd2 Ke6 45. Ke3 Kd5 46. Kxf3 Kc4 47. Kg4 Kxc3 48. Kg5 Kxc2 49. Kh6 Kb3 50. Kxh7 c4 0-1. Ich war sehr erfreut über den anhaltenden Applaus, mit dem die Mitglieder des Universitätsklubs diesen Sieg belohnten. Es war ein netter Kontrast zu der voreingenommenen Art und Weise, in der der Schachreporter der New York Times die Partie kommentierte. Marshall war zweifellos sein Favorit, und anstelle eines Lob für das von mir gebrachte couragierte Opfer sprach er nur von einem angeberischen Zug und unterstellte, dass ich für die Gallerie gespielt hätte. Die dritte Partie fand wieder im Marshall Schach-Klub statt. Ich spielte die Vier-Springer-Eröffnung in der Hoffnung, eine Gelegenheit zu finden, in eine der nicht nachahmbaren Varianten einzulenken, die vorkommen, wenn Schwarz die Entwicklungszüge von Weiß imitiert. Aber Marshall wählte eine Fortsetzung, die in eine wohlbekannte Variante des Spaniers einmündete. Eduard Lasker vs. Frank Marshall 3. Wettkampfpartie
1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Sc3 Sf6 4. Lb5 Le7 5. 0-0 d6 6. d4 exd4 7. Sxd4 Ld7 8. Lxc6 bxc6 9. Dd3 0-0 10. Lg5 h6 11. Lh4 Te8 12. Tae1 Sh7 13 Lxe7 Txe7 14. Te3 Db8 15. Tfe1 Sf6 16. h3 Dxb2 17. Tb1 Da3 18. Sd5 Dxd3 19. Sxe7 Kf8 20. Txd3 Kxe7 21. Tb7 Kd8 22. f3 Kc8 23. Tb1 c5 24. Sf5 Lxf5 25. exf5 Kd7 26. g4 c4 27. Ta3 Sd5 28. Kf2 Kc6 29. Ta6+ Sb6 30. f6 gxf6 31. a4 d5 32. a5 Kb7 33. axb6 Kxa6 34. bxc7 Tc8 35. Ke3 Txc7 36. Kd4 Tb7 37. Txb7 Kxb7 38. Kxd5 c3 39. h4 Kc7 40. h5 Kd7 41. Kd4 Ke6 42. Kxc3 f5 43. gxf5+ Kxf5 44. Kb4 Kf4 45. Kc5 ?? (c4!! und gewinnt) Kxf3 46. c4 f5 47. Kd5 Kg3 48 c5 f4 49. c6 f3 50. c7 f2 51. c8D f1D 52. Dc7+ Kh4 53. Dxa7 Kxh5 54. Ke4 Dg2+ 55. Kd3 Kh4 56. Dd4+ Kh3 57. Dd7+ Kh2 58. Df7 Dh3+ 59. Kc4 Dg4+ 60. Kb5 De2+ 61. Ka5 h5 62. Df4+ Kg2 63. Dg5+ Dg4 64. Dd2+ Kh3 65. De1 Df4 66. Dh1+ Kg4 67. Dg2+ Kf5 68. Dh3+ Kg6 69. De6+ Df6 70. De8+ Kh6 71. Ka4 h4 72. De3+ Kg7 73. Da7+ Kg6 74. Dg1+ Dg5 75. De1 Df4+ 76. Ka5 Kf6 77. Dh1 Df5+ 78. Ka6 h3 79. Da1+ Kf7 80. Dc1 De5 81. Db1 Df6+ 82. Ka7 Kg7 83. Dg1+ Kh7 84. De3 Da1+ 85. Kb8 Db2+ 86. Ka7 Dg2 87. Dd3+ Kh8 88. Ka6 h2 89. Dd8+ Kh7 90. Dc7+ Kh6 91. Df4+ Kg6 92. Dd6+ Kf5 93. Dd7+ Ke5 94. De7+ Kd4 95. Db4+ Ke3 96. Dc3+ Kf2 97. Dd4+ Ke1 98. Da1+ Ke2 99. Db2+ Kf3 100. Dc3+ Kf2 101. Dd4+ Ke2 102. Db2+ Kf1 103. Da1+ Kf2 104. Dd4+ Remis Auch der Stand von 2,5 zu 0,5 war natürlich weit über das hinaus, was die Schachwelt oder ich selbst erwartet hatte. Es war nicht überraschend, dass die meisten Schach-Kolumnisten das Resultat Marshalls mangelnder Praxis zuschrieben, ohne zu beachten, dass mein Übungsdefizit noch weit größer war. Da mein Beruf Ingenieur war und nicht Schach, wurde einfach davon ausgegangen, dass ich nicht in der gleichen Klasse spielte wie Marshall. Allerdings schloss ich nach diesen drei Partien, dass meine Einschätzung von Marshalls starken und schwachen Punkten mehr oder weniger korrekt gewesen war und dass ich eine gute Chance hatte, ihn zu besiegen. Er war unübertroffen beim Ausdenken scharfsinniger Kombinationen, und aus diesem Grund fand er Geschmack an Situationen, die zu kompliziert waren, um sie am Brett zu analysieren. Seine Fähigkeit, solche Situationen zu produzieren, machte ihn zu einem der größten Turnierspieler auf der Welt, da in Turnieren diejenigen, die auf einen Spitzenpreis auswaren, häufig nicht ausanalysierbare Komplikationen in Kauf nehmen mussten, um Remis-Positionen zu vermeiden. In einem Wettkampf müssen unentschiedene Partien nicht notwendigerweise vermieden werden, da man mit dem gleichen Gegner Partie für Partie konfrontiert wird, und das Tempo, mit dem dem Punktestand weitere Punkte hinzugefügt werden, von geringerer Bedeutung ist. In den beiden ersten Partien war ich in der Lage gewesen, Marshall mit nicht erwarteten Kombinationen zu überraschen, und in den daraus entstehenden Komplikationen musste ich mich selbst behaupten. In der dritten Partie hatte ich eine Gewinnposition erreicht gehabt aufgrund einer ganzen Serie von Kombinationen, die alle miteinander verbunden waren durch ein strategisches Manöver, das durch das Bauernopfer beim 30. Zug sowie das Qualitätsopfer im 32. Zug ausgelöst worden waren. Die Schach-Kolumnisten hatten natürlich die Bedeutung dieser komplexen strategischen Konzeption geringfügiger eingeschätzt als Marshall selbst. Die ermutigende Schlussfolgerung, die ich hieraus zog, war, dass ich weit besser Schach spielte als Marshall oder ich selbst im vorhinein angenommen hatten. So schaute ich voller Vertrauen vorwärts auf welche weiteren Probleme ich auch während des restlichen Matches stoßen würde. Die Partien vier bis sieben wurden im Hamilton-Club in Chicago gespielt, wo von Herrn M.S. Kuhns, der später Präsident der Western Chess Association werden sollte, ganz außergewöhnliche Vorbereitungen für diese Gelegenheit getroffen worden waren. Haupttribünen waren in dem Ballraum des Klubs errichtet worden, und annähernd tausend Personen hatten sich versammelt, um die Züge auf einem großen Wandbrett zu verfolgen, während Marshall und ich auf einer erhöhten Plattform spielten, auf der die Zuschauer uns nicht bedrängen konnten. Marshall eröffnete das vierte Spiel mit dem Damenbauern, und ich spielte die Tarrasch-Verteidigung, was Marshall in der ersten Partie tat. Marshall fianchettierte seinen Königsläufer nach dem Vorbild von Rubinstein, und ich behandelte die Eröffnung nicht sachgemäß. Frank Marshall vs. Eduard Lasker 4. Wettkampf-Partie
1.d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 c5 4. cxd5 exd5 5. Sc3 Sc6 6. g3 Sf6 7. Lg2 Le6 8. 0-0 Le7 9. dxc5 Lxc5 10. Lg5 d4 11. Lxf6 Dxf6 12. Se4 De7 13. Sxc5 Dxc5 14. Tc1 Db6 15. Sg5! Lf5? 16. e4! dxe3?? 17. Txc6!! bxc6 18. Dd6 Ld7 19. De5+ Kf8 20. fxe3 f6 21. Txf6+! gxf6 22. Dxf6+ Ke8 23. Dxh8+ Ke7 24. De5+ Kd8 25. h4! Kc8 26. Sf7 a5 27. Sd&+ Kb8 28. Sb5+ Kb7 29. Sd6+ Kb8 30. De7 Dc7 31. Df8+ Ka7 32. Sb5+ Kb6 33. Dxa8 Kxb5 34. Lf1+ Kb4 35. Df8+ c5 36. Dg7 c4 37. Kh2 Dc6 38. Dc3+ Kb5 39. Db3+ 1:0 Dieses und das nächste Zusammentreffen, das ich durch eine schlechte Behandlung des Mittelspiels verlor, ließ mich erkennen, dass selbst ein tiefes Verstehen der Eröffnungs- und Endspiel-Strategie nicht ausreichten, um Marshall zu schlagen, wenn man nicht zugleich auch mit seiner meisterlichen Mittelspieltaktik mithalten konnte. Speziell in der abschließenden Phase der Partie zeigte sich, dass Erfahrung ein kaum zu schlagender Vorteil war und ich noch einen langen Weg zu gehen hatte, bevor ich einem erstklassigen Meister standhalten konnte. Die fünfte Partie war ein orthodoxes Damengambit. Eduard Lasker vs. Frank Marshall 5. Wettkampf-Partie
1.d4 d5 2. 2. Sf3 e6 3. c4 Sf6 4. Lg5 Sbd7 5. e3 Le7 6. Sc3 0-0 7. Dc2 c5 8. Td1 Da5 9. cxd5 exd5 10. Ld3 h6 11. Lh4 c4 12. Lh7+ Sxh7 13. Lxe7 Te8 14. Ld6 Sdf6 15. 0-0 Lg4 16. Tde1 Te6 17. Lf4 Lxf3 18. gxf3 Sh5 19. Df5 Sxf4 20. exf4!! Tae8 21. Te5 Db6 22. Txd5?? (Unter Zeitnot ruinierte ich meine Partie mit Txd5, anstatt die Türme zu verdoppeln oder Td1 zu spielen) Tg6+ 23. Kh1 Dxb2 24. Se4 De2 25. Dh3 Txe4 26. f5 Th4 27. Te5 Dd3 28. Te3 Txh3 29. Txd3 cxd3 30. fxg6 fxg6 31. Td1 Txf3 32. Kg2 Tf5 33. Txd3 Sf6 0-1 Der Stand war nun 2,5 zu 2,5, und wenn man die Art und Weise, in der ich die letzten beiden Partien gespielt hatte, beurteilte, dann schienen die Kolumnisten recht gehabt zu haben, die Marshalls erste beiden Partien mit einem Mangel an Praxis entschuldigt hatten. Aber das Ergebnis der sechsten Partie gab mir neuen Mut. Frank Marshall vs. Eduard Lasker 6. Wettkampf-Partie
1.d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 c5 4. cxd5 exd5 5. Sc3 Sc6 6. g3 Sf6 7. Lg2 Le7 8. 0-0 0-0 9. Lg5 Le6 10. dxc5 Lxc5 11. Tc1 Le7 12. Sd4 Sxd4 13. Dxd4 Da5 14. a3 Tac8 15. Dd3 h6 16. b4? Dxa3 17. Sxd5 Lxb4 18. Lxf6?? Txc1 19. De4 Txf1+ 20. Lxf1 Lxd5 21. Dg4 g6 22. e4 Le6 23. Dh4 Df3 24. Le2 Dxe2 25. Dxh6 De1+ 26. Kg2 Dxe4+ 27. Kg1 De1+ 28. Kg2 Ld5+ 29. f3 Lxf3+ 0-1 So gewann ich die Führung zurück. Es war mir jedoch nicht bestimmt, den Titel zu gewinnen. Die 7. Partie wurde nach 32 Zügen und meinem versiegelten Abgabezug 32. Tf4 vertagt. Während des Frühstücks am folgenden Morgen wurde ich plötzlich von quälenden Magenschmerzen gepackt. Ein Freund, der mit mir das Appartement teilte, beschrieb telefonisch einem Arzt die Symptome. Auf Anordnung des letzteren wurde ein Krankenwagen angefordert, der mich zum Krankenhaus brachte. Zwischenzeitlich hatten sich die Schmerzwellen so gesteigert, dass ich dachte, ich würde sterben. Unter Stöhnen gab ich meinem Freund einige kurze Informationen, u.a. was er zu unternehmen hätte, um meine Angelegenheiten nach dem Tod am besten zu regeln. Im Krankenwagen verlor ich das Bewusstsein, und, wie ich herausfand, als ich ungefähr vier Stunden später zu mir kam, die Ärzte hatten mich mittels Morphium-Spritzen in diesen gesegneten Zustand versetzt. Diagnostisiert wurde eine Nieren-Kolik, die eine Operation nicht dringend erforderlich machte, aber die einige Tage Krankenhaus-Behandlung erforderte. Mein Freund sandte eine Notiz zum Hamilton-Club, dass ich die vertagte Partie nicht zur vereinbarten Zeit beenden könne und dass ich von einer Regelung Gebrauch machen wolle, die ich in dem Vertrag mit Marshall vereinbart hatte und die erlaubte, insgesamt sieben Tage aus Krankheitsgründen zu verschieben. Vom Klub kam jedoch die Nachricht zurück, dass Marshall das Recht auf den Partiegewinn für sich in Anspruch nehmen würde, wenn ich die Partie nicht programmgemäß absolvierte würde, da es sich um eine Hänge-Partie handele, die seiner Meinung nach nicht Gegenstand der infragekommenden Klausel sei. Der Klub versuchte, von dem Schiedsrichter Mr. Alrick H. Man Instruktionen zu erhalten, blieb aber ohne Antwort. Unter diesen Umständen gab ich dem Arzt zu verstehen, dass ich in jedem Fall das Krankenhaus verlassen müsste. Ich wollte meine Chance, die US-Meisterschaft zu gewinnen, nicht vertun, solange alle Anzeichen gegeben waren, dass die Chance sehr realistisch war. Ich wies darauf hin, dass die Position ein leichtes Remis sei und nur einige weitere Züge erforderlich wären. Im übrigen könnte mich ein Wagen direkt wieder ins Krankenhaus zurückbringen. Der Arzt weigerte sich glatt und sagte eine notwendig werdende dreiwöchige Bettlägerigkeit voraus, wenn ich das Krankenhaus vorzeitig verlassen würde. Niemals wieder möchte ich in ein solches Dilemma geraten. Natürlich behielten Leichtsinn und Ehrgeiz die Oberhand. Ich forderte ein Taxi an, bewegte mich mühsam zum Schachtisch und verlor die Partie sehr schnell. Lasker, Eduard vs. Marshall, Frank James 7. Wettkampf-Partie
1.d4 d5..2. Sf3 e6 3. c4 Sf6 4. Lg5 h6 5. Lxf6 Dxf6 6. Sc3 c6 7. e3 Sd7 8. Ld3 Lb4 9. 0-0 Lxc3 10. bxc3 0-0 11. De2 dxc4 12. Lxc4 e5 13. Tfd1 e4 14. Sd2 Dg6 15. Lb3 Sf6 16. Kh1 Lf5 17. Tg1 Tae8 18. Tae1 Dg5 19. f4 Dh4 20. g3 Dh3 21. Dg2 Dh5 22. Ld1 Lg 23. Lxg4 Sxg4 24. De2 Df5 25. Sc4 De6 26. Tgf1 b5 27. Se5 Sxe5 28. fxe5 f6 29. exf6 Txf6 30. Txf6 Dxf6 31. Tf1 De6 32. Tf4 g5 33. Tf2 Tf8 34. Kg2 Txf2+ 35. Kxf2? (besser war DxT, womit die offene Linie besetzt wird) g4 36. Ke1 Df5 37. c4?? (das ist ein Anfängerzug. Er gibt dem Gegner die Chance, einen entfernten Freibauern zu schaffen. Danach würde ich sicherlich niemals mehr die damen auf f3 tauschen können, da ich mich dann zwei Freibauern auf verschiedenen Flügeln gegenüber sehen würde. Der richtige Zug bestand in 37. a4 usw.) b4 38. Kd2? (besser war c5) Df3 39. De1 Df7 40. De2 Df3 41. De1 a5 42. Kc2 Dg2+ 43. Dd2 Df1 44. c5 Kf7 45. Kb2 Ke7 46. Dc2 Dd3 47. Db3?? (hier machte ich meinen finalen Fehlzug. Die einzigen Remis-Chancen lagen in 47. Df2 oder Da4) De2+ 48. Kb1 Df1+ 49. Kb2 Df2+ 50. Kc1 Dg1+ 51. Kb2 Dxh2+ 52. Kc1 Dxg3 53. Dg8 Dxe3+ 54. Kc2 Dd3+ 55. Kc1 Dxd4 56. Dh7+ Ke6 57. Dg8+ Ke5 58. Dg7+ Kd5 59. Dd7+ Kxc5 60. Da7 Kc4 61. Dxa5 Kc3 0:1 Die achte Partie war in Milwaukee angesetzt. Der Arzt sagte mir, dass ich den Wettkampf nur fortsetzen könnte, wenn ich während der folgenden drei Wochen jeden Tag im Bett bliebe, bis ich mich für die nächste Partie fertig zu machen hätte, und dass ich mit ernstesten Konsequenen rechnen müsste, wenn ich mich nicht strikt an diese Vorgaben halten würde. Das war leichter gesagt als getan, schließlich lagen zweitausend Meilen an Reisen zwischen den Partien, mit dem Resultat: Mein Spiel verschlechterte sich immer mehr. In der Partie, die in Milwaukee gespielt wurde, gewann ich im Mittelspiel einen Bauern, den ich dann wieder aufgrund schwachen Spiels verlor, und ich erreichte nicht mehr als ein Remis. Marshall, Frank James vs. Lasker, Eduard 8.Wettkampfpartie
1.d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 c5 4. cxd5 exd5 5. Sc3 Sc6 6. g3 Sf6 7. Lg2 Le7 8. 0-0 0-0 9. dxc5 Lxc5 10. Lg5 d4 11. Lxf6 Dxf6 12. Se4 De7 13. Sxc5 Dxc5 14. Tc1 Db6 15. Dc2 h6 16. Sd2 Le6 17. Sc4 Da6 18. a3 Tfd8 19. Tfd1 Tac8 20. Dd3 Db5 21. b4 Sxb4 22. axb4 Lxc4 23. Da3 Lxe2 24. Txc8 Txc8 25. Txd4 a5 26. h3 b6 27. bxa5 Dxa5 28. De3 Lh5 29. Td5 Da1+ 30. Kh2 Lg6 31. Dxb6 Kh7 0/5:0/5
Die nächsten vier Spiele wurden in Cleveland bestritten. In der neunten Partie kam es erneut zu einem Unentschieden, nachdem ich die Gelegenheit zum Gewinn eines Bauern verpasst hatte. Lasker, Eduard vs. Marshall, Frank James 9. Wettkampfpartie
1.d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 Sf6 4. Sc3 Lb4 5. Lg5 h6 6. Lxf6 Dxf6 7. Da4+ Sc6 8. e3 0-0 9. cxd5 exd5 10. Lb5 Lg4 11. Le2 Tfe8 12. 0-0 Tad8 13. Se5 Lxe2 14. Sxe2 Ld6 15. Sxc6 bxc6 16. Tac1 Dh4 17. g3 Dg4 18. Dd1 Tb8 19. b3 Te6 20. Sf4 Dxd1 21. Tfxd1 Lxf4 22. gxf4 Tb6 23. Tc5 Ta6 24. a4 Tb6 25. Td3 Kf8 26. Tdc3 Ke7 27. Kg2 Kd7 28. Kf3 f5 29. Ta5 a6 30 h4 h5 31. Ke2 Tg6 32. Tac5 Tb8 33. Kf1 Te6 34. Ke1 Ta8 35. Kd1 a5 36. Kd2 Ta6 37. f3 Ta8 38. Tc2 Tg6 39. Tc1 Tb8 40. Tb1 Te6 41. Tc3 g6 42. Tbc1 Tbe8 43. Td3 Ta8 44. Ke2 Tee8 45. Tc3 Te6 46. Kd2 Tae8 47. Te1 Tb8 48. Kd3 Tb4 49. Tb1 Tb8 50. Tbc1 Tbe8 51. Kd2 Tb8 52. Td3 Ta8 53. Tc5 Tee8 54. Kc2 Te6 55. Kb2 Tee8 56. Ka3 Ta6 57. Tdc3 Kd6 58. Td3 Kd7 59. Tc2 Tb6 60. Tg2 Te6 61. Tb2 Tb4 62. Tc2 Tb6 63. Tcd2 0,5:0,5 In der 10. Partie war ich erneut von Blindheit geschlagen, wie am 30. Zug zu sehen ist. Marshall vs. Lasker 10. Wettkampfpartie
1.d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 c5 4. cxd5 exd5 5. Sc3 Sc6 6. g3 Sf6 7. Lg2 Le7 8. Lg5 0-0 9. 0-0 h6 10. Lxf6 Lxf6 11. dxc5 Lxc3 12. bxc3 Le6 13. Sd4 Da5 14. e4 Dxc5 15. Sb3 Dxc3 16. Tc1 Db4 17. exd5 Tad8 18. Sc5 Lg4 19. a3 Dxc5 20. Txc5 Lxd1 21. Txd1 Td6 22. Te1 Sd8 23. Te7 Kh7 24. Le4+ g6 25. Tcc7 Kg7 26. f4 h5 27. a4 Kf6 28. Kf2 Tb6 29. Ted7 Tb2+ 30. Lc2 Kg7 (hier sah ich nicht den offensichtlichen Zug Sc6!, der leicht remisiert.) 31. Ke3 a5 32. Td6 Kg8 33. Kd2 b6 34. Tcd7 Se6 35. dxe6 fxe6 36. Kc1 Tb4 37. Txe6 Tc8 38. Txg8+ Kf8 39. Th6 Kg8 40. Kd1 1:0 Die 11. Partie war die Tragödie meines Lebens: Nach dem Aufbau eines starken Angriffs und kurz vor der Vertagung der Partie zwang ich Marshall, eine Figur herzugeben. Als die Partie am Abend beendet wurde, konnte ich keine zwei Züge voraus schauen und Marshall entkam mit einem Remis. Lasker vs. Marshall 11. Wettkampfpartie
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Le7 6. Te1 b5 7. Lb3 0-0 8. d3 d6 9. c3 Sa5 10. Lc2 c5 11. Sbd2 Sc6 12. Sf1 Le6 13. d4 cxd4 14. cxd4 exd4? (Lg5!) 15. Sxd4 Sxd4 16. Dxd4 Tc8 17. Se3 Sg4 18. Sxg4 Txc2 19. Lh6!! f6 20. Se3 Tc5 21. Lf4 f5 22. b4! Tc6 23. Tad1! Lf6 24. Dd3 Lc3 25. Te2 Lxb4 26. Sd5! Lc5 27. exf5 Lxf5 28. Dg3! Kh8 29. Lg5! Da5 30. Se7 Da4 31. Tde1 Lg4 32. Te4! Dxa2 33. Tf4! Txf4 34. Dxf4 Dxf2+ 35. Dxf2 Lxf2+ 36. Kxf2 Tc2+ 37. Kg3 Ld7 38. Tc1 Ta2 39. Tc7 Ta3+ 40. Kf2 Ta2+ 41. Kf3 Le6 42. Lf4 Ta3+ 43. Kf2 Ta2+ 44. Kg1 Ta1+ 45. Tc1 Txc1+ 46. Lxc1 b4 47. Kf2 h6 48. Ke3 a5 49. g3 a4 50. Ld2 b3 51. Lc1 Kh7 52. Ke4 g5 53. Lb2 h5 54. Sf5? h4 55. Sxd6?? hxg3 56. hxg3 Kg6 57. Ke5 Ld7 58. Se4 Lc6 59. Sf6 Lf3 60. Ke6 Le2 61. Lc1 Lf3 62. Ke5 Lc6 63. Sg4 Ld7 64. Se3 Lc6 65. Kd6 Lb5 66. Lb2 Le8 67. Lc1 Lb5 68. Kc5 Ld7 69. Sc4 Kf5 70. Kd4 Lc6 71. g4+ Ke6 72. Lb2 Lf3 73. Se3 Lb7 74. Kc5 a3 75. Lxa3 Kc5 76. Lc1 Kf4 0,5 : 0,5 Das Remisieren dieser Partie, die ich auf mehreren verschiedenen Arten hätte gewinnen können, hatte einen sehr niederdrückenden Effekt auf mich. Ich verlor die 12. Partie, die in Detroit gespielt wurde, durch ein Übersehen im 7. Zug, und in der 13. Partie in Cincinatti erreichte ich gerademal ein Remis. Marshall vs. Lasker 12. Wettkampfpartie
1.d4 d5 2. Sf3 Sf6 3. c4 dxc4 4. Sc3 c5 5. e4 cxd4 6. Dxd4 Dxd4 7. Sxd4 e5 8. Sdb5 Sa6 9. Lxc4 Le7 10. Le3 Ld7 11. 0-0 0-0 12. Sxa7 Lc5 13. Sab5 Lxe3 14. fxe3 Lxb5 15. Lxb5 Sc5 16. Tf5 Sg4 17. Te1 g6 18. Tf3 Kg7 19. Tef1 Sh6 20. Lc4 Tad8 21. Ld5 Sd3 22. h3 Tb8 23. g4 f6 24. b3 b5 25. g5 fxg5 26. Txf8 Txf8 27. Txf8 Kxf8 28. Sxb5 g4 29. h4 g3 30. Kg2 Sg4 31. Kxg3 Sxe3 32. Kf3 Sc2 33. Lc4 Sc5 34. a3 Se1+ 35. Kf2 Sc2 36. Ke2 Ke7 37. b4 Sa6 38. Kd2 Sxa3 39. Sxa3 Sxb4 40. Lb5 Kd6 41. Sc2 Sc6 42. Lxc6 Kxc6 43. Se3 Kd6 44. Sg4 Ke6 45. Kd3 Kd6 46. Sh6 Ke6 47. Kc4 Kf6 48. Kd5 g5 49. Sg4+ Kg6 50. Sxe5+ Kh5 51. hxg5 1 : 0 Lasker vs. 13. Wettkampfpartie
1.e4 e5 2. Sf3 Sf6 3. Sc3 Sc6 4. Lb5 a6 5. Lxc6 dxc6 6. Sxe5 Sxe4 7. Sxe4 Dd4 8. 0-0 Dxe5 9. Te1 Le6 10. d4 Df5 11. Sg3 Dg6 12. Lf4 0-0-0 13. Dd2 Ld6 14. Lxd6 Txd6 15. Se4 Tdd8 16. b3 Ld5 17. Sg3 h5 18. Te5 f6 19. Te7 Tde8 20. Tae1 Txe7 21. Txe7 Kd8 22. Te1 h4 23. c4 hxg3 24. cxd5 gxh2+ 25. Kh1 cxd5 26. Da5 Df7 27. b4 Te8 28. Txe8 Kxe8 29. b5 axb5 30. Da8+ Kd7 31. Dxb7 De6 32. Dxb5+ Dc6 33. Db2 Db6 34. Dd2 c5 35. dxc5 Dxc5 36. a4 d4 37. a5 Dc3 38. Da2 d3 39. a6 Ke7 40. a7 d2 41. Da4 Dc1+ 42. Kxh2 d1D 43. Dxd1 Dxd1 44. a8D Dh5+ 0,5 : 0,5 Somit lag Marshall zwei Punkte voraus, mit nur noch fünf weiteren Partien zu spielen – ein viel zu großer Vorsprung, als dass ich ihn auch in allerbester Form hätte aufholen können – , als das Resultat der 14. in Baltimore gespielten Partie mir einen milden Hoffnungsschimmer gab. Marshall versuchte, die Dinge gegen die von mir gewagte Slawische Verteidigung zu beschleunigen, und er gab einen Bauern für einen Angriff hin, was sich als nicht ausreichend erwies. Mit nur noch einem Punkt hinter meinem Gegner zurück, wer wollte jetzt schon voraussagen, was alles noch passieren konnte? Marshall vs. Lasker 14. Wettkampfpartie
1. d4 d5 2. Sf3 Lf5 3. c4 e6 4. Sc3 c6 5. e3 Sd7 6. Ld3 Lxd3 7. Dxd3 Sgf6 8. 0-0 Ld6 9. cxd5 exd5 10. e4 dxe4 11. Sxe4 Le7 12. Sg3 0-0 13. Sf5 Sd5 14. Se5 Sxe5 15. dxe5 Kh8 16. Dg3 Tg8 17. b3 Dd7 18. Df3 f6 19. e6 Dxe6 20. Lb2 Tge8 21. Tae1 Df7 22. Te4 Lf8 23. Th4 Tad8 24. Dh3 Dg6 25. Sd4 Te4 26. Se6 Txh4 27. Dxh4 Te8 28. Sxf8 Txf8 29. Ld4 b6 30. Tc1 Te8 31. f3 Te2 32. Lf2 Txa2 33. g3 Dd3 34. Dh3 h6 35. Dc+ Kh7 36. Dxc6 Dxf3 37. Tf1 Dxb3 38. Dc1 Sc3 39. Kg2 Dd5+ 40. Kh3 Se4 41. Df4 Ta4 42. Td1 Sg5+ 43. Kh4 Txf4+ 44. gxf4 Dxd1 45. fxg5 Df3 46. Lg3 h5 47. Kh3 Kg6 0:1 In der 15. Partie in Washington kam ich erneut in Schwierigkeiten, aber ich konnte das Treffen retten. Lasker vs. Marshall 15. Wettkampfpartie
1. d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 Sf6 4. Lg5 h6 5. Lh4 Lb4+ 6. Sbd2 c5 7. e3 g5 8. Lg3 g4 9. a3 La5 10. Se5 Lxd2+ 11. Dxd2 Se4 12. Dc2 Da5+ 13. Ke2 Sc6 14. f3 Sxg3+ 15. hxg3 cxd4 16. Sxc6 bxc6 17. b4 Db6 18. c5 Dc7 19. f La6+ 20. Ke1 Lxf1 21. Kxf1 dxe3 22. Dc3 0-0-0 23. Dxe3 d4 24. De4 Td5 25. Td1 Dd7 26. Kf2 h5 27. Td3 f5 28. De2 e5 29. fxe5 Te8 30. Te1 Tdxe5 31. Dxe5 Txe5 32. Txe5 h4 33. gxh4 Dh7 34. Te8+ Kc7 35. Te2 Dxh4+ 36. g3 Dh2+ 37. Kf1 Dh1+ 38. Kf2 Kc8 39. Te7 Dh2+ 40. Ke1 f4 41. Te8+ Kb7 42. gxf4 g3 43. Tg8 Df2+ 44. Kd1 Df1+ 45. Kd2 Dxf4+ 46. Kd1 Df1+ 47. Kd2 g2 48. Tdg3 Da1 49. b5!! (sofern cxb, dann erfolgt 50. T8f7 mit Matt oder Damengewinn. Natürlich sah Marshall die Kombination und erreichte Remis durch ewiges Schach.) Db2+ 50. Kd3 Dxb5+ 51. Kxd4 Db2+ 52. Kc4 Dc2+ 53. Kd4 Dd2+ 54. Kc4 Da2+ 55. Kd4 Dd5+ 56. Kc3 Dxc5+ 57. Kb2 Dd4+ 58. Ka2 Dd2+ 59. Kb3 Dd1+ 60. Kb2 Dd2+ 61. Kb3 Dd1+ 62. Kb2 Dd2+ 63. Kb3 0,5:0,5 Nach diesem Zusammentreffen kehrten wir nach New York zurück, wo die letzten drei Partien angesetzt waren. Zu meiner Überraschung versuchte Marshall erneut die Wiener Eröffnung in der 16. Partie. Marshall vs. Lasker 16. Wettkampfpartie
1.e4 e5 2. Sc3 Sf6 3. Lc4 Sc6 4. d3 Lc5 5. f4 d6 6. Sf3 Lg4 7. h3 Lxf3 8. Dxf3 Sd4 9. Dg3 De7 10. Kd1 c6 11. fxe5 dxe5 12. Tf1! Tg8 13. Lg5 0-0-0 14. Dh4 b5 15. Lb3 a5! (dieser Zug widerlegt Marshalls Eröffnungs-Strategie. Er konnte nicht das Bauernopfer akzeptieren und 16. LxS usw.spielen, da er dann ohne Verteidigung bleibt. Er war damit gezwungen, zunächst seinen Springerbauern zu beschützen, obwohl er dabei seinen Läufer für zwei Bauern herzugeben hatte.) 16. g4 a4 17. Lxf6 gxf6 18. Dxf6 Dxf6 19. Txf6 axb3 20. axb3 Tg7 21. Se2 Le7 22. Tf1 Sxe2 23. Kxe2 Kb7 24. Tf5 f6 25. Taf1 Tf8 26. c3 Ta8 27. b4!? Ta2! 28. g5 Txb2 29. Ke3 Ld8! 30. gxf6 Tg3 31. T1f3 Lb6+ 32. d4 exd4+ 33. cxd4 Tb3+ 34. Ke2 Lxd4?? (Ich hatte mich selbst ermattet beim Durchrechnen der Konsequenzen von 34. Tgxf3 35. f7 usw. Mit benommenem Kopf und und nur noch der Hälfte der dritten Stunde Bedenkzeit zur Verfügung wählte ich den Textzug, wobei ich dachte, dass ich das Turm- Bauern-Enspiel in jedem Fall langfristig gewinnen würde. Jedoch erwies sich das Problem als zu schwierig, um es am Brett lösen zu können, und vielleicht war es einer dieser Fälle, wo ein Mehrbauer nicht für den Gewinn ausreicht.)35. Txg3 Txg3 36. f7 Lg7 37. f8D Lxf8 38. Txf8 Txh3 39. e5 Kc7 40. Tf7+ Kd8 41. e6 Th4 42. Td7+ Ke8 43. Tc7 Tc4 44. Txh7 Txb4 45. Kd3 Tc4 46. Tb7 Tc1 47. Ke4 Tc5 48. Tc7 b4 49. Tb7 Th5 50. Kd4 c5+ 51. Kc4 Te5 52. Kb5 Kd8 53. Kc6 Txe6+ 54. Kxc5 0,5:0,5 Das war Tragödie Nr. 2. Wiederum hatte ich einen sicheren Gewinn fortgeworfen, nachdem ich im Mittelspiel eine Figur gewonnen hatte. In den beiden letzten Runden hatte ich keine Gelegenheit mehr, das Match zu gewinnen oder es auch nur unentschieden zu gestalten. Marshall spielte konsequent auf Remis, und das Resultat des Zweikampfes war 9,5 zu 8,5 zugunsten von Marshall. Hier die beiden letzten Partien. Lasker vs. Marshall 17. Wettkampfpartie
1.d4 d5 2. Lf4 c5 3. e3 Sc6 4. c3 e6 5. Sd2 Ld6 6. Lg3 f5 7. Sgf3 Sf6 8. Se5 0-0 9. Le2 cxd4 10. Sxc6 bxc6 11. exd4 Tb8 12. Dc2 Se4 13.Lxd6 Dxd6 14. 0-0 c5 15. Tad1 cxd4 16. Sxe4 fxe4 17. Txd4 La6 18. Ta4 Lxe2 19. Dxe2 Tf7 20. b3 Dc6 21. De3 Db6 22. c4 Tbf8 23. Dxb6 axb6 24. cxd5 exd5 25. Td4 Tf5 26. f3 exf3 27. Txf3 Txf3 28. gxf3 Txf3 29. Txd5 Tc3 30. Tf5 g6 31. Tf2 0,5 : 0,5 Marshall vs. Lasker 18. Wettkampfpartie
1. d4 d5 2. Sf3 e6 3. c4 Sf6 4. Sc3 dxc4 5. e3 c5 6. Lxc4 Sc6 7. 0-0 Dc7 8. e4 cxd4 9. Sxd4 a6 10. Sxc6 Dxc6 11. De2 Lb4 12. Sd5 Ld6 13. Lg5 Sd7 14. Tac1 0-0 15. Se7+ Lxe7 16. Lxe7 Te8 17. Lg5 Dc5 18. Lf4 De7 19. Tfd1 e5 20. Lg3 Sf8 21. Ld5 Sg6 22. Df3 Le6 23. h3 Tad8 24. Lxe6 Dxe6 25. Txd8 Txd8 26. Df5 Dd6 27. Tc8 f6 28. Txd8+ Dxd8 29.De6+ Kf8 30. f3 Dd1+ 31. Kh2 Dc2 32. Db6 Dc6 33. Db3 Db5 34. Dc2 Kf7 35. a4 Db4 36. Dc7+ De7 37. Dc4+De6 38. Dc7+ De7 39. Dc4+ De6 40. Dc7+ 0,5 : 0,5 Fortsetzung folgt!
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